Wahlen in Finnland - der Unternehmer als Ministerpräsident
Vermutlich wird Sipilä von der Zentrumspartei der neue Regierungschef, er lehnt einen Nato-Beitritt ab und steht auch den Sanktionen gegen Russland skeptisch gegenüber
In der historischen Markthalle von Hakaniemie, einem Arbeiterviertel von Helsinki, kommt ein eher unscheinbarer Mann im karierten Hemd und Pullover bei seinen Zuschauern an. Er appelliert an den Gemeinsinn: "An der Regierung werden wir hart arbeiten und uns umeinander kümmern."
Der Redner ist Juha Sipilä, Chef der liberalen finnischen Zentrumspartei, er überzeugt ein Publikum, das eher die Sozialdemokraten wählt. Doch diese sind an der Regierung und ihre Bilanz ist schlecht. Am Sonntag wird Sipiläs Partei die Regierungskoalition unter der konservativen Nationalen Sammlungspartei wohl ablösen. In den Umfragen führt die liberale Partei mit 25 Prozent, die Regierungspartei unter dem eleganten Premier Alexander Stubb wollen nur 16 Prozent ihr Vertrauen schenken, ähnliche Werte haben die mit ihnen koalierenden Sozialdemokraten.
Das Land steckt in einer ernsten wirtschaftlichen Krise. Der Erfolg von Nokia ist Geschichte, wenn auch die Übernahme des französischen Netzwerkausrüsters Alcatel das Unternehmen wieder nach vorn bringen könnte. Die Papierindustrie leidet unter der Digitalisierung und die EU-Sanktionen gegen Russland schlagen zu Buche. Zehn Prozent der Exporte gingen vor der Ukraine-Krise an den Nachbarn im Osten, vor allem Agrarprodukte. Heute haben Deutschland und Schweden Russland als erstes Exportland abgelöst. Die Arbeitslosenrate steigt und liegt derzeit bei über zehn Prozent.
Zwar erklären Wirtschaftsliberale, dass Finnlands Löhne zu hoch seien, doch die Lebenshaltungskosten sind auch teuer - vor allem im Raum Helsinki. Dort reicht das Geld auch bei einer Beschäftigung bei manchen nicht aus, schon 8,9 Prozent der Empfänger von Sozialleistungen arbeiten.
An die Reformen hat sich die Koalition, die zu Anfang der Regierungszeit aus sechs Parteien bestand, nicht herangetraut. Die Groß-Koalition entstand, weil sich 2011 die populistischen "Wahren Finnen" mit 19 Prozent einer Zusammenarbeit entzogen - sie lehnten das EU-Rettungspacket für Portugal ab. Grüne und Linke sprangen wegen des Baus eines Atomkraftwerks und der Sparpolitik im Sozialen wieder ab. Es blieben die Kleinparteien Christdemokraten und die Schwedische Volkspartei. Abgesprungen ist auch Ministerpräsident Jyrki Katainen im vergangenen Jahr, um in Brüssel als Kommissar für Wirtschaft und Währung zu wirken, ein Karriereschritt, der im eigenen Land nicht gut ankam.
Juha Sipilä besitzt hingegen einen Vertrauensvorschuss. Zum einen kann er Erfolge mit Start-Ups, in den Bereichen Software und Telekommunikation vorweisen. So wird er auch versuchen, das Land ähnlich wie seine Unternehmen zu führen, er vergleicht die Rolle des Ministerpräsidenten mit der des Direktors eines Betriebes. Eine Sparpolitik scheint ihm unausweichlich, auch die Bestimmungen für Arbeitsmigration will er lockern, um ausländische Fachkräfte ins Land zu locken. Englisch soll als Arbeitssprache verbreiteter werden - so wie in seinen Firmen. Zudem sollen die Steuern insgesamt gesenkt werden.
