Waffengewalt in Brasilien trifft vor allem schwarze Jugendliche
Universitätsstudie belegt ethnische Unterschiede bei Morden. Das Problem dürfte unter dem Ultrarechten Bolsonaro zunehmen
Afrobrasilianische Jugendliche in Brasilien sind 2,7 Mal häufiger Opfer von Tötungen durch staatliche Kräfte und Morden durch Kriminelle betroffen als weiße Jugendliche.
Das geht aus einer statistischen Erhebung hervor, die eine massive Ungleichheit bei tödlicher Gewalt und staatlicher Repression in dem südamerikanischen Land belegt. In der Metropole Rio de Janeiro endete demnach im Jahr 2016 eine Periode der relativen Stabilität. Seitdem steigt die Zahl von Morden und Tötungen durch staatliche Kräfte wieder an.
Der Bericht wurde vom Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (Instituto de Pesquisa Econômica Aplicada, Ipea) und dem Brasilianischen Forum für Öffentliche Sicherheit (Fórum Brasileiro de Segurança Pública, FBSP) erstellt. Im Zeitraum eines Jahrzehnts, zwischen 2006 und 2016, stieg die Mordrate in der afrobrasilianischen Bevölkerung demnach um 23,1 Prozent, während die Rate der gewaltsamen Tötungsdelikte unter den weißen Brasilianern um 6,8 Prozent zurückging. In diesem Zusammenhang waren schwarze Frauen von 71 Prozent mehr registrierten Morddelikten betroffen als weiße Frauen, die Dunkelziffer liegt höher.
Naylane Mendonça Pinto, Professorin an der Universität UFRRJ in Rio de Janeiro, bezeichnete mit Blick auf diese Entwicklung die 2008 gegründeten "befriedenden Polizeieinheiten" (Unidade de Polícia Pacificadora, UPPs) in Rio de Janeiro als gescheitert. Diese Polizeieinheiten sind damit beauftragt, vor allem in Armenviertel kriminelle Strukturen wie Drogenbanden zurückzudrängen, als Vorbild dienten entsprechende Kommandos im kolumbianischen Medellín. Beim Vorgehen der UPPs seien sozialpolitische Ansätze jedoch nie beachtet worden, stattdessen habe die Polizei auf eine generelle Aufrüstung und Verstärkung der Repression gesetzt, so Mendonça Pinto. Dabei spielten Großereignisse wie die Olympischen Spiele 2016 eine zentrale Rolle.
"Ohne eine Reihe von Maßnahmen zur sozialen Begleitung und des Schutzes schwarzer Jugendlicher werden die Tötungsraten auf einem hohen Niveau bleiben", prognostizierte Mendonça Pinto, die mit Blick auf den Untersuchungszeitraum von einem "Jahrzehnt der verlorenen Jugend" sprach. Brasilien brauche einen Sozialstaat, der die Lebensqualität der Menschen in den Vordergrund stelle und die massenhaften Morde als ein soziales Problem erkenne und bekämpfe, fügte sie an.
Die UFRRJ stellte auch fest, dass aufgrund ausbleibender strafrechtlicher Ermittlungen nur wenige Todesfälle durch polizeiliche Gewalt in den offiziellen Statistiken einfließen. Schon 2016 sind pro 100.000 Jugendlichen in Rio de Janeiro 87,7 Morde verzeichnet worden. Die Expertin für öffentliche Sicherheit und Kriminalsoziologie kritisierte daher gezielte Polizeiaktion gegen afrobrasilianische Jugendliche und den institutionellen Rassismus gegen diese Bevölkerungsgruppe.
Die Waffengewalt in Brasilien wird voraussichtlich weiter zunehmen. In einem Interview hatte sich der designierte Präsident Jair Bolsonaro auch zu einer von ihm angestrebten Liberalisierung des Waffenrechtes und einer Verschärfung der Politik gegenüber sozialen Bewegungen geäußert. Das betrifft nicht nur die städtische Bevölkerung, sondern auch soziale Bewegungen.
Vor allem von der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der Obdachlosen in dem von massiven sozialen Gegensätzen geprägten Land dürften diese Stellungnahmen daher mit Sorge aufgenommen werden. Landbesetzungen durch die MST-Bewegung will Bolsonaro künftig nicht mehr akzeptieren und als Terrorismus verfolgen lassen. Er werde weder mit der Landlosenbewegung noch mit der Bewegung der obdachlosen Arbeiter Gespräche führen, sagte er gegenüber RecordTV. "Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. Das Privateigentum ist heilig", so Bolsonaro.
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