Wahlkampf 2021: Schleichend in die Katastrophe

Seite 2: Die Verantwortung der Sender

An diesen Irrungen der Debatte tragen auch die Medien und vor allem die Sender ihre Mitschuld. Besonders deutlich wurde das beim "Triell". Erst nach einer knappen dreiviertel Stunde wird das Themenfeld Klimapolitik eröffnet. Erneut als ein Thema unter allen anderen. Vor allem die Einleitung des Moderators Oliver Köhr war dabei von entlarvender Unfähigkeit.

Ohne auch nur auf die Dringlichkeit einer umfassenden und engagierten Klimapolitik zu verweisen, wird mit Bezug auf die Kosten der Deutschen Einheit eine finanzpolitische Rahmung aufgemacht. Statt Raum dafür zu schaffen, über die Bedeutung der Klimakrise zu sprechen, wird eine leicht verdauliche Engführung vorgenommen. So entsteht kein ökologisches Narrativ der Zukunft und erst recht keine überzeugende Vision.

Es wird über Geld gesprochen. Genau das ist Politik. Eine Einteilung der Wirklichkeit in kleine handhabbare Sachverhalte, die in der Lebenswirklichkeit verankert sind. Über die Bedrohung des Lebens zu sinnieren, das sollte eher die Aufgabe der prophetischen Schwarzmaler sein, die das abwägende Geschäft des Parlaments mit dem harten Wort der Straße verwechseln.

Dahinter steht, wie so oft beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine Ausrichtung auf das, was die Zuschauer vermeintlich interessiert. Auch hier ein verhängnisvoller Double bind. Einerseits ist da der Anspruch, über die Wirklichkeit kritisch zu berichten. Gleichzeitig wollen die Senderverantwortlichen die Zuschauer nicht verschrecken und sich vor allen Dingen keinen Vorwurf einer unausgewogenen parteilichen Themensetzung einfangen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es "den" Zuschauer überhaupt gibt.

Dabei wird gerne vergessen, dass jede Talkrunde und jedes Triell selbst Teil der Politik ist, ja selbst Politik betreibt. In der medialen Bearbeitung wird mitbestimmt, welche Probleme auf die Tagesordnung kommen und innerhalb welchen Rahmen sie erscheinen. Die Fragen, die gestellt werden, konstruieren immer auch eine Weltsicht.

Für den französischen Theoretiker Jacques Rancière hat Politik mit einer Arbeit an Sichtbarkeiten zu tun. Anders formuliert, geht es in der Politik immer um die Frage, wer überhaupt als politischer Akteur ernst genommen und welches Problem als politisches Problem einen Platz in der Debatte findet. Diese Ordnung der Teilhabe nennt er "Aufteilung des Sinnlichen".

Die Veränderung ebendieser Aufteilung ist ein politischer Akt. Darin scheint eine Dimension der Politik auf, die gegenwärtig auf dem Blick geraten ist. Die Wähler:innen und Wähler bewegen sich in einer sinnlichen Welt. Sie leben ihr Leben, fahren mit dem Auto zur Arbeit und gehen im Supermarkt einkaufen. Diese Praxis des Alltags bindet die Menschen viel stärker an politische Positionen als jedes rationale Argument.

Der Politik und den Medien obliegt es, die Alltäglichkeit der Gewohnheiten in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Stattdessen wird oftmals lediglich auf diesen Alltag aufgesetzt. Man hört in die Gesellschaft hinein, holt sie dort ab, wo sie stehen. Was aber, wenn es bald keinen Ort mehr gibt, auf dem man mit beiden Beinen auf dem Boden stehen kann.

Es wird eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, unseren Blick auf Politik zu hinterfragen. Die Medien müssen sich dabei auf sich selbst zurückwenden, um sich ihrer politischen Arbeit bewusster zu werden. Denn mit dem Klimawandel haben wir es mit einer Tatsache zu tun, die alles durchkreuzt und unseren Gewohnheiten den Boden unter den Füßen entzieht.

Ein "Weiter so" im politischen Diskurs darf es so nicht geben. Es kann nicht länger um das bloße Werben von Zustimmung und den Einzug in Parlamente gehen. Vielmehr muss die Politik die Wirklichkeit zum Erscheinen bringen und den Bürger:innen neue Horizonte eines anderen Lebens eröffnen.