Wahlkampf 2021: Schleichend in die Katastrophe
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Die Klimaforscher drängen, aber die Politik wird von einer paradoxen Haltung dominiert: Alles soll anders werden, indem es bleibt, wie es ist
Den Berechnungen des "Konzeptwerks neue Ökonomie" zufolge wird keine Partei mit ihren Vorschlägen das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Vor dem Hintergrund des im August erschienenen Berichts des Weltklimarats kommt dies einem Totalversagen der deutschen Politik gleich.
Den Berechnungen der Klimaforscher zufolge werden wir bereits 2030 den kritischen Punkt der Erderwärmung überschritten haben. Zehn Jahre früher als bislang angenommen. Die Folgen werden dramatisch und unumkehrbar sein: Hitzewellen, Dürreperioden und Überschwemmungen sind nur ein paar Beispiele aus der drohenden Zukunft.
Es geht also nicht um Kleinigkeiten, mit denen wir schon irgendwie zurechtkommen werden. Nach der Flutkatastrophe in diesem Sommer sollte das klar geworden sein. Menschenleben stehen auf dem Spiel. Und die Zukunft der jungen Generationen. Mit Schwarzmalerei hat das Ganze wenig zu tun. Denn selbst wenn die Auswirkungen harmloser ausfallen sollten, ist eine Wette auf ein Ausbleiben der Krise aus risikoethischer Perspektive der blanke Irrsinn. Der Weltgemeinschaft muss es gelingen, den Ausstoß von CO2 massiv zu reduzieren. Das Zeitfenster schließt sich. Und es schließt sich rasend schnell.
In der deutschen Politik scheint davon immer noch sehr wenig angekommen zu sein. Eine wirkliche Einsicht sucht man vergebens. Stattdessen zeigt sich im Wahlkampf ein bedrohliches "Weiter so" parteipolitischer Auseinandersetzung.
Die Sache mit den klimapolitisch mangelhaften Parteiprogrammen ist nur die eine Seite. Das gesamte Agieren der politischen Akteure, die Art und Weise, wie die Debatten vor dieser Bundestagswahl geführt werden, gleicht einem schwerfälligen Dampfer, gesteuert von einem renitenten Kapitän.
Als die Klimaaktivistin Pauline Brünger bei "Hart aber Fair" vor einigen Wochen den parteipolitischen Eigenlobmodus ("Was haben wir nicht alles erreicht!?") und das Kleinklein kritisierte, machte Moderator Frank Plasberg eine perfide Feststellung: So funktioniere eben Wahlkampf. Der Status-Quo ist mächtig. Dafür sorgt auch ein Frank Plasberg. Die Kollision mit dem Eisberg wird hart sein, von Fairness nicht viel übrig bleiben.
Wärmende Gewohnheiten
Doch haben wir uns alle daran gewöhnt und Gewohnheiten sind eben wärmend. Sie geben ein gutes Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit. Kandidat:innen werden gekürt, Wahlprogramme aufgesetzt und Reden gehalten. Überall hängen mehr oder weniger bunte Plakate, die um unsere Stimmen buhlen. Die Talkshows sind bevölkert von Analysten, Experten und dem politischen Spitzenpersonal. Von der Steuerpolitik geht es zur Rentenfrage.
Nach einer hitzigen Auseinandersetzung über Sozialpolitik wird über mögliche Koalitionen, die Gefahren von Links, Plagiate und das Versagen des politischen Gegners diskutiert. Solange dieser Laden läuft, kann es so schlimm nicht sein.
Klimapolitik erscheint in diesem gewohnten Lauf der Dinge nur als ein Thema unter vielen. So wie der politische Diskurs verfährt, wird das Ausmaß der Bedrohung schlichtweg darunter begraben. Die Klimakatastrophe, die bereits in vollem Gange ist, wird einfach zu einem weiteren Aufgabenfeld der Politik. Das hat auch strukturelle Gründe. Eine Debatte findet niemals im luftleeren Raum statt.
Es gibt immer eine Rahmung, die in diesen Zeiten auf den Namen Wahlkampf hört. Wahlkämpfe haben ihre eigene Logik, die letztlich auf das Erringen einer Mehrheit hinausläuft. Es handelt sich dabei nur bedingt um eine Auseinandersetzung über Sachthemen. Jeder Streit und jede hitzig geführte Debatte findet immer vor einem Publikum aus potenziellen Wählerinnen und Wählern statt.
