Wann kommt der Quantencomputer light?

Neue Technik sollte die bisher leistungsstärksten Supercomputer übertrumpfen. Doch trotz Milliardeninvestitionen bleibt der Durchbruch bislang aus

Forschungsförderer sind oft ungeduldig. Sie möchten verwertbare Ergebnisse sehen. Die Entwicklung eines Quantencomputers kostet viel Geld - aber auch viel Zeit. Viele Quantenphysiker sorgen sich, die noch üppigen Geldflüsse könnten versiegen, wenn sich nicht in den nächsten Jahren zumindest ein kleiner Quantenzauber einstellt. Ein Goldrausch ganz ohne Nuggets wird bald Katerstimmung weichen.

Daher hat sich die Quantencomputer-Gemeinde gespalten: Diejenigen, die langfristig eine Wundermaschine bauen wollen, die den klassischen Computer in vielen Feldern alt aussehen lässt und Verschlüsselungen knacken kann. Die andere Fraktion will schon in fünf bis zehn Jahren nutzbare Quantencomputer vorweisen.
Diese Gruppe bastelt an kleineren, fehleranfälligen Rechnern für Spezialanwendungen, die direkten Gewinn bringen, etwa bei der Suche nach Wirkstoffen in der chemischen Industrie, bei Optimierungsaufgaben, bei maschinellem Lernen oder in der Materialentwicklung.

In der Szene spricht man von "Noisy Intermediate Scale Quantum Technology", abgekürzt NISQ. Auf deutsch bedeutet das in etwa: "Verrauschte mittelgroße Quantentechnologie". Der sperrige Begriff ist Ausdruck einer Hoffnung. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Anhänger des NISQ glauben an spezielle Anwendungen, bei der ein Quantencomputer auch ohne Fehlerkorrektur und mit relativ wenigen Qubits genügend Arbeitsschritte schafft, um zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen, und zwar schneller als gewöhnliche Rechner.

Die Erwartung wurde genährt von Googles Demo einer "Quantenüberlegenheit" im Jahr 2019. Die schaffte ein Team um den Physiker John Martinis mit 53 Qubits und ohne Fehlerkorrektur. Googles Quantenchip löste ein hochkomplexes Problem, schneller als es jeder Supercomputer könnte, allerdings ohne jede praktische Anwendung. Nun, kommentierten manche Forscher, brauche es nur noch einen Algorithmus, der wirklich etwas Nützliches ausrechnet. Bislang wurde ein solcher jedoch noch nicht entdeckt.

Beim Text handelt es sich um einen Auszug aus der neuen und überarbeiten Auflage von Christian J. Meiers "Eine kurze Geschichte vom Quantencomputer (TELEPOLIS): Wie bizarre Quantenphysik eine neue Technologie erschafft", Heise Medien GmbH & Co. KG; 2., aktualisierte Neuauflage (26. November 2020), 256 Seiten. (Link am Ende der Seite.)

Bald aber könnten praxisrelevante Algorithmen auf einem NISQ-Quantenrechner laufen. Dafür gibt es sogar mehrere Beispiele aus jüngerer Zeit (Stand Sommer 2020). Eines davon könnte äußerst feine und komplexe Muster in Daten erkennen, wie ein Team um Jay Gambetta vom Watson-Forschungszentrum der Firma IBM in Yorktown Heights (US-Staat New York) zeigte. Algorithmen können lernen, Daten in verschiedene Kategorien zu ordnen. Zum Beispiel könnte man Tierbilder danach unterscheiden, ob sie ein rotes Fell oder ein weißes Fell zeigen.

Etwas mathematischer ausgedrückt projiziert der Algorithmus die Bilder in ein Koordinatensystem mit zwei Dimensionen, nämlich "rot" und "weiß". Wenn zwei Tiere eine ähnliche rötliche Färbung aufweisen, werden ihre Fotos ähnlich viele rote Pixel haben.

Im Rot-weiß-Koordinatensystem werden die Bilder durch zwei Punkte repräsentiert, die sich nah sind. Ist das eine Tier jedoch weiß und das andere rot, werden die Punkte weit voneinander entfernt liegen. So kann der Algorithmus Bilder nach Ähnlichkeit sortieren.

Koordinatensystem mit mehr als zwei Dimensionen

Aber ist das komplex genug? Wenn man Tiere nach Farben ordnen will, vielleicht. Nach ähnlichen Tierarten lässt sich so jedenfalls nicht sortieren. Der Algorithmus würde einen Fuchs und einen Polarfuchs als unähnlich bewerten, eine rötliche Katze und einen Fuchs hingegen als gleichartig. Es braucht einen komplexeren mathematischen Raum, um biologisch verwandte Tiere zusammenzusortieren.

Das wäre ein Koordinatensystem mit mehr als zwei Dimensionen, der etwa die Kopfform, den Augenabstand oder Ähnliches berücksichtigt. Im Prinzip lassen sich Ähnlichkeiten zwischen Datenpunkten oder, allgemeiner gesagt, Muster in Datenmengen umso feiner und präziser erkennen, je mehr Dimensionen für die Berechnung eines Ähnlichkeitswerts bereitstehen.

