Waffen für die PKK?

Seite 2: Wenn die USA nicht bereit sind, Druck auf die Türkei, Saudi-Arabien und Katar auszuüben, sind sie nicht bereit, ernsthaft gegen den IS vorzugehen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was glauben Sie, wieso haben die USA so lange mit den Militärschlägen gegen den IS gezögert? Könnte es sein, dass man im Westen diese Dschihadisten deswegen gewähren ließ, um das Assad-Regime im syrischen Bürgerkrieg zu schwächen?

Ulla Jelpke: Ganz sicher ist das ein wesentlicher Grund. Der IS und seine Vorläuferorganisation ISIS, die Al-Qaida-Gruppe Nusra-Front aber auch die sogenannten gemäßigten Dschihadisten der Islamischen Front haben in Syrien ja bereits jahrelang schwerste Kriegsverbrechen einschließlich Massakern an vermeintlich Ungläubigen wie Alawiten, Jesiden und Christen oder Kurden verübt, ohne dass der Westen deswegen protestiert hätte. Ich kann mir auch vorstellen, dass die USA im sunnitischen IS anfangs auch im Irak ein gewisses Gegengewicht gegen die von ihr zwar selbst protegierte, aber doch aus Washingtonst Sicht zu stark unter iranischem Einfluss stehende Maliki-Regierung in Bagdad gesehen hat. Der Wunsch der USA war es ja, auf die IS-Offensive mit der Bildung einer neuen Bagdader Zentralregierung unter Einbeziehung von Sunniten und Kurden zu kontern, um so den schiitisch-iranischen Einfluss zurückzudrängen. Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass sich Obama eigentlich nicht wieder in einem Krieg im Irak verwickeln lassen will, bei dem er wahrlich keine Lorbeeren ernten kann.

Angesichts der Gräuel und Massaker, die der IS bei seinem Vormarsch begangen hat - würden Sie der Einschätzung zustimmen, dass es sich her um eine postmoderne klerikalfaschistische Organisation handelt? Diese Dschihadisten scheinen doch offensichtlich ein massenmörderisches Programm zu verfolgen, das auf die physische Auslöschung aller "Ungläubigen" abzielt. Dieser religiös motivierte Vernichtungswille hat nichts mit dem traditionellen Islam zu tun, der viel toleranter war als das traditionelle Christentum. Davon legen alleine schon all die religiösen Minderheiten wie die Jesiden Zeugnis ab, die Jahrhunderte im islamischen Kulturkreis überlebten - und die nun Gefahr laufen, vom IS ausgelöscht zu werden.

Ulla Jelpke: Ich tue mich in diesem Zusammenhang mit Begrifflichkeiten wie postmodern und der Übertragung des aus dem europäischen Zusammenhang stammenden Faschismusbegriffs auf die Situation im Nahen Osten schwer. Doch klar ist, dass wir es hier mit einer Bewegung mit eindeutig völkermörderischem Programm und einer entsprechenden Praxis insbesondere gegen sogenannte "Ungläubige" - also religiöse Minderheiten - zu tun haben. Ich weiß auch nicht, ob wir von einem "traditionellen Islam" reden können, denn auch in der Geschichte dieser Religion finden wir unterschiedliche Phasen und Strömungen. Es gab im Islam immer wieder auch dschihadistische Strömungen und tödliche Feindschaft gegen vermeintlich Un- oder Andersgläubige. Insbesondere die Jesiden waren als angebliche "Teufelsanbeter" in ihrer Geschichte Dutzenden Massakern und Genoziden durch sunnitische Muslime ausgesetzt. Doch ebenso gab und gibt es im Islam eine Tradition der Toleranz. Es ist wohl in fast jeder Religion so, dass sie zu völlig unterschiedlichen Zwecken ge- und missbraucht werden kann.

Wichtig erscheint mir, deutlich zu machen, dass unter den zahlreichen Opfern des IS auch viele gläubige sunnitische Muslime sind, die sich eben nicht dieses mittelalterliche Verständnis von Islam des IS zu eigen gemacht haben. Aus den Mordtaten des IS jetzt eine generelle Feindschaft gegen den Islam abzuleiten, wäre ebenso fatal wie mit dem Bekenntnis des früheren US-Präsidenten George W. Bush, Jesus habe ihm den Angriff auf den Irak befohlen, eine generelle Feindschaft gegen das Christentum zu begründen.

