War die Neue Welt gar nicht so neu?

Seite 3: Konquistadoren trafen auf blonde Einwohner

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Giffhorn ermittelte noch eine Reihe weiterer Kulturprallelen und Indizien für seine Theorie wie Begräbnistraditionen, Götterdarstellungen oder Festungskonzepte. Anders als für den Kulturwissenschaftler, ist der konkreteste und faszinierendste Aspekt für die meisten Menschen jedoch die unerwartete Existenz rothaariger und blonder Einwohner in der heutigen Chachapoya-Region. Dieses ungewöhnliche Phänomen der "Gringuitos", das erst einmal gar nichts mit Giffhorns Überlegungen zu tun hat, könnte sich mit der Theorie des Forschers jedoch ebenfalls erklären lassen.

Schon den spanischen Eroberern und ihren Chronisten im 16. Jahrhundert fielen einige der Chachapoya als hellhaarig und hellhäutig auf. Pedro Pizarro, Vetter des berühmten Konquistadors Francisco Pizarro, schrieb:

Die Indias vom Stamme der Chachapoya waren besonders schön und gepflegt. Unter den vornehmen Herren und Herrinnen waren manche weißer als Spanier. (…) Dieses Volk aus Peru ist weiß mit dunkelblonden bis braunen Haaren (…) In diesem Land sah ich eine Frau und ein Kind so weiß und so blond, wie man es sonst kaum sieht.

Die Bäuerin Cecilia Flores (links) aus dem abgelegenen Dorf Huancas hat blonde Haare wie zwei ihrer drei Geschwister und wie auch ihre Urgroßeltern. Rechts: Ein rothaariger Junge aus der Chachapoya-Region gibt für Hans Giffhorn eine Speichelprobe ab, die er später an der Universität Rotterdam analysieren ließ

Der Chronist Pedro de Cieza de León, der in der Inka-Hauptstadt Cusco viele verschleppte Chachapoya sah11, notierte: "Die Chachapoya sind die weißesten und anmutigsten Menschen von allen Indianern, die ich in Amerika gesehen habe." Unter den Berichten der Kolonialzeit kommentieren fast alle Chronisten12 die Schönheit und weiße Haut der Chachapoya-Frauen, fasst die Historikerin Adriana von Hagen vom Chachapoya-Museum in Leymebamba (Peru) zusammen.

Auch ein Inka-Gemälde, das verschleppte Chachapoyas im "Haus der auserwählten Frauen" des Inka-Kaisers zeigte, stellt die Frauen mit rotbraunen Haaren dar, während der Herrscher, wie alle Inka auf solchen Gemälden, schwarzhaarig ist. Und als der Kuelap-Entdecker Juan Crisóstomo Nieto die Festung 1843 erstmals betrat, entdeckte er vier Mumien "mit geschnittenem dünnem blondem Haar und nicht wie das der Indianer von heute", wie er in seinen Aufzeichnungen berichtete.

Gen-Analyse: Männliche Vorfahren stammen aus Westeuropa

Das Volk der Chachapoya gilt seit dem 16. Jahrhundert als ausgestorben. Der Großteil wurde von, durch Spanier eingeschleppte, Krankheiten wie Pocken oder Masern getötet, gegen die die Chachapoya keine Abwehrkräfte hatten. 13 Einzelne Gruppen könnten allerdings in isolierten Bergdörfern der Region von den Seuchen verschont geblieben sein. Ihre Gene hätten sie dann bis heute weitergegeben.

Hans Giffhorn bat deshalb männliche14 Gringuitos bzw. Väter von hellhaarigen Kindern in der Chachapoya-Region15 um Speichelproben, welche er schließlich an der Abteilung für forensische Molekularbiologie der Erasmus-Universität Rotterdam analysieren ließ. Der deutsche Abteilungsleiter Manfred Kayser hatte ihm vor dessen Reise die notwendige Ausrüstung für die DNA-Proben zur Verfügung gestellt.

Der Humangenetiker fand in seiner DNA-Analyse schließlich heraus, dass alle getesteten Gringuitos sowohl indianische als auch europäische Vorfahren hatten. Die blonden und roten Haare gingen dabei definitiv auf europäisches Erbgut zurück, sagte Kayser. Dies widerlegt die mögliche Erklärung, die helle Haarfarbe könnte unabhängig von europäischem Einfluss durch eine Laune der Natur in den Chachapoya-Bergdörfern entstanden sein.

Kayser konnte aber noch genauere Informationen über die geografische Herkunft der Vorfahren rekonstruieren. Entscheidend sind dafür bestimmte Chromosomen-Typen, die sogenannten Haplogruppen. Für die männliche Abstammung werde dazu nach speziellen DNA-Markern auf dem Y-Chromosom gesucht. Diese zeigen die Zugehörigkeit zu Y-Haplogruppen an, die ungleichmäßig über die Welt verteilt sind. Unter amerikanischen Ureinwohnern dominiere bspw. die Y-Haplogruppe Q.

Für Giffhorns Stichprobe ermittelte Manfred Kayser jedoch, dass die Gringuitos väterlicherseits am wahrscheinlichsten von Männern aus dem Westteil Europas abstammen. Der Molekulargenetiker ermittelte bei ihnen den Y-Chromosomen-Typ R1b, der am häufigsten im Westen der britischen Inseln, an der französischen Atlantikküste und im Norden Spaniens vorkommt. In Galicien, dem Nordwesten Spaniens, liegt der Anteil teils sogar bei über 90 Prozent. Galicien ist zudem bis heute die Gegend Spaniens mit dem höchsten Anteil an blonden, rothaarigen und rotblonden Menschen.