Als Seiteneinsteiger in die Politik, der Ingenieur ist erst 2011 ins finnische Parlament gewählt worden, gilt Sipilä zudem als nicht mit den Skandalen belastet, die seiner Partei anhaften. die von 2003 bis 2011 regierte. Durch Vetterleswirtschaft sowie Sex-Affären, in Finnland eher unüblich, geriet sie Misskredit. Darum wird der Partei noch ein gewisses Misstrauen entgegengebracht, weil alte Seilschaften mitwirken könnten. Doch generell gilt die Zentrumspartei als die finnische Traditionspartei, die eine eher liberale Wählerschaft in den Städten und eine eher konservative auf dem Land bedient. Mit Urho Kekkonen als Premier und Präsident in den 1950er bis 1980er Jahren prägte sie die bekannte Außenpolitik Finnlands; im Westen und in Japan durch den Begriff "Finnlandisierung" bekannt - die Ausgleichspolitik mit der Sowjetunion.
Auch Sipilä, der ein wenig wie aus den 1960er Jahren ausschaut, will wieder etwas zurück zum Neutralitätskonzept. Einen Anlass für einen baldigen NATO-Beitritt sieht er nicht. Präsident Sauli Niinistö hatte dies angeregt (Nato-Mitgliedschaft für Finnland). Auch die Sanktionen der EU gegen Russland hinterfragt er mit Blick auf die Wirtschaft, ohne sich zu deutlich gegen sie auszusprechen. In diesen Fragen muss er sich mit seinen Koalitionspartner einigen. Dabei hält er auch eine Kooperation mit den "Finnen" (bis 2012 "Wahre Finnen") für möglich. "Sie sind zwar populistisch, aber sie haben in volkswirtschaftlichen Fragen einen realistischen Blick."
Was dies genau heißt, erläutert der vermutlich künftige Premier nicht. Vielleicht ist die gemeinsame Ablehnung beider Parteien einer weiteren Zahlung an Griechenland gemeint. Timo Soini, der Chef der "Finnen", hat seinerseits die EU-Skepsis wieder gemildert; zu radikale Mitglieder wurden aus der Partei entfernt. Zu Russland äußert sich der schwergewichtige Politiker eher moderierend, man müsse sich auf die neue Situation einstellen, gleichzeitig weiterhin die bilateralen Beziehungen pflegen. Die NATO-Mitgliedschaft will er von einer Volksbefragung abhängig machen (Nato-Mitgliedschaft für Finnland). Vermutlich werden noch die Sozialdemokraten mit ins Boot geholt, die sich gegen eine NATO-Mitgliedschaft und für einen Ausgleich mit Russland aussprechen.
Ausgleich und Konsens sind auch typisch für die politische Kultur im Inneren. Koalitionen aus mehreren Parteien sind üblich, extreme Ansichten und scharfe Angriffe auf den politischen Gegners unerwünscht. Das Wort "Lügner" gilt im finnischen Parlament genauso als tabu wie das Klatschen nach einer Rede (Ausnahme: nach dem Vortrag eines ausländischen Staatsgasts darf applaudiert werden, dieser könnte die finnische Stille als Affront auffassen).
Diese Konsenshaltung kann jedoch für Soini, der sich nach den Korruptionsgeschichten der Zentrumspartei als einfacher, geradliniger Kerl aus dem Volk positionieren konnte, gefährlich werden. Denn in der finnischen Politik werden Populisten nicht stigmatisiert, sondern integriert, um sie dann an der Wirklichkeit der politischen Verantwortung scheitern zu lassen. So wurde der Vorläufer der "Partei der Finnen", die "finnische Bauernpartei", 1983 in die Regierungsverantwortung eingebunden (Die geschönte Vergangenheit als politische Vision), wobei sie ihre Versprechungen nicht einlösen konnte. Danach begann der Abstieg der Partei in die Bedeutungslosigkeit bis zu ihrer Neugründung durch Soini im Jahr 1995 als "Wahre Finnen".