War die Neue Welt gar nicht so neu?
- War die Neue Welt gar nicht so neu?
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Wissenschaftler identifiziert Kulturparallelen zwischen antiken Iberern und einzigartiger präkolumbischer Kultur Südamerikas. Teil 2
Schon weit vor den Inka gab es in den Anden fortgeschrittene Zivilisationen, eine davon: die Chachapoya-Kultur. Deren Hinterlassenschaften beeindrucken bis heute. Doch ist die Herkunft dieses Volks noch immer unklar. Der Kulturwissenschaftler Hans Giffhorn hat fast zwei Jahrzehnte ergebnisoffen nach Hinweisen auf den Ursprung ihrer Kulturformen gesucht. Erst nach rund zwölf Jahren stieß er auf erste überzeugende Entsprechungen. Und erst vor knapp zwei Jahren gelangte er an schlüssige Informationen zu Gruppen, die sowohl ein hinreichendes Motiv als auch realistische Möglichkeiten für eine Auswanderung besaßen: drei Kriegerkulturen des antiken Spanien. War die "Neue Welt" gar nicht so neu? Dieser Teil stellt ihre Spuren in Südamerika vor, auf die Giffhorn stieß.
In aufwendiger Detektivarbeit suchte Giffhorn in Grabungsberichten und anthropologischen Befunden aus dem Chachapoya-Gebiet nach verlässlichen Informationen, die eine erste Eingrenzung möglicher Ursprünge etwa der spektakulären Chachapoya-Bautradition erlauben. Das auch für ihn überraschende Ergebnis: Eine allmähliche Entstehung vor Ort kann ausgeschlossen werden, ebenso eine Zuwanderung aus anderen Teilen der Neuen Welt. Alle Indizien sprechen für eine Einwanderung aus Europa im ersten vorchristlichen Jahrhundert.
Unklar war aber noch immer, woher die Einwanderer genau kamen. Um eine Antwort darauf zu erhalten, hatte Giffhorn bereits kurz nach seinen ersten Begegnungen mit den rätselhaften Phänomenen im Chachapoya-Gebiet im Frühjahr 1998 begonnen, nach Kulturentsprechungen Ausschau zu halten: zuerst in Amerika, dann aber auch in Asien und später in Afrika und Europa.
Alle Antworten führten zum selben Ergebnis
Unabhängig von dieser Frage forschte er zudem, wer überhaupt in der Antike für eine Auswanderung infrage kam. Erst vor kurzem, als alle verfügbaren Informationen zusammengetragen waren, stellte sich heraus, dass die Antworten auf die verschiedenen Fragen zu demselben Ergebnis führten: eine Einwanderung der drei genannten Gruppen im 1. Jh.v.Chr.
Doch vor diesem Ergebnis mussten noch viele Hypothesen überprüft und Teilfragen geklärt werden. Im ersten Teil wurde Giffhorns Szenario dargestellt, wie und warum Keltiberer, galicische Kelten und Balearenkrieger die brasilianische Atlantikküste erreicht haben könnten. 1 Doch die Kultur der Chachapoyas existierte tausende Kilometer weiter westlich - im Quellgebiet des Amazonas in den Nordost-Anden. Konnte eine antike europäische Flotte bis dorthin vordringen?
Der Wissenschaftler hat dazu verschiedene Szenarien durchgespielt. Am plausibelsten sei letztlich, dass die Expedition an der brasilianischen Atlantikküste, irgendwo in der Nähe der heutigen Hafenstadt Recife anlandete. Auch der neuzeitliche Entdecker Brasiliens, Pedro Álvares Cabral, kam nach seiner Verschlagung durch Äquatorialstrom und Nordostpassat in etwa in dieser Region an.
Die mögliche Route der antiken europäischen Einwanderer hätte diese von der östlichen Atlantikküste über den Amazonas quer durch den südamerikanischen Kontinent bis in die nordöstliche Andenregion geführt.
