Wahl eines Medien-Oligarchen zum Geheimdienstchef trieb Bulgaren auf die Barrikaden
Gestern hat das bulgarische Parlament Peevskis Wahl unter dem Druck der Öffentlichkeit rückgängig gemacht
Es wäre in Deutschland sicherlich undenkbar, dass die Bundeskanzlerin dem Bundestag vorschlägt, den Herausgeber der Bild-Zeitung zum Präsidenten des Verfassungsschutzes zu wählen. In Bulgarien ist am vergangenen Freitag so etwas Ähnliches passiert. Ministerpräsident Plamen Orescharski schlug der 42. Bulgarischen Volksversammlung vor, Deljan Peevski zum neuen Chef der "Staatlichen Agentur für Nationale Sicherheit" (DANS) zu wählen. Die Stimmen der "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP) und der türkischen "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS) reichten dafür aus. Der PDS-Abgeordnete Peevski führt neben seiner politischen Tätigkeit zusammen mit seiner Mutter die Geschäfte der "Nova Mediina Grupa Bulgaria" (NMGB), Bulgariens größter Medienkonzern.
"Künftig wird die DANS handeln und nicht nur reden wie in der Vergangenheit", tönte der massige Zweimeter-Mann Peevski in seiner ersten Stellungnahme zu seiner Wahl. Für viele Bulgaren musste dies wie eine Drohung klingen. Zehntausend protestierten noch am Freitagabend vor dem Ministerrat im Zentrum Sofias gegen Peevskis Wahl zum Chef des wichtigsten Geheimdienstes des Landes. Und obwohl Peevski nur einen Tag nach seiner Wahl bereits wieder seinen Rücktritt vom Amt verkündete, gingen auch an den folgenden Abenden Zigtausende in Sofia und vielen bulgarischen Städten auf die Straße, schimpften die Regierung "Mafia!" und forderten ihren Rücktritt.
Damit erlebte die versandete Protestbewegung, die sich im Februar 2013 zunächst gegen hohe Strompreise richtete, dann eine radikale Reform des politischen Wahlsystems forderte und schließlich das rechtsgerichtete Kabinett Boiko Borissov aus dem Amt gejagt hat, ihre wundersame Wiederauferstehung. Sie scheint vielen Bebobachtern nun mächtiger denn je, so erscheint ungewiss, ob und wenn ja wie lange die Regierung Orescharski ihr standhalten kann.
Repräsentant der "Schurobadschanaschtina"
Womit aber hat sich der erste dreiunddreißigjährige Deljan Peevski beim bulgarischen Volk so unbeliebt gemacht, dass es massenweise auf die Straßen strömt, ihn zu verfluchen? Er personifiziert wie kaum ein anderer die "Schurobadschanaschtina", die bulgarische Abart von Cliquenwirtschaft und Verflechtung von Politik und Kapital und seine Medien praktizieren eine Höchstform der Pervertierung von Journalismus. Peevski gilt als das Wunderkind der bulgarischen Politik; gerademal zwanzigjährig wurde er ohne jegliche Ausbildung Staatssekretär im Transportministerium, zwei Jahre später Direktor von Bulgariens größtem Schwarzmeerhafen Varna. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren wurde er noch vor Abschluß seines Jura-Studiums stellvertretender Minister für Katastrophenfragen mit der Zuständigkeit für die bulgarischen Staatsreserven.
Ebenso bemerkenswert verlief der Aufstieg seiner Mutter Irena Krasteva zur führenden Medienunternehmerin Bulgariens. Ohne jegliche Medienerfahrung erwarb die frühere Direktorin der staatlichen Totogesellschaft seit 2007 in schneller Folge Tageszeitungen und Wochenblätter, Online-Medien, Druckereien und Grossounternehmen. Heute gilt ihre NMGB als Bulgariens mächtigster Medienkonzern, dem auch Fernsehsender zugerechnet werden. Von Anfang an schien klar, dass die einstige Staatsbeamtin persönlich kaum über das zum Aufbau eines Medienimperiums nötige Kapital verfügen könne, dass sie vermutlich als Strohfrau für Hintermänner agiere. Inzwischen ist bekannt, dass der Banker Tsvetan Vassilev von der Korporativen Handelsbank (KTB) als starker Mann hinter ihr steht. Auf den Konten der vergleichsweise kleinen KTB liegen unverhältnismäßig hohe Geldsummen staatlicher Unternehmen vor allem der Energiewirtschaft.
