Wachstum der Weltbevölkerung schwächt sich weiter ab
Ohne Einwanderung könnte China schon bald schrumpfen. Es ist nicht das einzige Land, wie Weltbank-Daten zeigen, in dem Geburtenraten eindrucksvoll zurückgehen
Das Wachstum der Weltbevölkerung schwächt sich weiter ab, wie von der Weltbank aufbereitete Daten zeigen. In einigen Ländern mit keiner oder wenig Einwanderung schrumpft die Bevölkerung bereits, insbesondere in Europa. Auch in China könnte es bald soweit sein, wie eine kürzlich durchgeführte Volkszählung zeigt. Die Regierung in Beijing (Peking) hat daher dieser Tage die Beschränkungen für die Zahl der Kinder pro Familie weiter gelockert.
In manchem Kopf spukt hingegen noch immer die Vorstellung einer sich unaufhaltsam weiter vermehrenden Menschheit herum. Besonders wenn es um Fragen der Ressourcenausbeutung des Planeten oder den Klimawandel geht, wird weiter gerne von interessierter Seite auf hohe oder vermeintlich hohe Geburtenraten verwiesen, die das eigentliche Problem seien.
So als wenn jeder Arbeiter im Mumbai oder Lagos mit einem Privatjet zur Arbeit flöge, als wenn nicht immer wieder gezeigt worden wäre, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Einkommen und der Klimaschädlichkeit des jeweiligen Konsums gibt.
Dabei sinken weltweit seit Jahrzehnten die Geburtenraten. Besonders eindrucksvoll ist das derzeit in Asien zu beobachten. In der Region Ostasien und Pazifik, zu der auch Australien, Südostasien und die pazifischen Inselstaaten zählen, ist nach den Daten der Weltbank die durchschnittliche Zahl der Geburten pro Frau schon seit 1995 geringer als zwei. 2,1 gilt als der Wert, bei der die langfristige Reproduktion einer Gesellschaft gesichert ist.
Japan schrumpft bereits seit 2010 und in Südkorea war die Geburtenrate nach den Angaben der Weltbank 2019 bei 0,9 Geburten pro Frau angekommen, was weltweit einer der niedrigsten Werte sein dürfte. Geburten oberhalb der Reproduktionsrate gibt es in der Region nur noch in Indonesien, auf den Philippinen und in einer Reihe kleiner Inselstaaten.
Je nach Bevölkerungsstruktur können die Gesellschaften auch mit vergleichsweise niedriger Geburtenrate noch eine Zeit weiterwachsen, wenn es sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter gibt oder wenn die Lebenserwartung aufgrund besserer Ernährung und besserer medizinischer Versorgung deutlich zunimmt.
Lag es an Corona?
Das galt bisher auch für China, wo das Reproduktionsniveau bereits seit 1992 unterschritten wird, wie die Statistiken der Washingtoner Banker zeigen. Doch inzwischen hat sich im Land der Mitte das Wachstum fast erschöpft. Bei der Anfang Mai abgeschlossenen Volkszählung kam nach einem Bericht der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post heraus, dass die Bevölkerung zwar weiter auf nun 1,412 Milliarden Menschen gewachsen ist, die Zahl der Geburten 2020 aber gegenüber dem Vorjahr um beachtliche 18 Prozent abnahm.
Ist das vielleicht zumindest zum Teil der Pandemie und den mit ihr verbundenen Unsicherheiten geschuldet? Aus westlichen Ländern wie Großbritannien gibt es Berichte über einen deutlichen Corona bedingten Geburtenrückgang. In Deutschland scheint dieser jedoch bestenfalls moderat ausgefallen zu sein. Hierzulande wurde 2020 ein Rückgang der Geburten von 0,6 Prozent und zugleich mit 212.000 das - zusammen mit 2013 - höchste Geburtendefizit der Geschichte verzeichnet.
Allerdings war im vierten Quartal zwischen Rhein und Oder kein spürbarer Rückgang gegenüber den Vergleichszeiträumen der Vorjahre auszumachen, was gegen Corona-Auswirkungen spricht. In den USA hat hingegen die Geburtenrate im vierten Quartal 2020 um sechs Prozent gegenüber den Vorjahren abgenommen, heißt es beim Sender CNN. Der Vergleich mit dem starken ganzjährigen Rückgang in China zeigt zugleich, dass dort Corona bestenfalls nur ein Teil der Erklärung sein kann.
Nur noch minimales Wachstum
In der Volksrepublik geht seit 2017 die Zahl der Geburten stark zurück, wie die von der Hongkonger Zeitung zitierte offizielle Statistik ausweist. Die Geburtenrate sei inzwischen bei 1,3 angekommen, was noch unter dem deutschen Wert von 1,54 für 2020 liegt. Entsprechend sei die Bevölkerung laut Zensus 2020 nur noch um ein halbes Prozent gewachsen.
Damit könnte das weitere Wachstum in den nächsten Jahren vollends zum Stillstand kommen. Die erwerbstätige Bevölkerung schrumpft bereits seit einigen Jahren, und wie in den meisten westlichen Ländern altert die Gesellschaft. Daher wird auch in China über eine Anhebung des Rentenalters diskutiert. (Derzeit 60 für Männer und 55 für Frauen.)