Dort hätten die Einwanderer einen schiffbaren Fluss ins Innere des Kontinents suchen müssen, um Trinkwasser und einen geeigneten Siedlungsplatz zu finden sowie für etwaige römische Verfolger nicht mehr auffindbar zu sein. Sie wären dann in nördlicher Richtung, von der Strömung getragen, zuerst zum Rio Paraiba und später weiter in diese Richtung zum Amazonas gelangt. Entlang dieser möglichen Route gibt es mit den Felsgravuren am Pedra do Ingá2 und der Insel Marajó3 in der Amazonasmündung zwei Orte, die der brasilianischen Archäologie bis heute Rätsel aufgeben (siehe Fußnoten). Folgt man Giffhorns Szenario, könnten beide Orte Zwischenstationen der antiken Einwanderer gewesen sein.
Erfolgreiche Amazonasfahrten
Schließlich wäre die Emigrantenflotte auf der Suche nach klimatisch für sie geeigneteren Regionen den Amazonas hinaufgefahren - nicht ahnend, dass über 4000 Kilometern vor ihnen lagen. Dass dies aber durchaus machbar ist, zeigten spanische Konquistadoren, die 1542 den Fluss in umgekehrter Richtung von den Anden bis zur Mündung auf einer selbstgebauten Brigantine befuhren.4
Den Amazonas aufwärts zu fahren, ist laut Giffhorn wegen des geringen Gefälles und der dauernden Winde in Richtung Westen ebenso machbar. Der portugiesische Forscher Pedro Teixeira schaffte dies 1637/1638, genauso wie hundert Jahre zuvor gut 300 Tupi-Guarani-Indianer in Einbäumen.5 Die Reise hatte diese Indianer bis an die Quellen des Amazonas geführt. Dort in den Bergnebelwäldern im Nordosten des heutigen Perus liegt die Region Chachapoyas, deren Name auf das bis zum 16. Jahrhundert hier ansässige Volk zurückgeht. Die einst mächtige Kultur wurde vergessen und erst ab dem 19. Jahrhundert mit ihren Überresten wiederentdeckt.
Eine rätselhafte Kultur
Schon Jahrhunderte vor den Inka legten die Chachapoya ein ausgedehntes Straßennetz mit bearbeiteten Pflastersteinen an, sie schufen ausgefeilte Bewässerungssysteme und bauten befestigte Siedlungen mit kunstvollen Steinterrassen für die Landwirtschaft. Die Herkunft der Kultur ist den Fachwissenschaften - Altamerikanistik, Archäologie und Anthropologie - jedoch bis heute unbekannt. Wie aus dem Nichts sei diese Kultur aufgetaucht, sagt etwa der deutsch-peruanische Ethnologe Peter Lerche, der seit Jahrzehnten vor Ort forscht.6 Sämtliche Theorien zur Entstehung durch Wanderung südamerikanischer Völker, etwa aus den Hochanden oder aus dem Amazonasgebiet, sind mittlerweile widerlegt, berichtet Hans Giffhorn.
Auch die offiziellen Altersangaben zu dieser Zivilisation, die in der Regel von einer Entstehung zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert sprechen, erwiesen sich schon vor Jahren als haltlos. Sowohl der US-Archäologe Warren Church (1988) als auch seine dänische Kollegin Inge Schjellerup (1997) kamen unabhängig voneinander an verschiedenen Grabungsstätten zum Ergebnis, dass die untersuchten Chachapoya-Siedlungen spätestens im ersten Jahrhundert n. Chr. entstanden. Vorläufer der speziellen Chachapoya-Bauweise gibt es aber keine - zumindest nicht in der Region.
Mauerwerk als kultureller Fingerabdruck
Das markanteste bis jetzt bekannte Bauwerk der Chachapoya ist die Festung Kuelap. Sie ist deutlich älter als die berühmte Gipfelstadt Machu Picchu der Inka und sie ist die gewaltigste Festung des ganzen Kontinents. "Ihre monströsen Ausmaße machen sie einzigartig im präkolumbischen Amerika", schreibt Giffhorn. Eine gewaltige Mauer von bis zu 20 Metern Höhe und acht Metern Dicke umschließt dabei eine Bergkuppe mit hunderten Wohnhäusern und weiteren Steinbauten.
Seit Kuelap 1843 wiederentdeckt wurde, suchen Forscher nach den Ursprüngen überall in Amerika - ohne Ergebnis. Bauweise und Baukonzept können aber nicht aus dem Nichts entstanden sein, folgert Giffhorn. "Wurzeln in der Alten Welt hat dabei keiner der Fachwissenschaftler in Betracht gezogen."
