Waffenexporte: Frankreich will freie Bahn von Deutschland

Seite 2: Rüstungsverkäufe als notwendige Basis europäischer Sicherheitspolitik?

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Sie begründet dies damit, dass eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, die sich angesichts der Trumpschen Disruptionen mehr auf eigene Beine stellen will, eine Rüstungsindustrie mit großen Kapazitäten brauche. Da die europäischen Länder bislang nicht so weit sind, um die Produktion, die aus größeren Kapazitäten entsteht, abzunehmen, brauche die Rüstungsindustrie Abnehmer außerhalb Europas.

Ohne industrielle und technologische Verteidigungsbasis, das heißt eine Industrie, die in der Lage ist, die für uns erforderlichen Kapazitäten selbst zu produzieren, sind wir weiterhin bei unseren kapazitären Entscheidungen und dem Einsatz unserer Streitkräfte, das heißt bei unseren politischen Entscheidungen, von Akteuren außerhalb Europas abhängig.

Notwendige Ausrüstung zu vertretbaren Kosten für unsere Streitkräfte bereitstellen zu können, hängt ebenfalls von unserer Fähigkeit ab, sie gemeinsam produzieren zu können, um größtmögliche Kosteneinsparungen zu erzielen, aber auch von unserer Fähigkeit langfristig unsere dafür notwendige Technologiekompetenz und unser industrielles Know-how zu bewahren. (…)

Der europäische Markt für Verteidigungsgüter reicht jedoch nicht aus, um die dafür notwendige Industrie effizient zu machen und die Stückpreise für militärische Ausrüstungsgüter ausreichend zu senken.

Anne-Marie Descôtes

Man könne "nicht gleichzeitig eine wettbewerbsfähige und technologisch fortschrittliche europäische Verteidigungsindustrie haben, die in der Lage ist, die Ausrüstungsgüter herzustellen, die wir brauchen, begrenzte Verteidigungsbudgets haben, und andererseits einseitige Ausfuhrkontrollen durchsetzen, die verhindern, dass gemeinsam produzierte Güter exportiert werden", so die französische Botschafterin. Es könnten nur zwei dieser drei Zielsetzungen gleichzeitig umgesetzt werden, nicht alle drei.

Dass manche Empfänger von Waffenlieferungen diese dann für Missionen verwenden, die zu Massenleid und Massenflucht führen, ist nicht das Thema von Anne-Marie Descôtes. Sie geht kurz darauf ein, dass es auch Länder gibt, die nichts mit dem Jemenkrieg zu tun haben, als ob sich die Bedenken über Waffenexporte nur auf die Golfstaaten und den Krieg im Süden der arabischen Halbinsel beziehen. Das Beispiel des Vorgehens der Türkei in Afrin verweist darauf, dass viel mehr mitbedacht werden muss als der Jemenkrieg.

Die französische Botschafterin hat aber anderes als solche Wirklichkeitsauschnitte im Auge. Sie referiert eine lange Reihe von Vorschriften und Sicherheitskriterien, die zeigen sollen, wie vorsichtig und sorgfältig die politischen Entscheider theoretisch mit Waffenexporten umgehen. Argumentativ liegt ihr Zentrum aber nicht bei der Einschätzung der Risiken, die sich praktisch durch die Waffenexporte ergeben.

Die Botschafterin zeigt an, dass die Regierung in Paris sehr ungeduldig wird. Sie will nicht, dass Deutschlands Innenpolitik lange an der Frage herumerörtert. Die Geschäftsinteressen gehen vor. Die Unvorhersehbarkeit der deutschen Politik führe zu Besorgnis bei den europäischen Partnern Deutschlands, so Descôtes.

Laut Spiegel laufen zum Thema Waffenexporte schon länger Gespräche zwischen Frankreich und Deutschland. Ziel ist ein Abkommen auf der Grundlage engerer Beziehungen, wie sie der erneuerte Freundschaftsvertrag von Aachen bekundet. Bei den Verhandlungen ging es auch um Produktionsanteile. Frankreich und Deutschland entwickeln zusammen ein Kampfflugzeug der nächsten Generation (FCAS) und einen Kampfpanzer der nächsten Generation (MGCS).

In Frankreich kursierten, gestützt auf Informationen des Spiegel, Verhandlungszwischenergebnisse, wonach die Schwelle von 20 Prozent deutschem Produktionsanteil der Maßstab dafür sei, ob Frankreich bei einem Export die Bewilligung aus Berlin brauche. Die Anteilsregelung nahm die SPD für ihren Standpunkt auf.

Nach Informationen des RND ist die SPD bereit, die vollständige Blockade aufzugeben und jene Exporte für Gemeinschaftsprojekte zuzulassen, bei denen der Anteil deutscher Bauteile je nach Gesamtvolumen 10 bis 20 Prozent nicht überschreitet. Damit sollen die über den Exportstopp verärgerten französischen und britischen Bündnispartner besänftigt werden.

FAZ

Im Zusammenhang mit der französischen und britischen Kritik am deutschen Exportstopp kam auch die Idee etwa bei französischen Herstellern auf, bei der Waffenherstellung ein Etikett "German free" einzuführen, um Hindernisse beim Verkauf und der Ausfuhr gänzlich aus dem Weg zu räumen.

Da Unternehmen jedoch Investitionsentscheidungen treffen müssen, die sie über mehrere Jahrzehnte binden, führt diese Rechtsunsicherheit dazu, dass immer mehr von ihnen sich für "German-free"-Strategien entscheiden, um so Ausrüstungen ohne deutsche Komponenten produzieren zu können.

Anne-Marie Descôtes

Davon hält Anne-Marie Descôtes allerdings wenig. Das sei gefährlich. "Sollte sich dieser Trend bestätigen", so schreibt sie, "hätte das ernste und dauerhafte Konsequenzen für unsere Fähigkeit zur Annäherung von Unternehmen und für die Umsetzung gemeinsamer Programme. Kurzfristig könnten die Autonomie Europas und seine Mittel, den Bedrohungen zu begegnen und seine eigene Sicherheit und seine Interessen zu verteidigen, gefährdet sein. Für die deutsch-französischen Beziehungen steht hier viel auf dem Spiel".