Wagenknecht-Partei: Countdown zur Gründung und Streit um Mandate
Manifest veröffentlicht: Neun Abgeordnete folgen Wagenknecht beim Austritt aus der Linkspartei. Wer dabei ist – und wer Mandatsverzicht fordert.
Vieles war vorab bekannt, aber zwei echte Neuigkeiten gab es bei der Vorstellung des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) an diesem Montag in den Räumen der Bundespressekonferenz.
Erstens: Die Namensgeberin und Gleichgesinnte haben dort ihren Austritt aus der Partei Die Linke verkündet – über den Zeitpunkt dieses Schritts bestand zumindest im Parteivorstand bis zuletzt Unklarheit, obwohl es seit Wochen oder Monaten ein offenes Geheimnis ist, dass aus dem "Wagenknecht-Lager" heraus eine neue Partei gegründet werden soll.
Zugleich schien es, als wollten die Beteiligten in ihrer nun Ex-Partei noch möglichst lange mitreden – weshalb ihnen Ko-Parteichef Martin Schirdewan mit Ausschlussverfahren drohte, nachdem Wagenknecht die Neugründungsabsicht offiziell gemacht hatte.
Zweitens: Die neue Partei soll nicht "Bündnis Sahra Wagenknecht" heißen. Der Verein dient nur der Vorbereitung, der eigentliche Parteiname soll bis zur Gründung bekannt gegeben werden.
Bei der Bundestagswahl könne sie selbst nur in einem Bundesland kandidieren, in den anderen Bundesländern nicht, betonte die Ex-Chefin der Bundestagsfraktion der Linken am Montag: "Die Menschen müssen aber identifizieren können, welche Partei das ist", sagte Wagenknecht im Rahmen der Vorstellung des neuen Projekts, für das nun eifrig um Spenden geworben wird.
Auf dem Podium saßen die bisherige Ko-Vorsitzende der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, sowie der Abgeordnete Christian Leye, der ehemalige Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön, und der Unternehmer Ralph Suikat.
Die neue Partei solle im Januar 2024 gegründet werden und schon bei der Europawahl im Juni antreten, sagte Schön, der als Geschäftsführer des Vereins firmiert. Der Landesverband der Linken in Nordrhein-Westfalen hat nach Medienberichten Strafanzeige gegen Schön erstattet, weil er in seiner früheren Funktion unbefugt Mitgliederdaten kopiert haben soll.
Aus der Bundestagsfraktion der Linken haben neben Wagenknecht, Leye und Mohamed Ali die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen, Ali Al-Dailami, Zaklin Nastic, Andrej Hunko und Jessica Tatti eine am Montag veröffentlichte Austrittserklärung unterzeichnet.
Darin werfen Sie dem Parteivorstand vor, durch falsche Schwerpunkte und fehlende Konzentration auf soziale Gerechtigkeit und Frieden das Profil der Partei zu verwässern. Sie betonen aber zugleich, "ohne Groll" zu gehen und nicht nachtreten zu wollen.
Das sagen Abgeordnete, die Direktmandate holten
Ihre Mandate wollen sie erwartungsgemäß vorerst behalten – was teilweise für heftigen Unmut bei ihren Ex-Parteifreunden sorgt, während andere Noch-Mitglieder an sie appellieren, ihre Mandate weiter auszuüben. "Ihr Mandat abgeben müssten im Gegenteil diejenigen Linken, die in der Vergangenheit immer wieder gegen ihr eigenes Parteiprogramm gehandelt haben und es weiter tun", hießt es in einer entsprechenden Erklärung, die Telepolis vorab vorlag und für die Unterschriften gesammelt werden.
Wagenknecht galt in der Partei zwar lange als prominentes "Zugpferd" – allerdings haben weder sie noch andere der jetzt Ausgetretenen bei der Bundestagswahl 2021 eines der drei Direktmandate erhalten, denen Die Linke mit nur 4,9 Prozent ihren Wiedereinzug in den Bundestag verdankt.
Diese Direktmandate gingen damals an die Ex-Parteichefs Gregor Gysi und Gesine Lötzsch sowie an den Leipziger Abgeordneten Sören Pellmann. Alle drei veröffentlichten an diesem Montag eine Presseerklärung, in der sie die ausgetretenen Fraktionsmitglieder einschließlich Wagenknecht zum Mandatsverzicht aufforderten.
Sie sind für die von ihnen kritisierte Linke gewählt worden. Behielten sie ihre Mandate, dann beginnen sie ihre Neugründung mit einem höchst unmoralischen "Diebstahl".
Aus der gemeinsamen Erklärung von Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellman
Es geht auch um Beschäftigte der Bundestagsfraktion
Sonst könnten Parteimitglieder nachrücken, die auf weniger aussichtsreichen Listenplätzen kandidiert hatten. Es geht nicht zuletzt um die Jobs der Mitarbeitenden. "Ich halte das für eine echte Sauerei, auf dem Rücken der Beschäftigten der Bundestagsfraktion solche egoistischen Spiele zu betreiben", sagte Linken-Ko-Chef Schirdewan am Montag in Berlin mit Blick auf die Weigerung, die Mandate zurückzugeben.
Durch Nachrücker aus den Reihen der Linkspartei würden "die Existenz der Fraktion" und die Arbeitsplätze gesichert, so Schirdewan. Noch hat die Fraktion 38 Mitglieder. Wenn mehr als zwei von ihnen austreten oder ausgeschlossen werden, verliert sie den Fraktionsstatus und kann nur noch als Gruppe weitermachen. Die Ausgetretenen haben daher angeboten, vorerst ohne Parteibuch Fraktionsmitglieder zu bleiben.
