WHO schlägt Alarm: Long-Covid erschöpft Mensch und Wirtschaft weltweit

Erschöpfung ist das Hauptmerkmal von Long-Covid. Bild: Niklas Hamann / Unsplash Licence

Dutzende Millionen Menschen leiden weltweit darunter. Sie sind kraftlos, können sich nicht konzentrieren, liegen im Bett. Der Grund: Long-Covid. Wie die kaum erforschte Krankheit auch die Wirtschaft schädigt, und was getan werden muss.

Es ist eine Krankheit, sie sich im Schatten der Corona-Pandemie entwickelt hat. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sie bis heute eher ein Schattendasein fristet. Jedenfalls, was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht.

Während die unmittelbaren, zum Teil drastischen Folgen der Covid-19-Virusverbreitung wie schwere Lungenerkrankungen, überlastete Gesundheitssysteme oder die diversen Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens die Schlagzeilen über die letzten 2,5 Jahre dominierten, blieb Long-Covid eher ein Randthema.

Das liegt auch daran, dass bisher nicht viel über das Leiden bekannt ist. Das sollte sich jedoch ändern, fordert der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina Gerald Haug:

Die Ursachen und die unterschiedliche Symptomatik sind noch nicht vollständig verstanden. … Long Covid ist ein stark unterschätztes Problem mit bisher nur begrenzten Therapiemöglichkeiten.

Es müsse daher mehr dazu geforscht werden. Haug selbst kenne junge sportliche Menschen, die im Zuge von Long-Covid "nicht mal mehr eine Stunde Energie am Tag" hätten.

Die Verläufe und die gesundheitlichen Einschränkungen von Long-Covid sind unterschiedlich, je nachdem, wie viele Organe wie schwer im Zuge der Ansteckung betroffen worden sind. Bisher ist auch noch unklar, wie Corona-Infektionen sich auf das Gehirn auswirken und zu Folgeschäden führen können. Von Long-Covid spricht man, wenn die Symptome länger als vier Wochen nach der Ansteckung fortbestehen. Ein Post-Covid-Syndrom besteht, wenn Patienten Long-Covid-Beschwerden auch noch nach drei Monaten haben.

Schon zu Beginn der Covid-19-Pandemie gab es Meldungen von Fällen, bei denen nach einer Covid-Erkrankung eine Reihe von Symptomen einfach nicht verschwanden. Geschmacks- und Geruchsverlust, Reizempfindlichkeit, zum Teil starker Leistungsabfall blieben. Manche der Covid-Erkrankten sind wegen anhaltender Schwäche weiter bettlägerig oder können sich kaum auf den Beinen halten. Viele leiden, nicht selten im Stillen, an "Fatigue", an konstanter Erschöpfung und Konzentrationsproblemen. Das kann dazu führen, dass Long-Covid-Erkrankte arbeitsunfähig werden oder ihr Studium abbrechen.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus schlägt nun Alarm. Long Covid habe verheerende Auswirkungen auf das Leben von Dutzenden Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Es richte zudem großen Schaden für die Gesundheitssysteme und die Wirtschaft an.

Die Welt hat bereits eine beträchtliche Anzahl von Arbeitskräften durch Krankheit, Tod, Erschöpfung und irregulären Ruhestand verloren, da die Anzahl derer, die auf lange Zeit arbeitsunfähig sind, zunimmt, was nicht nur Auswirkungen auf das Gesundheitssystem hat, sondern auch die Gesamtwirtschaft beeinträchtigt.

Nach Schätzungen der WHO leiden zehn bis 20 Prozent derjenigen, die eine Covid-Erkrankung durchgestanden haben, an mittel- und langfristigen Symptomen wie Müdigkeit, Atemnot und kognitiven Dysfunktionen. Untersuchungen zeigen, dass bis zu 17 Millionen Menschen allein in Europa Long-Covid-Symptome in den ersten beiden Pandemie-Jahren gezeigt haben. Frauen leiden zudem häufiger an der Krankheit, die Wahrscheinlichkeit ist bei ihnen nach Modellrechnung doppelt so hoch. Das Risiko nimmt vor allem dann dramatisch zu, wenn es sich um schwere Covid-Erkrankungen handelt.

Investiert in die Gesundheitssysteme und Forschung!

