War die Kugel die erste vom Menschen geschaffene geometrische Form?
Seite 2: Rätsel
Die nachfolgende Acheulian-Kulturperiode, die durch standardisierte Steinwerkzeuge mit vorgefertigter Morphologie gekennzeichnet ist und weitgehend mit H. erectussensu largo in Verbindung gebracht wird, löste die Oldowan-Kultur in verschiedenen Teilen des Globus vor 1,75 bis eine Million Jahren ab.
Trotz der relativen kulturellen Stabilität stellten bahnbrechende Archäologen wie Mary Leakey vor mehr als einem halben Jahrhundert fest, dass in den letzten Phasen der Oldowan- und frühen Acheulean-Schichten in der Olduvai-Schlucht in Tansania tatsächlich evolutionäre Veränderungen zu erkennen sind.
Eine der wichtigsten ist der Übergang von nicht standardisierten Scherbenindustrien zu vorgefertigten Werkzeugtypen, von denen die "Sphäroide" (kugelähnliche Körper) sowohl die erste als auch die repräsentativste ist.
Wie ihr Name schon sagt, weisen Sphäroide eine runde Morphologie auf, die aus aneinander grenzenden Facettenflächen besteht. Während sie in Europa extrem selten sind, wurden sie anderswo in Afrika und im Nahen Osten, in Indien und Asien gefunden, und zwar in Zusammenhängen, die von vor 1,8 Millionen Jahren bis vor etwa 300.000 Jahren reichen.
Trotz ihrer Allgegenwart geben diese rätselhaften Steinkugeln den Archäologen nach wie vor Rätsel auf, denn sie sind sich uneins darüber, ob sie absichtlich nach einer geplanten Steinschlagstrategie hergestellt wurden oder ob ihre runde Form zufällig durch langes Hämmern mit demselben Stein entstanden ist.
Forscher machen Fortschritte
Bislang wurde allgemein angenommen, dass die berühmten tränenförmigen Faustkeile aus dem Acheulium, die weitgehend mit H. erectus sensu lato in Verbindung gebracht werden, das erste bewusst geformte Objekt sind, das von unseren menschlichen Vorfahren hergestellt wurde.
Wenn aber tatsächlich nachgewiesen werden kann, dass Sphäroide mithilfe einer im Voraus geplanten Steinbearbeitungsstrategie hergestellt wurden, würde dies bedeuten, dass die Kugel die erste geometrische Form war, die jemals von frühen Menschen hergestellt wurde.
In jüngster Zeit hat das erneute Interesse an diesen rätselhaften Steinkugeln die Archäologen dazu veranlasst, innovative wissenschaftliche Methoden zu entwickeln, um diese zentrale Frage der "Intentionalität" zu klären: Handelt es sich bei den Sphäroiden um hergestellte Werkzeuge oder einfach um extensiv genutzte Hämmer?
Obwohl diese Frage bis heute ungelöst ist, machen die Forscher Fortschritte bei der Beantwortung der vielen Fragen, die unser Wissen über Sphäroide bestimmen.
So wurden in einer kürzlich durchgeführten Studie modernste 3D-Analysemethoden zur Untersuchung einer Sammlung von Steinkugeln aus der frühachäolischen, in der Levante (Ostküste des Mittelmeeres und ihr Hinterland) gelegenen Fundstätte 'Ubeidiya angewandt, wodurch erstmals Muster identifiziert werden konnten, die darauf hindeuten, dass es tatsächlich einen zielgerichteten Herstellungsprozess für nahezu perfekt kugelförmige Steinkugeln gab.
Symbole oder Wurfgeschosse?
Inzwischen helfen andere Strategien der experimentellen Archäologie den Wissenschaftlern bei der Überprüfung dieser Theorien. Die Ergebnisse zeigen, dass die Reproduktion von Steinkugeln mit prähistorischen Technologien selbst für erfahrene Steinmetzen eine gewaltige Aufgabe darstellt, die eine komplexe volumetrische Planung und umfassende Kenntnisse der Steinbruchmechanik erfordert.
Während wir uns bemühen, die Gesten und kognitiven Prozesse zu erforschen, die zur Herstellung dieser Werkzeuge erforderlich sind, fragen wir uns auch, wofür die Kugeln verwendet worden sein könnten.
Einige haben vorgeschlagen, dass es sich um Werkzeuge für das Schlachten handelte, andere haben vorgeschlagen, dass es sich um Werkzeuge für die Verarbeitung von Fleisch oder Pflanzenfasern handelte.
Die Standardisierung der Abmessungen dieser faustgroßen Objekte wird manchmal als Argument dafür angeführt, dass Sphäroide als Wurfgeschosse verwendet worden sein könnten. Einige Archäologen vermuten, dass Sphäroide sogar eine kulturelle oder symbolische Bedeutung gehabt haben könnten.
In dem Maße, wie wir in der wissenschaftlichen Erforschung der Vergangenheit Fortschritte machen, entdecken wir auch die tiefe Komplexität hinter den alten Technologien, die unsere Spezies so einzigartig gemacht haben.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Independent Media Institute und wurde von Human Bridges produziert. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Deborah Barsky ist Forscherin am Katalanischen Institut für menschliche Paläoökologie und soziale Evolution und außerordentliche Professorin an der Universität Rovira i Virgili in Tarragona, Spanien, und der Universität von Katalonien (UOC). Sie ist die Autorin von "Human Prehistory: Exploring the Past to Understand the Future" (Cambridge University Press, 2022). Deborah leitet derzeit ein von der Gerda Henkel Stiftung finanziertes Projekt mit dem IPHES-CERCA in Zusammenarbeit mit Forschern des Computational Archaeology Laboratory der Hebräischen Universität Jerusalem und des Tel Hai College (Obergaliläa).