War Corona erst der Anfang?
- War Corona erst der Anfang?
- Corona ist nicht vorbei, die Wirksamkeit der Maßnahmen weiter unklar
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Vor einem "globalen Zeitalter der Pandemien" als Folge kapitalistischer Agrarwirtschaft wird gewarnt. Was tun? Auch Linke sollten ihren Umgang mit der Corona-Pandemie evaluieren.
Mitteilungen wie "Ehemaliges Kreiskrankenhaus in Peine kaputtgespart" verfasst die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gar nicht so selten. Auch in Zeiten der Corona-Pandemie werden weiter Krankenhäuser vor allem im ländlichen Bereich geschlossen. Darauf wies Jorinde Schulz vom Bündnis gegen Krankenhausschließungen am Donnerstagabend auf einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Nach der Corona-Pandemie zurück zur kapitalistischen Normalität?" in Berlin hin.
Die Impulsreferate von Schulz und Yaak Pabst von der Initiaitve ZeroCovid sind noch auf Youtube abrufbar. Mit der Veranstaltung sollte das merkwürdige Schweigen der letzten Monate auch in der gesellschaftlichen Linken zum Themenkomplex Corona gebrochen werden. Bestimmten die Themenbereiche Corona, die staatlichen Maßnahmen und ihre Gegner seit März 2020 die Debatte in diesem Spektrum enorm, so verschwanden sie ebenso schnell seit Ende Februar.
Ein Grund dafür dürfte die Auseinandersetzung um den russischen Einmarsch in die Ukraine sein, ein anderer auch eine gewisse Corona-Müdigkeit. Es scheint alles gesagt; und zudem haben sich in der gesellschaftlichen Linken ideologische Fronten aufgebaut, vor allem um die Einschätzung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionswellen, was zu Spaltungen und Diskussionsverweigerung führte.
Wirtschaftsliberaler Umbau des Gesundheitswesens geht weiter
Doch die Konsequenz, nun gar nicht mehr über Corona und die Folgen zu diskutieren, wäre fatal, wie Jorinde Schulz am Beispiel der Krankenhausschließungen aufzeigte. Sie sind Teil eines wirtschaftsliberalen Umbaus des Gesundheitssystems, der durch die Pandemie keineswegs gestoppt, sondern teilweise beschleunigt wurde.
Schulz verwies auf den Brandbrief, den ver.di und der Marburger Bund vor wenigen Wochen an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gerichtet hatten. Dort mahnten sie dringende Reformen an und warnten vor einer drohenden Einschränkung der Patientenversorgung durch eine Unterfinanzierung der Krankenhäuser.
Nun stellt sich aber die Frage, in welche Richtung diese Reformen gehen. In einer Kommission zur Krankenhausreform habe Lauterbach zwei Gesundheitsökonomen, die in der Vergangenheit als vehemente Befürworter von Krankenhausschließungen aufgefallen sind, an prominenter Stelle eingesetzt, moniert Schulz.
Auch der Marburger Bund und der ver.di-Vorstand sind in der Vergangenheit nicht als entschiedene Gegner von Krankenhausschließungen bekannt geworden. Schulz sieht eher Hoffnungen in den Streiks des Klinikpersonals aktuell in NRW, aber auch in der Berliner Krankenhausbewegung, die im letzten Jahr mit einen mehrwöchigen Arbeitskampf Verbesserungen der Arbeitsverhältnisse im Care-Bereich, wie der Sektor der Gesundheit und Pflege auch genannt wird, durchgesetzt haben.
Hier gäbe es Möglichkeiten der Solidarität durch eine gesellschaftliche Linke. Schließlich wurden die Corona-Maßnahmen, die mit vielen Einschränkungen verbunden waren, maßgeblich mit der drohenden Überlastung der Klinken begründet, die sogar bis zur Triage hätten führen können, was bedeutet hätte, dass nicht mehr alle lebensgefährlich erkrankten Patienten hätten versorgt werden können.
"Corona ist der Virus, Kapitalismus die Pandemie"
Bilder aus Ländern, in denen Menschen in der schlimmsten Zeit der Pandemie auf den Krankenhausfluren starben, sind uns allen noch erinnerlich. Yaak Pabst machte aber auf der Veranstaltung deutlich, dass es sich hier um Folgen einer kapitalistischen Politik handelt, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, auch das Gesundheitswesen, massiv betrifft.
Besonders viele Menschen seien in Ländern gestorben, in denen es keine oder marginale soziale Sicherheitssysteme gibt. Aber Yaak Pabst zielte mit seinem Vortrag nicht nur auf den Gesundheitssektor. An den Beginn seiner Präsentation stellte er das Bild mit der Parole "Corona ist der Virus, Kapitalismus ist die Pandemie".
Mit Verweis auf Naturwissenschaftler und Publizisten wie Rob Wallace, Josef Settele und Mike Davis bezeichnete Pabst die kapitalistische Landnahme, das heißt, das Eindringen von Großfarmen in bisherige Urwaldregionen als Ursache der Zunahme des Risikos von Pandemien.
"Wir beschreiten ein globales Zeitalter der Pandemien", zitiert Pabst den Soziologen Mike Davis. Es sei schon lange keine Frage mehr, dass es weitere solcher globalen Epidemien geben wird, die Frage sei nur, wann und wo sie auftreten, so die wenig optimistische Prognose von Pabst.
Er betonte gleichzeitig, dass es sich bei den Pandemien eben nicht um eine Naturkatastrophe handle, die wie ein Erdbeben oder ein Tsunami über die Menschheit hinweggeht. Vielmehr haben die Pandemien gesellschaftliche Ursachen und können deswegen auch durch eine Gesellschaftsveränderung, wenn nicht gestoppt, so doch minimiert werden, so der optimistische Teil des Referats von Pabst.
Dem kann man vorbehaltlos zustimmen, auch wenn einen die "ZeroCovid"-Strategie nicht überzeugt. Gerade hier müsste eine gesellschaftliche Linke ansetzen, die sich eigentlich die Aufgabe der Gesellschaftsveränderung gestellt hat. Hätte sie nicht mit den von Pabst und den von ihm genannten Autoren angesprochenen Zusammenhängen zwischen Pandemie und Kapitalismus wichtige Informationen, um ihre Kritik zu schärfen?
Da wären wir dann bei der Frage, die der Sozialwissenschaftler Joachim Hirsch gestellt hat – warum denn die gesellschaftliche Linke ihre Instrumentarien der Analyse und Kritik nicht ausgepackt habe?
Vielleicht, weil sie das Ziel, einer Veränderung der Gesellschaft teilweise aufgegeben hat und sich gar nicht mehr vorstellen kann, dafür Argumente zu sammeln und sie in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Da könnte man eine Linie bis zum Krieg in der Ukraine ziehen, den viele Linke nicht als Argument gegen den Kapitalismus begreifen wie noch Rosa Luxemburg und der linke Flügel der Arbeiterbewegung, sondern als Anlass, sich auf eine Seite dieses militärisch ausgetragenen Konflikts zu stellen.