Um es abzukürzen: Wahlkampf ist Marketing. Und Marketing will angenehme Geschichten, will verführen und gute Emotionen triggern. Die Kampagnen sind von langer Hand geplant. Agenturen entwerfen die Messages und Bilderwelten. Images werden kreiert und mit Beratern einstudiert. Immer mit der Maßgabe, das Wahlvolk bloß nicht zu überfordern. Die ungeschminkte Wahrheit hat in diesen Abläufen nichts zu suchen. Denn alles ist machbar. Alles wird gut.
Unlösbare Ansprüche
Die deutsche Politik ist in einen Double bind geraten, aus dem sie sich kaum noch zu lösen vermag. Sie ist mit zwei widerstreitenden Aufgaben oder Forderungen konfrontiert. Einerseits erfordert die Gegenwart einen radikalen Bruch. Andererseits soll alles irgendwie so weitergehen wie gewohnt. Die Performanz des Wahlkampfes zahlt eher auf die bewahrende Seite dieser paradoxen Gleichung ein.
Auch die Umfragewerte der SPD zeigen dies. Irgendwie wissen die Wähler:innen, dass etwas für das Klima gemacht werden muss. Nur merken soll man davon möglichst wenig. Es soll anders werden, indem es gleich bleibt. Eben diese Sehnsucht bedient Olaf Scholz derzeit am besten von den Kanzlerkandidaten. Er strahlt die stoische Gelassenheit eines Felsens aus und gibt den Menschen das Gefühl, dass das mit dem Klimawandel schon irgendwie werden wird.
Die deutschen Wähler wollen die ganze Hand. Scholz reicht sie ihnen. Zwar spricht er von Herausforderungen, vermeidet dabei aber jede Verbotsrhetorik und steht insgesamt für einen bedachten Weg der Umstrukturierung. Jetzt bitte bloß nicht übertreiben. Ein Kohleausstieg vor 2038? Nicht mit ihm. Allein, für so eine Politik haben wir keine Zeit mehr. Wer dies ausspricht, der riskiert eine Wahlschlappe. So das parteistrategische Kalkül.
So spricht viel dafür, dass das Abfallen der Grünen in den Umfragen viel damit zu tun hat, dass sie (neben der Linkspartei) die Bedrohungslage am deutlichsten ausgesprochen hat. Nicht umsonst verläuft die Linie der Attacke gegen die Grünen immer über die Bande des Verbots.
Die Programme der Union und der FDP sind in dieser Hinsicht ein Wohlfühlprogramm für das System. Laschet und Lindner betreiben im Grunde eine klassisch neoliberale Form der Wirtschaftspolitik, deren Maßnahmen der Deregulierung (Entfesselung) mit etwas grüner Farbe übertüncht werden. Da wird für Wasserstoff als Allheilmittel geworben und die Zukunft einer leistungsstarken Marktwirtschaft entworfen, die aus sich selbst heraus technische Innovationen erzeugt, mit denen wir alles zum Guten wenden.
An anderen ordnungspolitischen Stellschrauben soll bloß nicht gedreht werden. Keine Verbote, niemals. Und schon ist der Diskursrahmen verschoben und auf diesem prangt in leuchtenden Lettern das mächtige Wort "Freiheit".
Es geht nicht mehr um den Klimawandel als existenzielle Bedrohung, sondern um Wirtschaftspolitik, Arbeitsplätze und das gute alte Geld. Wer spät nachts noch im blütenweißen Hemd über Akten gebeugt sitzt, wird die Welt retten. Es gab noch nie mehr zu tun. So steht es auf den Plakaten der FDP. Nur Produktivität führt in die Zukunft. Von Überproduktion hat Christian Lindner nie etwas gehört.
In der absurden Diskussion um die Schwarze Null kommt all das zusammen. Schulden wohnt immer eine negative Konnotation inne. Wer Schulden hat, ist nicht produktiv. Keiner möchte Schulden haben. Und das Klima rutscht in den Hintergrund.