Vorläufige Ergebnisse bei NRW-Landtagswahl korrigiert

NRW-Spitzenkandidaten in der WDR-Sendung Wahlarena. Bild: Superbass/CC BY-SA 4.0

Verschiedene Parteien waren von Unregelmäßigkeiten betroffen, die AfD allerdings stärker als andere. CDU und FDP zimmern an einer Koalition

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Der Landeswahlleiter in Nordrhein-Westfalen hat am Mittwoch das nunmehr offizielle Ergebnis der Landtagswahl vom 14. Mai bekannt gemacht. Die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) erhielt nach Überprüfungen des vorläufigen amtlichen Endergebnisses vom Wahlabend nun in 50 der rund 15.000 Stimmbezirken 2.204 Stimmen mehr zugeschrieben. In Mönchengladbach ermittelt die Polizei wegen eines Vorfalls. Unterdessen haben Union und Liberale Koalitionsverhandlungen aufgenommen, sie könnten bald mit einer Stimme Mehrheit in Düsseldorf regieren.

Schon am Wahlabend hatte sich rasch abgezeichnet, dass die bisherige Landesregierung aus SPD und Bündnis-Grünen abgewählt worden war (NRW: Wähler strafen rot-grüne Regierung ab). Die SPD-Spitzenkandidatin und bisherige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erklärte rasch, dass sie alle ihre politischen Ämter abgeben werde. Laut amtlichem Endergebnis - nun inklusive Stimmen-Korrekturen - wird die CDU mit 33 Prozent stärkste Partei vor der SPD mit 31,2 und der FDP mit 12,6 Prozent. Die Grünen erhielten 6,4, die AfD 7,4 Prozent, die Linke scheiterte knapp an der Fünfprozent-Hürde mit 4,9.

Erst im Laufe des Wahlabends Mitte Mai war klar geworden, wie die künftige Landesregierung sich zusammensetzen könnte. Anlass dafür war, dass die Linke am frühen Abend laut Hochrechnungen noch in den Landtag hätte einziehen können und dann die Sitzverteilung eine andere als jetzt gewesen wäre. Im Verlauf des Abends stellte sich dann jedoch heraus, dass dies nicht der Fall sein wird. Auch wenn FDP-Chef Christian Lindner sich anfangs gegenüber den Avancen von CDU-Landeschef Armin Laschet noch etwas zierte, unterdessen verhandeln beide nebst Vertreter ihrer Parteien über eine Regierungskoalition.

Naturgemäß wurden dabei zuerst nicht die Knackpunkte angesprochen, obschon beide Parteien überwiegend Gemeinsames vertreten dürften. Am Dienstag wurde zuerst in drei Punkten Übereinstimmung gesucht. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu Fehlern der NRW-Behörden im Terrorfall Anis Amri soll auch in der neuen Legislaturperiode fortgeführt werden. Zudem soll ein Schwarz-Gelb regiertes NRW im Bundesrat dafür stimmen, Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer einzustufen - in der Hoffnung, dass aus diesen Ländern Asylsuchende nicht mehr einreisen oder aber schneller wieder abgeschoben werden können. Bei der Inklusion will man langfristig die Politik von Rot-Grün und das bisherige Schulgesetz kippen, kurzfristig sollen noch bestehende Förderschulen für behinderte Kinder erhalten bleiben.

AfD-Anhänger wittern "Wahlbetrug"

Angesichts der Hinweise darauf, dass Stimmen für die AfD falsch zugeordnet oder in der Hektik des Wahlabends als Schnellmeldungen fehlerhaft übermittelt worden waren, hatte Landeswahlleiter Wolfgang Schellen angeordnet, dass alle Wahlkreise auf Unregelmäßigkeiten zu prüfen seien. Es handelte sich dabei nicht um eine Neuauszählung, diese sollten nur dort stattfinden, wo Ungereimtheiten festgestellt wurden. Der Sprecher des Landeswahlleiters, Tobias Dunkel, erinnerte indes am Montag daran, dass die Auffälligkeiten bei der AfD zwar häufiger seien, aber es gebe "fehlerhafte Ergebnisse für nahezu alle Parteien. Das ist gerade in dieser aufgeladenen Zeit sehr ärgerlich."

Wegen solcher Vorfälle wittern etwa Teile der AfD-Wählerschaft und -Sympathisanten einen "Wahlbetrug" oder eine Verschwörung der "Etablierten" gegen ihre Partei. Ausgerechnet völkisch-nationalistische und ansonsten einer heimischen Autokratie eher hoffnungsfroh gegenüberstehende AfD-Kreise respektive deren Sympathisantenumfeld glauben indes, die Vorfälle bewiesen, dass man der Demokratie in Deutschland nur misstrauen könne und daher der Einsatz von "Wahlbeobachtern" ähnlich wie in Diktaturen und Entwicklungsländern unverzichtbar sei. Landeschef Marcus Pretzell sagte am Dienstag gegenüber dem WDR, wenn ein Problem "flächendeckend" aufgetreten sei, müssten die Stimmen auch flächendeckend neu ausgezählt werden.

