Wahl paradox

Deutschland wählt links, wird künftig aber wohl von (halb)rechts regiert

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Die SPD verliert an die Linkspartei, die CDU an die FDP, Deutschland hat mehrheitlich links gewählt, wird aber wird künftig irgendwie von rechts regiert – so könnte man das überraschende Wahlergebnis nach den ersten Hochrechnungen zusammenfassen.

Da eine Rot-Rot-Grüne Koalition von allen Beteiligten ausgeschlossen worden ist, scheint es derzeit unwahrscheinlich, dass die linke Mehrheit im Bundestag für eine dritte Amtszeit von Kanzler Schröder sorgen kann. Eine Ampel, mit der FDP als dritter Kraft, wurde zumindest im Wahlkampf (und auch danach) von den Liberalen immer wieder ausgeschlossen. Dass sie jetzt, angesichts einer großen Koalition, das Lager wechseln, um doch ein bisschen mitzuregieren, ist nicht zu erwarten.

Insofern wird der CDU/CSU als vermutlich stärkster politischer Kraft – auch wenn das noch gar nicht sicher ist - kaum etwas anderes übrig bleiben, als der SPD eine Koalition anzubieten. Da Schröder als Vize unter Merkel aber nicht vorstellbar ist, CDU/CSU jedoch nicht darauf verzichten wird, als stärkste Fraktion auch den Kanzler zu stellen, müsste ein anderer SPD-Genosse (Steinbrück?) den Vize-Kanzler geben.

Schröder indessen gibt sich weiter kämpferisch: Ohne Zurechnung der CSU stellte die SPD immer noch die stärkste Fraktion im Bundestag und er wolle dafür sorgen, eine Regierung unter seiner Führung zu bilden. Wie das freilich funktionieren soll, musste der Kanzler zwangsläufig offen lassen. Dass er heute über 4 % weniger Stimmen hat als vor seinem Neuwahl-Purzelbaum nach der NRW-Wahl, hatte er offenbar vergessen. Dass Schröder eine Minderheitenregierung mit Duldung der Linkspartei anstrebt - wie man aus seinen vollmundigen Statements am Wahlabend vielleicht schließen könnte – scheint nur auf den ersten Blick eine Option. In einer Wackelkoalition von Oskars & Gysis Gnaden könnte die SPD nur verlieren. Was der Kanzler aber auf eine Frage in der „Elefanten-Runde“ der ARD antwortete – „Können sie sich die Kanzlerschaft in einer großen Koalition vorstellen ? – „Aber natürlich!“ - gibt Rätsel auf. Immerhin, wi3 gegen 21 Uhr gemeldet: Überhangmandate und die Nachwahl in Dresden könnten möglicherweise noch dafür sorgen, dass die SPD die Union bei der Sitzverteilung noch überflügelt.

Dass die von den Medien zur deutschen Maggie Thatcher hochgeschriebene Angela Merkel Kanzlerin werden soll, wollte nur eine Minderheit der Wähler – doch nun sieht es so aus, als ob die ungeliebte Kandidatin doch regieren wird. Die einzigen Stimmen-Gewinner, Linkspartei und FDP, landen mit den Grünen in der Opposition – und die Verlierer SPD und CDU stellen die Regierung - dies scheint das vorläufige paradoxe Ergebnis dieser Wahl. Sowie die Aussicht auf zähe Koalitionsverhandlungen und eine Regierung, die voraussichtlich nicht vier Jahre durchstehen wird, so daß die nächsten Neuwahlen schon in 2006 oder 2007 stattfinden könnten. Wenn nicht, falls keine Koalitionsplattform gefunden wird, gar schon sehr viel früher…

Wann auch immer die Wähler das nächste Mal zur Urne gebeten werden, sollten sie den definitiven und haushohen Verlierer dieser Wahl berücksichtigen: den Medienbetrieb und die Prognose-Institute. Politiker müssen zumindest in die Opposition oder fliegen aus dem Parlament, wenn sie verlieren, dass aber Chefredakteure, Leitartikler und Demoskopen ihren Hut nehmen müssen, weil sie über Monate Bullshit verzapft haben – eine solche politische Kultur ist noch nicht üblich. Spätestens nach dem Mediendebakel dieser paradoxen Wahl wäre sie überfällig