Da es bisher noch keine evidenzbasierten Behandlungsmethoden gibt, wird das Leben von vielen betroffenen Menschen "auf den Kopf gestellt", während sie eine lange, frustrierende Leidenszeiten ohne wirkliche Hilfe hinnehmen müssen, so Tedros.

Viele Ärzt:innen zeigen sich ebenfalls besorgt über die Entwicklungen. In einer Sermo-Umfrage unter 1.100 Ärzten weltweit sehen 62 Prozent eine Zunahme der Long-Covid-Symptome bei ihren Patienten in der Praxis. 57 Prozent der Befragten geben an, dass sie Patienten betreuen, die nach einer Infektion eine weitere Erkrankung (Autoimmunerkrankungen, Darmerkrankungen, Herzmuskelentzündungen, Vorhofflimmern usw.) neu diagnostiziert wurde. Long Covid wirke sich auch auf die mentale Gesundheit der Patienten aus: 77 Prozent der befragten Ärzt:innen geben an, dass sie bei ihren Long-Covid-Patienten eine Zunahme an psychischen Probleme feststellen konnten.

Zudem hat die Mehrheit der Ärzt:innen in der Befragung das Gefühl, dass es an klinischen Leitlinien für die Diagnose und Behandlung von Patienten mit Long-Covid in ihren Praxen mangelt. 86 bzw. 87 Prozent fehlen solche für die Diagnose und für die Behandlung.

Die ansteigende Anzahl an Long-Covid-Fällen wird gleichzeitig immer mehr zu einer Belastung auch für das medizinische Personal und die Gesundheitssysteme in den jeweiligen Ländern. Die WHO sieht daher dringenden Handlungsbedarf. Die Länder müssten auf die Patienten hören, bessere Daten sammeln, Informationen unter den Staaten austauschen und die Gesundheitspolitik gemäß den Erkenntnissen ausrichten.

Die Staaten müssten zugleich in ihre Gesundheitssysteme investieren und die Long-Covid-Forschung entschlossen vorantreiben, so WHO-Chef Tedros. So könnten Therapiemethoden entwickelt werden, während gleichzeitig die Patienten, die nicht mehr arbeiten können, finanziell unterstützt werden müssten.

In Rostock gibt es bereits ein deutschlandweit einmaliges Pionierprojekt für Corona-Langzeitkranke. Das neu gegründete Institut an der dortigen auf Lungenerkrankungen spezialisierte Klinik soll Betroffene, Krankenhäuser und Unternehmen in Sachen Long-Covid beraten. Geleitet wird die Initiative von der Expertin für Long-Covid-Erkrankungen Jördis Frommhold, Chefärztin der Rostocker Klinik und Präsidentin des neuen Ärzteverbandes Long Covid. Sie hat in den letzten Jahren mehr als 5500 Long-Covid-Patienten behandelt.

Die eindringlichen Mahnungen der WHO und von Gesundheitsexperten bezüglich Long-Covid finden statt vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen, Intensivbettenbelegungen und Todeszahlen. In Deutschland drängen Ärztevertreter in den Bundesländern daher zu weiteren Schutzmaßnahmen. Der Ärzteverband Marburger Bund rät zum Tragen von FFP2-Masken im ÖPNV und in öffentlichen Innenräumen. Angesichts der Situation von Krankenhäusern sagte dessen Vorsitzende Susanne Johna:

Das Personal geht jetzt schon wieder auf dem Zahnfleisch, ich mag mir nicht ausmalen, wie die Situation ist, wenn der Belegungsdruck auch durch viele Covid-19-Fälle weiter zunimmt oder sich gar eine zusätzliche Influenzawelle aufbaut.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Markus Beier, empfiehlt angesichts der prognostizierten Winterwelle eine Impfkampagne für die zweite Corona-Auffrischungsimpfung.

Die kalte Jahreszeit hat begonnen, der angepasste Impfstoff ist in ausreichender Menge vorhanden: Spätestens jetzt sollte die Impfquote in die Höhe schießen – tut sie aber leider nicht.

Die Ständige Impfkommission rät zu der Auffrischungs-Impfung für Menschen ab 60 Jahren und Gruppen mit Risikofaktoren. Bisher haben aber lediglich rund 28 Prozent der Über-60-Jährigen diesen Booster erhalten.