Die Haplo-Gruppe R1b kommt besonders am Westrand Europas sehr häufig vor

Diese Ergebnisse würden also in Giffhorns Hypothese passen. Was Kaysers DNA-Analyse nicht beantworten konnte, ist die Frage, wann diese Vermischung stattfand. Die Haplogruppe R1b könnte also auch von Europäern stammen, die nach der spanischen Entdeckung des Kontinents 1492 hierherkamen. Alle zuvor präsentierten Indizien sprechen jedoch dagegen. Sie legen eher nahe, dass das Gringuito-Phänomen schon vor der Ankunft der Konquistadoren bestand.16

Genetische Vielfalt der Mütter

Die Analysen ergaben weiterhin, dass alle getesteten Gringuitos mütterlicherseits auf Indianerinnen zurückgehen, die jedoch aus ganz verschiedenen Teilen Südamerikas stammten.17 Die männlichen Einwanderer hätten sich demnach nicht erst in der Chachapoya-Region mit einheimischen Frauen zusammengetan, sondern bereits auf den vorangegangenen Stationen - und diese Frauen dann in die Andenregion mitgenommen. Ein gemeinsames DNA-Forschungsprojekt peruanischer und finnischer Experten zur genetischen Zusammensetzung der Chachapoya bestätigte Kaysers Ergebnisse kurz darauf und erweiterte sie sogar noch.18

Die genetischen Unterschiede (…) zeigen relativ gut definierte Gruppen, die Andenbevölkerung und die amazonische Bevölkerung. Die Chachapoya gehören zu keiner der Gruppen, sondern sind verschieden vom Rest der Bevölkerung. (…) Die Einzigartigkeit der Chachapoya in Bezug auf Grad und Natur der genetischen Vielfalt lässt vermuten, dass die Chachapoya eine andere demografische Geschichte hatten als viele andere eingeborene Bevölkerungsgruppen (…) auch in der Vor-Inka-Zeit.

Kaum vorstellbarer Erfolg

Die Verlässlichkeit Giffhorns Hypothese hängt zwar nicht von den Ergebnissen der DNA-Analysen ab. Sie können damit jedoch auch erklärt werden. Notwendig war es letztlich, ein Szenario zu entwickeln, das die Gesamtheit der Indizien in einen plausiblen Zusammenhang bringt.

Tatsächlich ist es ja trotz aller Indizien nur schwer vorstellbar, dass eine relativ kleine Gruppe von vielleicht nur einigen hundert Menschen auf diesem riesigen fremden Kontinent nicht nur überleben, sondern auch noch eine erfolgreiche Kultur mit großen Bauwerken schaffen und sich rund 1500 Jahre behaupten konnte - zumal die Einwanderer selbst auch noch aus drei verschiedenen Herkunftskulturen stammten. Wie soll das funktioniert haben?

Giffhorn vermutet: Die Galicier bildeten die große Mehrheit unter den Emigranten, denn die Reise startete aus ihrer Heimatregion, sie waren erfahrene Seefahrer und hatten das stärkste Motiv. Die Tradition, die für alle Menschen von Bedeutung ist, nämlich die Wohnbau- und Siedlungstradition, wurde deshalb von Beginn in der Chachapoya-Region und bis zum Ende der Kultur nur von den Galiciern bestimmt.

Keltiberer und Balearenkrieger waren wohl Minderheiten. Nur bestimmte Kriegergruppen hatten sich bis Galicien geflüchtet. Wegen ihrer speziellen Fähigkeiten in Sachen Festungsbau und Steinschleudern waren sie jedoch begehrte Bundesgenossen für die Galicier. So setzten sich auch ihre speziellen und nützlichen Kulturelemente in der neuen Heimat durch.

Einwanderer und Ureinwohner profitierten voneinander

Viele der Europäer sind wahrscheinlich schon unterwegs gestorben. In den Regionen, die sie durchquerten, schlossen sich ihnen aber sicherlich Ureinwohner an, vermutet Giffhorn. Das sei bei den neuzeitlichen Eroberern der Neuen Welt ebenso gewesen.

In der Chachapoya-Region lebten bei Ankunft der Emigranten bereits Menschen. Sie erkannten genauso wie die Neuankömmlinge, dass sie gegenseitig voneinander profitieren. Die Europäer konnten helfen, Feinde abzuwehren, und sie führten Methoden ein, mit deren Hilfe man die Landwirtschaft an den steilen Bergen der Region produktiver gestalten konnte, während die Einheimischen sich mit den Nutzpflanzen und anderen Gegebenheiten auskannten. Ureinwohner und Einwanderer vermischten sich dann in den folgenden Jahrhunderten und bildeten das Volk der Chachapoya.19

Möglicherweise habe ich bei meinen Begegnungen mit Gringuitos in die Augen von über zweitausend Jahren bisher unbekannter keltischer Geschichte geblickt", resümiert Giffhorn. "Ein faszinierender Gedanke.

In Teil 3 werden Gegenargumente zu Hans Giffhorns Theorie und die Reaktionen aus Fachwelt und Medien thematisiert.

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