Wann ist ein Journalist ein Journalist?

Texas erprobt eine neue Variante, um die Pressefreiheit zu beschneiden

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Vanessa Leggett unterrichtet professionelles Schreiben und Untersuchung von Mordfällen an der Universität Houston und beschloss passenderweise, ein Buch über einen spektakulären Mordfall zu schreiben. Nicht zum ersten Mal - schon über mehrere Mordfälle hatte sie geschrieben, aber nie einen Verleger gefunden. Die Houston Press nannte sie die "vielleicht produktivste Houstoner True-Crime-Schriftstellerin, von der nie etwas veröffentlich wurde" und erwähnte, dass Vanessa Leggett sich auch bei der Houston Press um eine artikelweise Vorveröffentlichung ihrer Crime-Büchern bemüht hatte. Erfolglos, wie immer.

Der Mord diesmal ist eher etwas für die Regenbogenpresse: April 1997 wird Doris Angleton, Millionärsgattin, zu Hause ermordet aufgefunden. Als dringend tatverdächtig nimmt man ihren Ehemann Robert (dessen Millionen offensichtlich aus diversen Unterweltgeschäften stammen) und dessen Bruder Roger fest. Der Ehemann soll den Bruder für den Mord bezahlt haben, weil sich Doris hatte scheiden lassen wollen, was dem Gatten teuer zu stehen gekommen wäre (noch teurer, wenn sie bei der Polizei ausgepackt hätte).

Bruder Roger brachte sich nun 1998 im Gefängnis um. Er hinterließ einen Brief, indem er den Mord gestand, den er seinem Bruder Robert (dem Ehemann) hatte anhängen wollen, um ihn dann zu erpressen. Dank dieses schönen Geständnisses, das Robert vollständig entlastete, wurde dieser 1998 freigesprochen.

Doch ehe Roger Selbstmord verübte, hatte er mit Vanessa Leggett gesprochen. Und hier beginnt der interessante Teil der Kriminalfalles. Sie hatte die Gespräche aufgezeichnet und sich Notizen zu den Interviews gemacht, die das Interesse der Justiz (die Robert gerne hinter Gittern sehen würde) weckten.

Als man die Aufzeichnungen und die Notizen von ihr verlangte, verweigerte sie deren Herausgabe mit Hinweis auf den ersten Verfassungszusatz und die darin garantierte Pressefreiheit. Das sah die texanische Justiz anders: Auf Anweisung von Bezirksrichterin Melinda Harmon sitzt Vanessa Legget seit 19. Juli 2001 in Beugehaft (contempt-of-court charge).

Seit der Watergate-Ära gilt eigentlich, dass man Journalisten in den USA nicht so einfach drangsalieren kann. Um einen Journalisten unter Strafandrohung zu stellen oder gar zu inhaftieren, ist die Zustimmung des Justizministers (U.S. attorney general) notwendig, die die texanischen Behörden aber nicht einmal anfragten.

Die Texaner argumentieren wie folgt: Vanessa Leggett hat kein Buch publiziert, hat keinen Buchvertrag und lebt nicht vom Publizieren, ist folglich keine Journalistin - basta. Die Inhaftierte und ihr Anwalt halten dagegen, dass ihr Interesse an den Fall einen einzigen Hintergrund hatte, nämlich den, über den Fall zu publizieren. Aber in Houston differenziert man sehr fein zwischen angehenden bzw. Möchtegern-Journalisten (die Freiwild sind) und "echten" Journalisten (die in Texas neuerdings auch Freiwild sind, s. u.).

Ihre Berufung gegen die Inhaftierung sollte geheim verhandelt werden. Erst als solch illustre Namen wie AP, die New York Times, die TV-Netzwerke ABC, CBS und NBC sowie die Journalistenvereinigung einmütig darum baten, die Verhandlung wegen ihrer großen Bedeutung für die Pressefreiheit öffentlich durchzuführen, änderte das Gericht die eigene Entscheidung und ließ die Öffentlichkeit zu.

Genutzt hat das Vanessa Leggett wenig - sie sitzt weiter ein. Die Richter bezeichneten sie in der Entscheidung als "Freelance-Schriftstellerin, die nahezu nichts publiziert hat und ohne Arbeitgeber oder Publikationsvertrag arbeitet", stützen aber die Entscheidung, sie weiter in Haft zu lassen, diesmal darauf, dass "das Journalistenprivileg nicht gegen eine Strafandrohung einer Grand Jury wirkt, wenn es keinen Hinweis gibt, dass Schikane oder Unterdrückung von Seiten der Regierung vorliegt". Publiziert wird diese absurde Entscheidung (die das Ende des freien Journalismus bedeuten würde) nicht, was bedeutet, dass sie nicht als Präzedenzfall gelten soll. Der kategorische Imperativ scheint in texanischen Richterstuben unbekannt zu sein.

Mittlerweile hat Vanessa Leggett einen traurigen Rekord aufgestellt: Sie ist die am längsten inhaftierte Journalistin der US-amerikanischen Geschichte. Der letzte Rekordhalter hatte sich geweigert, die undichte Stelle zu benennen, durch die er geheime Dokumente zum Charles-Manson-Prozess erhalten hatte.

Am 5. September schickte das Reporters Commitee for the Freedom of the Press einen offenen Brief an den Justizminister John Ashcroft, indem es um Hilfe bat. Ob jedoch ausgerechnet die texasgeleitete amerikanische Bundesregierung Vanessa Leggett erlösen wird, muss die Zukunft klären.