"Nicht ausnahmslos zufällig"

Am Mittwoch teilte der Landeswahlleiter Schellen dann im Landeswahlausschuss mit, dass es in über 80 Wahlbezirken zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. In 50 der Fälle sei die AfD betroffen, sie erhalte gegenüber dem am Wahlabend festgestellten vorläufigen Wahlergebnis 2.204 Stimmen mehr und kommt nun auf insgesamt 626.756 Zweitstimmen. Die restlichen Unregelmäßigkeiten in weiteren 35 Stimmbezirken würden indes andere Parteien betreffen.

Auswirkungen auf die Sitzverteilung werde das korrigierte amtliche Endergebnis nicht haben, so Schellen. "Einige Fehler erwecken den Eindruck, nicht ausnahmslos zufällig geschehen zu sein", sagte Schellens Stellvertreter Markus Tiedtke im Wahlausschuss. "Hinweise auf bewusste Manipulationen" müssten zur Anzeige gebracht werden.

Auffälligkeiten hatte es etwa in Gütersloh gegeben, wo die AfD-Stimmen zuerst versehentlich der "Allianz Deutscher Demokraten" (ADD) zugeschrieben worden waren (Sind der AfD Stimmen bei der NRW-Landtagswahl nicht angerechnet worden?). Erklärbar schien das, weil ADD und AfD auf Platz 15 und 16 auf dem Wahlzettel standen und hier wie auch in Korschenbroich, Duisburg sowie Köln möglicherweise beim Eintragen am Wahlabend angesichts ähnlicher Kürzel die Zeilen verwechselt worden waren.

In Erkelenz waren allerdings Stimme der AfD auffälligerweise bei den Piraten und der Linken verbucht worden. In Aachen wurden Zweitstimmen in den Schnellmeldungen statt der AfD der Wählerinitiative "Volksabstimmung" angerechnet. Auch hier könnte eventuell der Namen für Verwirrung oder Unachtsamkeit gesorgt haben, firmiert die Initiative doch auch als "Ab jetzt…Demokratie durch Volksabstimmung" und stand auf Listenplatz 13 nahe der AfD.

Unregelmäßigkeiten waren unter anderem auch in Dortmund, Bonn, Remscheid und Mettmann registriert worden. In Mönchengladbach waren AfD-Stimmen sogar für ungültig erklärt worden. Hier geht die Polizei unterdessen einem auf ihrem Online-Portal geäußerten anonymen Hinweis nach, dass ein Wahlbetrug vorliegen könnte. Sollte sich das bestätigen, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Neben Zähl- oder Addierfehlern könnte es auch Notier- oder Übertragungsfehler gegeben haben

Landeswahlleiter Wolfgang Schellen hatte schon am Dienstag darauf hingewiesen, dass "Korrekturen zwischen dem vorläufigen amtlichen Endergebnis einer Wahl und dem endgültigen Ergebnis […] nicht ungewöhnlich" seien. Schellen betonte ebenso, der AfD würden bei der Wahl rund 12.000 Stimmen für ein weiteres Mandat im Landtag fehlen. Die bis Dienstag bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten seien indes "nicht mandatsrelevant", die "Wahl als solche steht nicht in Frage".

Fehlerquellen für die aktuellen Auffälligkeiten könnten laut Landeswahlleiter Schellen Zähl- oder Addierfehler gewesen sein. Schellen ergänzte am Dienstag, es könne auch zu Notier- oder Übertragungsfehlern gekommen sein. Möglich wäre etwa, dass am Wahlabend Ergebnisse versehentlich im Wahllokal oder bei der Datenaufnahme in den Wahlzentralen durch das Abrutschen in eine andere Zeile notiert wurden.1 Insgesamt traten 31 Parteien oder Initiativen zur Wahl an.

Ein Beispiel aus Aachen macht, unabhängig von den Ungereimtheiten bei der AfD, einen Zählfehler besonders beim kommenden Ministerpräsidenten von NRW deutlich. Am Wahlabend selbst hatten sich die beiden Direktkandidaten Daniela Jansen (SPD) und Armin Laschet (CDU) bis in die Nacht hinein ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Bis dann nach dem vorläufigen Endergebnis laut der Schnellmeldungen Laschet mit 567 Erststimmen vor Jansen lag. Nach einer neuen Auszählung korrigierte der Wahlausschuss das Ergebnis: Laschet liegt nun nur noch offiziell mit 523 Erststimmen vor der SPD-Frau.

Tatsächlich waren es in den letzten Tagen zwar die AfD und die bei ihr fehlenden Stimmen, die bei manchem die Hoffnung geweckt hatten, eine Landesregierung aus CDU und FDP noch zu kippen. Letztlich hatten aber laut der Schnellmeldungen am Wahlabend der Linken nur 8.561 Stimmen gefehlt, um nach dem Ausscheiden aus dem Landtag 2012 wieder über die Fünfprozent-Hürde zu kommen. Etwaige Unregelmäßigkeiten und ein Plus an Stimmen zwischen dem vorläufigen und dem tatsächlichen Endergebnis hätten daher wohl eher die Linke und nicht die AfD noch in die Lage bringen können, um die Mehrheitsverhältnisse im Landtag durcheinander zu wirbeln.