Jay Gambettas Team ging von der Idee aus, dass ein Quantenrechner bereits mit wenigen Qubits ein äußerst vieldimensionales Koordinatensystem darstellt. Wir erinnern uns: Ein Qubit haben wir als ein zweidimensionales Koordinatensystem betrachtet, das jeden Punkt mit zwei Parametern, Längengrad und Breitengrad, beschreibt. Jedes zusätzliche Qubit verdoppelt die Zahl der Dimensionen dieses "Raums", der dann freilich nicht mehr vorstellbar ist. Mit 20 Qubits sind es schon mehr als eine Million Dimensionen.

Ein Quantencomputer öffnet einen Raum, der mit einem klassischen Rechner verschlossen bleibt. Daher lassen sich mit ihm vielleicht Muster in Datenmengen detektieren, die für einen klassischen Computer zwangsläufig unsichtbar bleiben.

Dass immerhin das Prinzip funktioniert, haben die Forscher aus Yorktown Heights gezeigt. Sie verwendeten dafür einen Quantenchip der Firma IBM mit zwei Qubits, also vier Dimensionen.Darauf haben sie einen Algorithmus laufen lassen, der Daten in zwei Kategorien einordnet. Die Beispieldaten haben die Forscher zuvor künstlich generiert. Denn wie gesagt ging es bei dem Experiment lediglich um den Nachweis, dass die Idee prinzipiell funktioniert.

Die Forscher spekulieren, dass auf einem etwas größeren NISQ-Gerät ein Vorteil gegenüber den leistungsstärksten klassischen Algorithmen erreicht werden kann. Quantenrechner mit 20 oder mehr Qubits existieren bereits.

Hardware-Zwitter

Ein Aspekt der Arbeit lässt ahnen, wie Quantenrechner in naher Zukunft eingesetzt werden könnten. Der Mini-Quantencomputer erfüllt nur einen Teil des Jobs. Die Daten erhält er von einem klassischen Rechner. Er berechnet die Ähnlichkeit zwischen zwei Datensätzen und gibt den Wert an die herkömmliche Maschine zurück. Der Quantenchip arbeitet sozusagen als Co-Prozessor, ähnlich wie die Grafikkarte in einem PC, die die Daten vom Prozessor erhält und so umrechnet, dass sie auf dem Monitor ausgegeben werden können.

Viele Vertreter der NISQ-Szene glauben, dass kleine Quantencomputer ihre speziellen Fähigkeiten in einem Hybridrechner, zusammen mit einem klassischen Computer, erledigen werden. Wie beide Rechnerkonzepte ihre jeweiligen Stärken im Team ausspielen können, zeigten Forscher um Christian Kokail von der Universität Innsbruck im Jahr 2019.

Der Hybrid kann eine ganze Klasse von physikalischen Problemen simulieren, so genannte Gittermodelle. Diese dienen in der Festkörper- oder Teilchenphysik zum Studium von Phänomenen wie Magnetismus oder der Erzeugung von Teilchenpaaren.

Die Innsbrucker Physiker nutzten einen Quantencomputer mit 20 Kalzium-Ionen als Qubits. Mit Lasern lassen sich die Qubits einzeln und in Paaren manipulieren. Diese beiden Operationen dienen bildlich gesprochen als Bausteine, aus denen verschieden geformte Häuser gebaut werden können. Je nachdem, wie man sie kombiniert, verwirklichen sie ein anderes Mitglied aus der Familie der Gittermodelle. In Grenzen lässt sich die Maschine also programmieren.

Die österreichischen Forscher haben einen Prozess aus der Teilchenphysik simuliert: die spontane Entstehung und Vernichtung von Elementarteilchen-Paaren, genauer von Elektronen und deren Antiteilchen, so genannten Positronen. Das lässt sich wie folgt in die Qubits codieren: Der Wert 0 bedeutet Vakuum (kein Teilchen). Der Wert 1 bedeutet ein Elektron oder Positron, je nachdem, ob das entsprechende Qubit auf einem geraden oder ungeraden Platz in der Kette aus Kalzium-Ionen sitzt.

So ergibt sich ein komplexes System, das über tausend Konfigurationen einnehmen kann. Diese können im Quantenrechner alle parallel existieren in allen denkbaren Mischungsverhältnissen. Es ist wie ein Mischpult mit tausend Schiebereglern.

Eine wichtige Frage von Physikern an so ein System ist, welche Mischung die geringste Energie besitzt, also der "Grundzustand" ist. Eine Stärke des Quantenrechners: Er gibt die Energie eines Zustands sofort aus, indem man diese misst.

Aber wie findet man den Grundzustand? Das ist eine Stärke von klassischen Rechnern, genauer von so genannten Optimierungsalgorithmen. Sie finden, bildlich gesprochen, schnell das tiefste Tal in einer zerklüfteten, weitläufigen Gebirgslandschaft.

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