Wie beurteilen Sie die US-amerikanischen Militärschläge gegen den IS? Ist erstmal alles zu begrüßen, was die Macht dieser Terrormiliz unterminiert? Oder droht hier schon eine weitere Intervention des Westens, der unter dem Vorwand einer humanitären Katastrophe mal wieder seine eigenen Interessen durchsetzen will?

Ulla Jelpke: Ich halte von diesen Militärschlägen überhaupt nichts. Wer mit Kampfdrohnen und Bombern gegen eine in zivilen Städten und Dörfern verschanzte Terrorgruppe vorgeht, riskiert - wie in Afghanistan und Pakistan - zahlreiche zivile Opfer. Die Irak- und Nahostpolitik der USA ist ja eine der zentralen Ursachen für die jetzige Situation. Es waren die USA und ihre Verbündeten, die nicht nur Saddam Hussein gestürzt, sondern zugleich den ganzen irakischen Staat zerstört und dann die antisunnitische Maliki-Regierung an die Macht gebracht haben. Es waren die USA und ihre Verbündeten, die die syrische Opposition aufgerüstet haben - diese Waffen und viele der Kämpfer finden wir jetzt in den Reihen des IS. Wenn die USA gleichzeitig nicht bereit sind, Druck auf die Türkei, Saudi-Arabien und Katar auszuüben, um die Nachschubwege des IS dicht zu machen, beweist mir das nur, dass Washington gar nicht wirklich bereit ist, ernsthaft gegen den IS vorzugehen.

Wie beurteilen Sie die Waffenlieferungen des Westens an die Kurden? Davon scheinen derzeit nur die irakischen Peschmerga zu profitieren, während die YPG - die sich als besonders effektiv im Kampf gegen die Dschihadisten erwies - leer ausgeht. Soweit ich mich richtig entsinne, haben Linke in den 1980ern Sammlungen für die aufständischen Bewegungen in Mittelamerika organisiert.

Ulla Jelpke: Ich möchte zuerst einmal deutlich machen, dass ich selbstverständlich für das Recht der Kurden auf bewaffnete Selbstverteidigung eintrete. Da bin ich keine weltfremde Pazifistin. Und ich habe in Rojava gesehen, dass etwa bei den YPG der Bedarf nach besserer Ausrüstung, Schutzkleidung und auch Waffen besteht. Gleichzeitig fällt auf, dass die YPG und auch die PKK bislang gar nicht laut nach Waffenhilfe durch das Ausland rufen. Diese Organisationen könnten sich selber die benötigten Mittel besorgen, doch die Listung der PKK auf den Terrorlisten von USA und EU und das Embargo gegen Rojava behindern sie. Wenn wir wollen, dass die YPG bessere Ausrüstung bekommt, müssen wir also erst einmal gegen dieses Embargo mobilmachen. Und wer die Guerilla unterstützen will, muss erstmal ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland und ihre Streichung von der Terrorliste durchsetzen.

Es ist die kurdische Regierung im Irak, die solche Hilfe für ihre 200.000 Peschmerga fordert, obwohl diese sowieso zahlenmäßig viermal so stark sind wie YPG und PKK-Guerilla und erst in Juni in Kirkuk große Mengen moderner Waffen der irakischen Armee erbeutet haben. Wenn heute Waffen geliefert werden, kommen diese erst einmal den Peschmerga - wahrscheinlich vor allem denjenigen der KDP - zu gute.

Ich habe da die Sorge, dass diese Waffen zukünftig auch für erneute innerkurdische Bruderkriege etwa gegen Rojava, gegen die PKK oder auch gegen die PUK, die sich möglicherweise der Ausrufung eines unabhängigen Staates durch Barsani widersetzt, zum Einsatz kommen. Die PKK fordert zurecht die Bildung eines gemeinsamen militärischen Oberkommandos aller gegen den IS kämpfenden Verbände. Das wäre nicht nur zum Kampf gegen die Dschihadisten entscheidend, sondern auch eine gewisse Garantie dafür, dass Waffenlieferungen allen zu Gute kommen und nicht etwa nur einer Parteiarmee.

Die Position der Linkspartei in diesem Konflikt ist umstritten. Gregor Gysi hat die Waffenlieferungen begrüßt, andere Politiker der Linkspartei haben dies vehement kritisiert. Wie sehen Sie diese parteiinterne Diskussion? Stehen sich hier mal wieder rechte Realpolitiker und linke Oppositionspolitiker gegenüber, oder gibt es da andere Frontverläufe?

