"Vorsicht vor einer strafenden Öko-Politik"
Smog-Alarm in Frankreich: Umweltminister beklagen die Grenzen ihrer Möglichkeiten
Auch im Nachbarland gilt: Vorsicht vor den Autofahrern - und der Autoindustrie, genauer gesagt: Kein Politiker wagt den Konflikt mit den Lobbys. "Rührt sie nicht an", lautet die Regel ("On ne touche pas à l'automobile"). Das schöne, aber für den Luftaustausch zwischen oberen und unteren Schichten ungünstige, Wetter hat das Thema in Frankreich nach oben in die Nachrichtenzyklus gehoben.
Die Kommunalwahlen stehen an. In Paris, wo ein neuer Bürgermeister gewählt wird, war der Eiffelturm im feinstaubigen Dunst nicht mehr zu sehen, in dreißig Departements gab es PM10-Alarm, weil Grenzwerte tagelang überschritten wurden. Sogar Vergleiche mit dem Smog in Peking und in Schanghai wurden erwogen (vgl. Wo ist die Luftverschmutzung am stärksten?).
Der Vergleich ging allerdings von der Grenzwertüberschreitung der PM10-Werte aus. Die Spitzenwerte in Paris und in manchen Departements lagen bei über 100 µg/m3 (als Tagesgrenzwert gilt 50) und waren damit mit den Werten dieser Tage in Peking (89) vergleichbar.
In den beiden chinesischen Metropolen sind allerdings die PM2,5-Werte, für die kleinsten und für die Gesundheit gefährlichsten Partikel, in Smogzeiten enorm hoch. Im Januar lagen sie in Peking bei über 600 (Airpocalypse in Peking). Im Vergleichszeitraum der letzten Tage wurden von Le Monde für Peking 263 angegeben und für Paris 110.
Späte und beschränkte Maßnahmen
Die Maßnahmen waren sachte - Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Verkehrshauptachsen, Umleitung für größere Transporter, Begrenzungen für Fabriken - und für manche Pendler erfreulich, weil an einigen Orten verfügt wurde, dass der öffentliche Transport bis Sonntag kostenlos zur Verfügung stand und manche Angebote zum Carsharing ebenfalls umsonst zu haben waren, aber alle Maßanahmen kamen spät.
Die Medien zeigten sich darüber beunruhigt, umso mehr als sich der Smog tagelang hielt. Im kommunalen Wahlkampf wurde das Thema dann weidlich in den Mittelpunkt gerückt, vor allem natürlich von Vertretern der französischen Grünen, der EE-LV, die in Frankreich weitaus weniger Erfolg haben als die deutschen.
"Zwanzig Jahre große Untätigkeit"
Sie nutzen den kurzen Moment, bis das Wetter umschlägt. Danach ist Feinstaub aller Wahrscheinlichkeit nach kein Thema mehr. Einig zeigen sich Äußerungen der Umweltminister der letzten Jahre - und zwar quer durchs etablierte politische Spektrum - , nämlich darin, dass das Thema Smog/Feinstaub/Luftverschmutzung in den letzten zwanzig Jahren in Frankreich keine Chance auf Relevanz hatte. Der Tenor, in den auch die frühere Umweltministerin des Kabinetts Ayrault, Delphine Batho, einstimmt, besagt, dass "große Untätigkeit" das Leitmotiv in dieser Sache abgebe.
Der Mann, der sie im Juli letzten Jahres ablöste, Philippe Martin, erklärt auch, warum unter der PS-Regierung kein entscheidender Wechsel zu erwarten ist: eine ökologische Politik, die mit Strafen arbeite, geht nicht. Man werde mit den Automobilherstellern (deren Stolz die Dieselmotoren sind) reden - in aller Behutsamkeit lässt sich ergänzen. Denn zum einen ist man froh, dass die angeschlagen Autoindustrie langsam wieder Fahrt aufnimmt, zum anderen fahren 60 Prozent der Frankreich zugelassenen Autos mit Diesel und zum dritten war eine Umweltsteuer Auslöser für Proteste, die das ganze Land beschäftigten (Frankreich: Eine Ökosteuer als Auslöser eines landesweiten Aufstandes?).
Demgegenüber sind mögliche Strafzahlungen in Millionenhöhe an die EU, weil Feinstaub-Grenzwerte über längere Zeit überschritten wurden, das kleinere Übel. Zumal, wie das Beispiel Österreich zeigt, Strafzahlungen nicht unbedingt ein realistisches Szenario sein müssen. Auch mit der Einrichtung von Umweltzonen, deren Erfolg als Maßnahme gegen Feinstaub umstritten ist, wird man sich weiter Zeit lassen, lassen die ehemaligen und der jetzige Umweltminister erkennen.