Wahrheit und Fälschung im digitalen Zeitalter
Das Video mit dem Beweis für bin Ladins Schuld kann Zweifel an der Authentizität nicht zerstreuen, zumal wenn die US-Regierung sich über dessen Herkunft in unverständliches Schweigen hüllt
Nicht verwunderlich, dass nach der Veröffentlichung des Videobands von Bin Ladins Äußerungen über die Anschläge durch das amerikanische Verteidigungsministerium eine Art Glaubenskrieg ausgebrochen ist. Ist das Band für die einen ein Beweis für die Schuld Bin Ladins, der auch vor Gericht Bestand hat, so ist er für manche andere, vornehmlich aus den islamischen Ländern, aber auch für Verschwörungsanhänger, bestenfalls eine gut gemachte Fälschung. Solange die US-Regierung nicht wirklich darüber aufklärt, wie sie an dieses Band gekommen ist, wird dieser Glaubenskrieg weiter schwelen, der allerdings auch damit zu tun hat, dass im digitalen Zeitalter Videobilder und Tonaufzeichnungen von sich aus keine Beweiskraft mehr besitzen. Und schon gibt es auch eine Videoaufzeichnung, in der Äußerungen von Präsident Bush gefälscht wurden.
Wie zu erwarten war, sehen diejenigen, die sowieso Usama Bin Ladin als Drahtzieher der Terroranschläge betrachten, das Video als authentisch an, während manche Verteidiger bin Ladins es als Täuschung betrachten und weiterhin darauf pochen, dass die US-Regierung erst einmal wirkliche Beweise für die (Mit)Urheberschaft bin Ladins herbeibringen müssen, die sie bislang schuldig geblieben sei. Für Bundeskanzler Schröder sind mit dem Video die letzten Zweifel des Kampfes gegen den Terrorismus ausgeräumt. Bundesinnenminister Schily sah hier die unvorstellbare moralische Verkommenheit des Mannes. Man beeilte sich möglichst schnell - und ohne weitere Belege für die Glaubwürdigkeit anzugeben -, dass damit die Schuld bin Ladins beweisen sei (Fakten, Fiktionen, Fakes...).
Selbstverständlich wird es noch weitere Positionen geben, die allerdings nicht so laut geäußert. Die wirklichen Anhänger Bin Ladins, die in ihm einen Helden des Kampfs gegen die USA und für den Islam sehen, werden vermutlich auch von der Authentizität des Videos überzeugt sein, das die coole Macht dieses Mannes vorführt und die Reichweite seines Einflusses verdeutlicht. Das mag sich aus taktischen Gründen natürlich dann ändern, wenn dieses Band als Beweis bei einem Prozess gegen den gefangenen Bin Ladin dienen soll, obgleich starke Zweifel bestehen können, ob die US-Regierung an einem überlebenden Märtyrer mitsamt allen daran hängenden rechtlichen Fragen interessiert ist. Man könnte natürlich auch der Vermutung sein, dass bin Ladin nur vor seinem Besucher, einem arabischen Scheich, angeben wollte und sich nur damit brüstete, an der Durchführung beteiligt gewesen zu sein. Dann aber dürfte es auch noch womöglich gar nicht so wenige Menschen geben, die, unabhängig von ihrer Überzeugung hinsichtlich der Schuld Bin Ladins, an der Echtheit des Bandes zweifeln, weil sie der amerikanischen Regierung nicht trauen oder prinzipiell Zweifel an solchen Dokumenten besitzen.
Wie berichtet wurde, haben allerdings viele arabische Medien das Band auch kaum zur Kenntnis genommen. Möglicherweise spielt Bin Ladin hier nicht die Rolle, die er als Terrorboss und Verkörperung des Bösen im Westen einnimmt. Während in den arabischen Ländern der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern eher im Vordergrund zu stehen scheint, in dem Bin Ladin und Afghanistan zwar hineinragen, aber wohl ebenso entfernt sind wie für den Westen der Konfliktherd im Mittleren Osten, versucht vor allem die US-Regierung die Aufnahmen zur weiteren Dämonisierung einzusetzen. Der über die Anschläge und ihre kichernde und sich freuende bin Ladin soll auf die Bosheit dieses Menschen hinweisen. "Das ist der nicht redigierte bin Ladin", sagte US-Präsident Bush, der nun bin Ladin als Feigling darstellen will, nachdem dieser die Amerikaner immer so beschimpft hatte. Bin Ladin sei "so verschlagen und hartherzig, dass er über die sogenannten Selbstmordattentäter lacht, die ihr Leben verloren haben". Bänder mit Transkriptionen in verschiedenen Sprachen werden an die amerikanischen Botschaften vornehmlich in den arabischen Ländern geschickt.
Die amerikanische Regierung setzt offenbar darauf, dass das Video von allen als authentisch anerkannt wird und sich bin Ladin in diesem selbst entlarvt. "Absurd" sei es, so Bush, wenn man denke, dass dieses Band gefälscht worden sei: "Das ist nur eine dumme Ausrede, um für einen bösen Menschen eine schwache Unterstützung bieten zu wollen." Angeblich habe die Veröffentlichung des Bandes deswegen so lange gebraucht, weil man erst Bedenken hatte, dass das Video mit geheimen Botschaften, die man schon zuvor immer bei den anderen Videos befürchtete, bewusst hinterlassen worden sein könnte. Überdies habe man Bedenken gehabt, dass es die Hinterbliebenen der Terroranschläge verletzen könne. Und dann habe man noch sicher stellen wollen, dass das Band wirklich authentisch und die Übersetzung so perfekt als möglich ist.