Das Deponieren großer Staatsvermögen in der KTB gilt als Grund, warum alle vom Tandem Krasteva/Peevski mit Krediten der KTB übernommenen Medien weniger journalistische Standards pflegen als unverblümte Parteinahme für die jeweils Herrschenden. Attackierten sie bis Juli 2009 den Herausforderer für das Ministerpräsidentenamt Boiko Borissov scharf, so schwenkten sie nach dessen Wahlsieg umstandslos um und boten ihm während seiner gesamten Regierungszeit bedingungslosen "Medienkomfort". Nachdem Borissov Mitte Februar zurückgetreten ist, haben sie ihren Kurs wieder geändert und führen seitdem massive Diskreditierungskampagnen gegen ihn und vor allem Ex-Innenminister Tsvetan Tsvetanov durch.
Deljan Peevski sitzt zum zweiten Mal als Abgeordneter im bulgarischen Parlament. In den Jahren 2009 bis 2013 gab er sich schweigsam, ergriff so gut wie nie das Wort vom Rednerpult. In den letzten zwei Jahren der 41. Bulgarischen Volksversammlung soll er überhaupt an gar keiner Parlamentssitzung mehr teilgenommen haben. Dagegen trat er bereits in den ersten Tagen der 42. Bulgarischen Volksversammlung mehrfach in erhitzte Wortgefechte ein mit Tsvetan Tsvetanov, der nun für die Ex-Regierungspartei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) im Parlament sitzt. "Herr Tsvetanov, Sie haben viele Lügen geäußert, jetzt wird aber bekannt werden, mit wie vielen Kriminellen Sie sich getroffen haben. Das verspreche ich Ihnen persönlich. Nicht ich aber werde ich mit ihnen befassen, Herr Tsvetanov, sondern die Strafrechtsbehörden werden die Verbrechen aufdecken, die Sie begangen haben", brüllte Peevski Ende Mai 2013 von der Rednertribüne des Parlaments.
Geheimdienst DANS wird zur Polizeibehörde
Was sich zunächst anhörte wie eine Pöbelei im Wirtshausstil, lässt sich nach der Wahl Peevskis zum DANS-Chef ganz neu interpretieren. Als eine ihrer ersten Gesetzenovellen realisierte die Koalition aus BSP und DPS die Kompetenzerweiterung des zuvor rein analytischen Geheimdienstes DANS um polizeiliche Befugnisse. Hätte also Deljan Peevski für die Regierung die Drecksarbeit machen und den Oppositionspolitiker Tsvetanov hinter Gittern bringen sollen? Viele politische Beobachter halten dies für plausibel, denn gegen Tsvetanov wird wegen einer Abhöraffäre bereits еrmittelt. Ex-Ministerpräsident Boiko Borissov geht darüber sogar hinaus: "Die Regierung hat mit der Wahl Peevskis zum DANS-Chef das Szenario verfolgt, mich zu verhaften und in der Arrestzelle zu ermorden", sagte er am Donnerstagmorgen am Rande des von Staatspräsident Rossen Plevneliev wegen der Staatskrise einberufenen Konsultationsrats "Nationale Sicherheit".
Regierungschef Plamen Orescharski hat sicherlich mit massivem Widerspruch gegen die Wahl einer so kontroversen Person wie Deljan Peevski zum Chef des wichtigsten Geheimdienstes des Landes gerechnet, das Ausmaß des Volkszorns hat er offensichtlich aber unterschätzt. "Ein Rücktritt wäre eine leichte persönliche Entscheidung", hat Ministerpräsident Orescharski am Montag gesagt, ihn aber abgelehnt, denn "er hätte für das Land schwere Folgen". Es kann als offen gelten, ob seine Regierung die von ihr fahrlässig hervorgerufene Staatskrise überstehen kann.