Unterstützt werden sie dabei von einer Gruppe ehemaliger und Noch-Mitglieder Linkspartei, die von einer existenziellen Krise der Partei sprechen und in einem Appell, für den weiter Unterschriften gesammelt werden, schreiben:
Wir möchten Euch bitten, Euer Mandat als Bundestagsabgeordnete unbedingt weiter auszuüben und im Bundestag auch weiterhin aktiv im Sinne des Erfurter Grundsatzprogramms der Linken zu wirken, wenn es zu einer Trennung bzw. der Auflösung der Bundestagsfraktion der Partei kommen sollte.
Aus: Offener Brief an Abgeordnete: "Existenzielle Krise der Partei Die Linke"
Inhaltlich hat das "Bündnis Sahra Wagenknecht" seine Positionen in einem Gründungsmanifest umrissen, das auf seiner Homepage einsehbar ist. "Unser Land ist in keiner guten Verfassung. Seit Jahren wird an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert. Statt Leistung zu belohnen, wurde von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt", heißt es darin.
Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl höher steht als egoistische Interessen und in der nicht Trickser und Spieler gewinnen, sondern diejenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten.
Aus dem Gründungsmanifest des "Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – Für Vernunft und Gerechtigkeit
Auch vom friedlichen Zusammenleben der Völker und der Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen ist die Rede. Allerdings wird unter anderem kritisiert, dass der Staat den Menschen vorschreiben wolle, wie sie zu heizen haben. "Ohne einen politischen Neuanfang stehen unsere Industrie und unser Mittelstand auf dem Spiel", heißt es in dem knapp 2.000 Zeichen umfassenden Manifest.
Ausführlicher wird im Themenbereich "Wirtschaftliche Vernunft" – dort wird neben den Russland-Sanktionen die "vermeintliche Klimapolitik" als Gefahr für Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland ausgemacht. Auch durch ein Versagen der Kartellbehörden sei eine Marktwirtschaft geschaffen worden, "in der viele Märkte nicht mehr funktionieren". Angestrebt wird laut Homepage "eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand".
Im Themenbereich "Soziale Gerechtigkeit" heißt es unter anderem:
Auch wer jahrelang gearbeitet und in die Sozialversicherung eingezahlt hat, wird schon nach einem Jahr Arbeitslosigkeit wie ein Bittsteller behandelt. Weil Kita-Plätze fehlen und unsere Gesellschaft alles andere als familienfreundlich ist, leben besonders häufig Alleinerziehende und ihre Kinder in Armut, die durch die Umbenennung von Hartz IV in "Bürgergeld" nicht erträglicher geworden ist.
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) / Themen / Soziale Gerechtigkeit
Der persönliche Wohlstand dürfe keine Frage der sozialen Herkunft, "sondern muss das Ergebnis von Fleiß und individueller Anstrengung sein". Darüber hinaus gibt es noch die Themenbereiche "Frieden" und "Freiheit". Eine Begrenzung der Migration – neben der Klimapolitik einer der wichtigsten Streitpunkte zwischen Wagenknecht und der Linkspartei – wird unter dem Punkt "Freiheit" gefordert:
Wir wissen: Den Preis für verschärfte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum, um Jobs mit niedrigen Löhnen und für eine misslungene Integration zahlen nicht in erster Linie diejenigen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Wer in seiner Heimat politisch verfolgt wird, hat Anspruch auf Asyl. Aber Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt.
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) / Themen / Freiheit
So beschreibt der Ex-Parteichef inhaltliche Differenzen
Der Ex-Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, über den Wagenknecht in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" schon vor der letzten Bundestagswahl schrieb, sein Name sei "zu recht vergessen", kommentierte ihren Austritt auf seiner Facebook-Seite einerseits als "Chance", weil die Verhältnisse nun klar seien.
Er nannte es aber auch "unanständig", dass die Ausgetretenen ihre Mandate behalten wollen. Ausführlich erklärte Riexinger, was aus seiner Sicht die Haltung des Parteivorstands von der "linkskonservativen" Linie Wagenknechts unterscheidet:
Wir sind sind nicht "linkskonservativ" sondern links und sozialistisch. Wir setzen uns unbestechlich für die Interessen der Lohnabhängigen ein, unabhängig ob sie Herkunftsdeutsch, Migrant:innen oder Geflüchtete sind. Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen, sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wir stärken das Öffentliche und entsprechend wollen wir öffentliches und genossenschaftliches Eigentum stärken.(…)
Wir stehen fest an der Seite der Gewerkschaften, der Klimaschutzbewegung, sozialer und antifaschistischer wie antirassistischer Bewegungen.
Bernd Riexinger, Ex-Parteichef Die Linke
Die aktuelle Ko-Chefin der Linken, Janine Wissler, nannte das Agieren des BSW "unverantwortlich":
Wenn man feststellt, dass die Linke nicht mehr die eigene politische Heimat ist und man etwas Neues gründen will, dann hat jeder das Recht dazu. Aber anständig wäre es, die Mandate niederzulegen, dann bliebe der Fraktionsstatus erhalten und es würden Menschen nachrücken.
Janine Wissler, Ko-Parteichefin Die Linke
Wagenknecht und Co. trügen die Verantwortung dafür, dass die Bundestagsfraktion ihren Status verliere. "Wir sind mit dem heutigen Tag quasi geschiedene Leute", sagte Wissler dem Hessischen Rundfunk. Jetzt müsse man schauen, wie lange die Abwicklung dieser Scheidung dauere.