Mit der Veröffentlichung des Bandes kann sich dieses zwar jeder über das Internet anschauen, den Worten lauschen und die Transkription des Gesagten lesen, aber aufgezeichnete Bilder und Töne sind im digitalen Zeitalter als solche keine überzeugenden Beweismittel mehr. Vermutungen wurden denn auch schnell laut, dass das ganze Video oder Teile desselben gefälscht oder manipuliert worden seien. Es würde sich gar nicht um bin Ladin handeln, sondern um ein Double, sagten die einen. Für andere könnten die Bilder schon älter sein, so dass die Tonspur verändert worden sein könnte. Manche führen an, dass die schlechte Qualität verwunderlich sei, andere, dass bin Ladin, der sonst so schlau sei, vor einer Videokamera eine Beteiligung an den Anschlägen zugebe, was er sonst immer vermieden habe. Bin Ladin sagt eigentlich auch nicht wirklich, dass er an der Tatvorbereitung beteiligt gewesen sei, sondern lediglich, es sei ihm am Donnerstag vor dem Anschlag davon berichtet worden. Es wird auch auf manche Unstimmigkeiten hingewiesen, etwa, dass die meisten derjenigen, die die Anschläge ausgeführt haben, nur gewusst haben sollen, dass es Selbstmordanschläge seien, aber ansonsten nichts Genaueres. Sie hätten sich auch untereinander nicht gekannt, was allerdings offenbar nicht zutrifft. Und wenn lediglich Atta oder die anderen Piloten etwas von dem Anschlag gewusst haben, dann könnten alle anderen Beteiligten, auch diejenigen, die diesen mit vorbereitet haben, schwerer zur Verantwortung gezogen werden:
"The brothers, who conducted the operation, all they knew was that they have a martyrdom operation and we asked each of them to go to America but they didn't know anything about the operation, not even one letter. But they were trained and we did not reveal the operation to them until they are there and just before they boarded the planes.
(...inaudible...) then he said: Those who were trained to fly didn't know the others. One group of people did not know the other group. (...inaudible...)."
Mittlerweile wurden auch Vermutungen laut, dass der CIA heimlich das Treffen bin Ladins mit dem arabischen Scheich durch einen eingeschleusten Spion aufgezeichnet haben könnte, der etwa für den saudi-arabischen oder pakistanischen Geheimdienst arbeitet. Sinn der Operation sei es gewesen, endlich einen Beweis für die Schuld bin Ladins zu schaffen, in dem er jemandem, dem er vertraut, Einzelheiten anvertraut. Dem würde allerdings natürlich widersprechen, dass alle Beteiligten von der Aufzeichnung gewusst haben sollen, wie das US-Verteidigungsministerium sagt.
Klar ist, dass das Video sich technisch durchaus hätte fälschen lassen können, auch wenn dies für die US-Regierung fatal werden könnte, sollte es zu einem Prozess gegen bin Ladin kommen, in dem das Originalband, sofern es als Beweis gelten würde, einer genauen Prüfung unterzogen werden. Wie einfach eine Fälschung möglich ist, hat jemand bereits anhand eines überarbeiteten Bush-Videos vorgeführt. Bush sagte hier eigentlich: "Thousands of Arab Americans who love the American flag ...", daraus wurde: "Thousands of Arab Americans who committed these acts and those who harbour them are held accountable .. make no mistake ..."
Um Gerüchten über eine etwaige Fälschung von vorneherein entgegenzutreten, hätte die US-Regierung Genaueres über die Herkunft des Bandes berichten sollen. Hier aber hüllt man sich wieder in Geheimniskrämerei, was gerade der Entstehung von Zweifeln an der Authentizität dient. Wenn sich nicht an den Bildern selbst erkennen lässt, ob sie gefälscht sind oder nicht, was für alle Zuschauer der Fall ist, dann würde den Bildern ihre nachprüfbare Herkunft eine größere Glaubwürdigkeit verleihen, denn im Zeitalter der einfachen Manipulierbarkeit ist es die Vertrauenswürdigkeit des Kontextes und der Quelle, die für die Echtheit bürgen, nicht die Oberfläche der Bilder und Töne alleine.
Hier aber schweigt die US-Regierung aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen. Das Band wurde offenbar am 9. November wahrscheinlich in einem Haus in Kandahar aufgenommen. Gefunden worden sei es dann in einem Haus in Dschalalabad, das am 15. November von den Taliban befreit worden sei. Ende November sei es dann irgendwie in die Hände der Amerikaner gekommen. Am 29. November erwähnte es Präsient Bush bereits das erste Mal. US-Verteidigungsminister antwortete auf die Frage nach der Herkunft des Bandes nur lapidar: "Es kam aus einem Haus in einer Stadt in Afghanistan." Auf die Frage, wie das Militär das Band erhalten habe, antwortete er, dass er lieber nichts dazu sagen möchte. Und gefunden worden sei es vor einigen Wochen.
Inzwischen scheint Tora Bora eingenommen worden zu sein. Gefunden wurden angeblich die Leichen von 200 Al-Qaida-Kämpfern, aber keine Spur von bin Ladin. Einige hundert Kämpfer würden flüchten. Die angeblich vom US-Militär in der Funkkomuinikation der Al-Qaida-Kämpfer bei Tora Bora entdeckte Stimme könnte möglicherweise also doch nicht bin Ladins sein (Wie die Taliban/Al-Qaida-Kämpfer miteinander kommunizieren).