Ulla Jelpke: Am Anfang sah es ja von außen so aus, als gäbe es neue Frontverläufe. Dazu beigetragen hat auch eine etwas ungeschickte Formulierung von mir in einem Interview, das ich in Rojava dem Deutschlandfunk gab. Da hatte ich mich für eine Strategie und "Aktionen militärischer Art" gegen den IS ausgesprochen.

Gemeint habe ich natürlich ein koordiniertes bewaffnetes Vorgehen der YPG, der Guerilla und der Peschmerga und nicht etwa die von mir schon zuvor abgelehnten Luftangriffe der USA oder ein ausländisches Eingreifen. Aber das kam missverständlich rüber und als dann Gysi sich für Waffenlieferungen an die Kurden aussprach, konnte es für einige so wirken, als sei ausgerechnet die Linke Jelpke aus dem antimilitaristischen Grundkonsens ausgeschert und habe hier einen von den sogenannten Reformern immer wieder beschworenen Einzelfall für ein militärisches Eingreifen gefunden. Doch dem war keineswegs so, wie ich umgehend klarmachte.

In einer Presseerklärung habe ich deutlich gemacht, dass nicht die US-Luftangriffe sondern PKK und YPG Zehntausende Jesiden gerettet haben. Ich weiß nicht, was Gregor Gysi geritten hat, als er hier im Alleingang grundsätzliche programmatische Forderungen der Linken wie das völlige Rüstungsexportverbot zur Disposition stellte. Vielleicht war es wirklich vor allem die Hilflosigkeit angesichts der Berichte über die Massaker des IS. Gysi ist ja inzwischen auch wieder etwas zurückgerudert.

Eine Reihe von Kurden hat erbost über unsere Ablehnung von Waffenlieferungen reagiert. Dazu möchte ich nur sagen, dass wir hier eine grundsätzliche programmatische Position vertreten, da schon viel zu viele Waffen im Umlauf sind. Wir lehnen Waffenlieferungen auch in diesem Fall ebenso ab wie wir aus grundsätzlichen Gründen unserer Gegnerschaft zur Kernenergie etwa auch gegen den Bau eines Atomkraftwerks auf Kuba wären, obwohl wir der dortigen Regierung mit Sympathien gegenüber stehen.

Inzwischen will auch die Bundesrepublik sich an Waffenlieferungen beteiligen. Besteht die Gefahr, dass Berlin die humanitäre Krise und die Massaker des IS in Syrien und Irak dazu nutzt, um die Militarisierung deutscher Außenpolitik weiter zu forcieren?

Ulla Jelpke: Definitiv. Es gibt ja eigentlich ein Rüstungsexportverbot in Krisengebiete. Doch auch dagegen verstößt die Bundesregierung permanent, wenn sie etwa die Türkei, die ja Frontstaat gegenüber Syrien und dem Irak ist und im eigenen Land blutig gegen die Kurden vorgeht, mit dem Argument weiter hochrüstet, es handele sich ja um einen NATO-Partner. Bei den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien gilt ja nicht einmal dieses Argument der NATO-Partnerschaft.

Mit den Waffenlieferungen an die Peschmerga bezweckt die Bundesregierung wohl dreierlei. Zum einen will sich Berlin das Wohlwollen der Kurden in dieser geopolitisch wichtigen, rohstoffreichen Region erhalten. Zum zweiten hofft die deutsche Rüstungsindustrie auf lukrative Aufträge - ob daraus was wird, wird sich zeigen, da die bisher zur Lieferung versprochene Technik Uraltmaterial aus Bundeswehrbeständen ist. Aber wenn - und damit komme ich zum dritten Punkt - mit der Aufrüstung der kurdischen Parteimilizen erstmal ein Präzedenzfall für Waffenlieferungen an eine unmittelbar im Kampf stehende Truppe in einem Krisengebiet geschaffen wurde, wird es bald weitere solcher Fälle in anderen Weltregionen geben, in denen die Bundesregierung dann auch Bestellungen von deutschen Neuwaffen absegnen wird.

Wenn Berlin den Kurden jetzt ernsthaft unter die Arme greifen wollte, würde erst einmal die humanitäre Hilfe für die vielen hunderttausend Flüchtlinge ganz massiv aufgestockt. Doch statt Zelten und Decken liefert die Bundesregierung offenbar lieber Raketen. Das ist schon bezeichnend für deren Prioritäten.