Überraschend kommt das alles nicht. Schon um die Jahrtausendwende haben chinesische Wissenschaftler darauf hingewiesen und eine Lockerung der rigiden Familienplanung vorgeschlagen. Die sah bis vor Kurzem vor, dass Familien der Mehrheitsbevölkerung nur in Ausnahmefällen zwei Kinder pro Familie haben durften.
Meist war die Zahl auf ein Kind beschränkt. Bei Zuwiderhandeln drohten empfindliche Geldbußen und der Ausschluss der betroffenen Kinder von den kostenlosen Sozialleistungen. Für die religiösen und ethnischen Minderheiten galten etwas großzügigere Regeln.
Schwierige Familienplanung
Doch die Warnungen der Wissenschaftler stießen lange auf taube Ohren. Erst 2016 wurde schließlich die zulässige Zahl auf zwei Kinder pro Familie erhöht, und zuletzt - offensichtlich als Reaktion auf die jüngsten Zahlen - auf drei. Doch wird das vermutlich zu spät sein, um das baldige Schrumpfen der Bevölkerung aufzuhalten. Denn zum einen hat - auch das ein Ergebnis des jüngsten Zensus - die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter inzwischen stark abgenommen.
Zum anderen scheint es für junge Chinesen vor allem in den Städten immer schwieriger, Kinder zu bekommen. In der Hauptstadt Beijing mit ihren 21 Millionen Einwohnern ging die Zahl der Geburten 2020 um fast 25 Prozent zurück, berichtet die Hongkonger Zeitung an anderer Stelle.
Für jungen Chinesen machen es lange Arbeitszeiten, hohe Lebenshaltungs- und Wohnungskosten sowie die Gebühren für Kindergarten und Schule immer schwieriger, Kinder groß zu ziehen. Auch die niedrigen Renten sind für die Jungen ein Problem, denn ihre Eltern können vor allem wenn sie Bauern waren, von diesen nicht leben.
Traditionell wird in China bisher von den Kindern erwartet, dass sie die Alten versorgen, doch ohne oder mit nur wenigen Geschwistern ist das eine gewaltige Bürde. Die Regierung hat eine Erhöhung der Renten versprochen, doch Einzelheiten wurden bisher nicht mitgeteilt.
Ausweg Einwanderung?
Alle genannten Zahlen beziehen sich übrigens auf die einheimischen Bürger der Volksrepublik und beziehen weder Macau und Hongkong noch die im Land lebenden Ausländer ein.
Doch dauerhafte Einwanderung spielt in dem Land, das in historischen Zeiten viele christliche und jüdische Flüchtlinge oder auch arabische Kaufleute aufgenommen hat, kaum eine Rolle und ist bisher so gut wie unmöglich.
Ganz anders beim großen Gegenspieler, den USA. Bisher wächst die dortige Bevölkerung mit etwa 10,3 Millionen Menschen pro Jahrzehnt. Doch zuletzt ging auch in den USA die Zahl der Geburten deutlich zurück. Dabei galten die Vereinigten Staaten mit einer Geburtenrate über zwei pro Frau lange Zeit als Ausnahme unter den reichen Ländern.
Aber inzwischen liegt sie auch dort mit 1,7 Geburten pro Frau unter dem Reproduktionsniveau. Bleibt also auch jenseits des Atlantiks künftig die Einwanderung als das einzige Mittel, die Bevölkerung des nach wie vor für europäische Verhältnisse sehr dünn besiedelten Landes weiter wachsen zu lassen. Doch dem steht eine politische Rechte im Wege, die erhebliche Ressentiments gegen Zuwanderer hegt und in den letzten Jahren viele zusätzliche Repressalien gegen Migranten durchsetzen konnte.
Holt die USA auf?
Das brachte unlängst die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg, die dem wirtschaftsliberalen Flügel der Demokraten nahesteht, dazu zu warnen, dass so der Abstand zum Rivalen China nicht verkleinert werden könne. Die Nachrichtenagentur gehört jenseits des Atlantiks zu den Werbern für ein aggressives Vorgehen gegen Beijing und möchte gerne die NATO hierfür stärker einbinden.
Bloomberg-Kommentator Matthew Yglesias forderte letztes Jahr in seinem Buch gleichen Titels Eine Milliarde Amerikaner und zählt nun die zahlreichen ökonomischen Vorteile auf, die rasches Bevölkerungswachstum haben kann: Höhere Steuereinnahmen, mehr Arbeitsplätze auf dem Bau oder auch im Dienstleitungssektor, ein verbessertes Angebot an öffentlichen Dienstleistungen.
Doch vor allem geht es im Subtext um eines: Den Abstand zu China zu verkleinern, um die Vormachtstellung der USA zu verteidigen. Insofern darf man gespannt sein, ob die neue US-Regierung weiter an der restriktiven Einwanderungspolitik festhalten wird oder doch ihr Versprechen wahr macht, diese humaner und offener zu gestalten.