Giffhorn versuchte jahrelang mit fachlicher Hilfe der Freiburger Archäologin Karin Hornig eine vergleichbare Bauweise, also Bearbeitung, Anordnung und Zusammenfügung der Steine, bei den Festungsmauern anderer antiker Zivilisationen sowohl in Amerika als auch in Afrika und Europa zu entdecken. Denn: "Zahlreiche Kulturen zeichnen sich durch unverwechselbare Architekturformen aus", erläutert Hornig.
Dies gilt nicht nur für die Gesamtgestaltung von Bauwerken, sondern auch für das Mauerwerk, dessen Struktur wie ein überdimensionaler Fingerabdruck seine Urheber verrät.
Nach jahrelanger Suche schließlich stieß die Archäologin 2012 auf Bilder der keltiberischen Siedlung Segontia Lanka im Norden Spaniens. Forscher gruben dort eine rund 2200 Jahre alte Mauer aus. Bis ins Detail glich die dortige Mauerfertigung der Kuelaps und anderer Festungsmauern der Chachapoya. Dasselbe gilt auch für die keltiberische Festung Contrebia Leukade in der spanischen Provinz La Rioja, die Hans Giffhorn 2014 besuchte.
Nicht nur verwendeten Keltiberer und Chachapoya Kalkstein und denselben Mörtel aus Lehm und Schlick, auch die Maße und Proportionen der für die Mauer verwendeten Steine entsprechen sich ziemlich genau. Angesichts der überraschenden Übereinstimmungen der Festungsmauern dürfe man einen entsprechenden Kultureinfluss annehmen, schlussfolgerte Hornig.
Zwillingsrundbauten auf zwei Kontinenten
Dies könnte ein Zufall oder eine Fehlinterpretation sein, wenn doch nicht immer wieder festgestellte Traditionen der Chachapoya direkt auf nördliche Regionen des antiken Spaniens oder auf die Balearen der vorrömischen Zeit verweisen würden.
Da wären etwa die Wohnhäuser der Chachapoya. Sie sind kreisrund und aus Stein. Andere Indianervölker der Region bauten rechteckige Hütten aus dem reichlich vorhandenen Holz. Die Parallele führt hier zur Castro-Kultur. Diese Menschen aus dem Nordwesten der iberischen Halbinsel erbauten bis zum Einmarsch der Römer im ersten Jahrhundert v. Chr. Wohnhäuser, die denen der Chachapoya zum Verwechseln ähnlich sehen.
Da Rundbauten aber nichts grundsätzlich Seltenes sind, waren auch hier die Details entscheidend: Die Mauerstrukturen der iberischen Castros und der Chachapoya-Wohnhäuser stimmen exakt überein. Das belegt Hans Giffhorn in seinem Dokumentarfilm mit Bildern der noch existierenden Sockel und Grundmauern der Gebäude. Noch deutlicher machen es Fotos zweier unabhängig voneinander rekonstruierter antiker Wohnhäuser der tausende Kilometer auseinanderliegenden Regionen.
Ähnliche Rundbauten finden sich auch in anderen Teilen des damaligen keltischen Kulturbereichs - auf den britischen Inseln. Doch während die Bauweisen der Keltiberer und der Castro-Kultur auf jahrtausendealte Vorläufer zurückgehen, finden sich keine Vorgängertraditionen im Chachapoya-Gebiet. "Als dort vor 2000 Jahren plötzlich Festungsanlagen und Rundbautensiedlungen auftauchten, waren deren Techniken und ihre Bauformen schon fertig entwickelt und ausgereift", erklärt Giffhorn. "Und sie haben sich bis zum Ende der Chachapoya-Kultur im 16. Jh. n. Chr. auch nie mehr entscheidend geändert."
Tradition schlug Zweckmäßigkeit
Die europäischen Einwanderer hätten ihre mitgebrachte Bauweise in Südamerika konserviert, da dies ein wichtiges identitätsstiftendes Tradition gewesen sei, vermutet der Forscher. Dafür spricht auch die Materialauswahl. Normalerweise entstehe eine bestimmte Bauweise ja aus der Zweckmäßigkeit zur Verfügung stehender Materialien vor Ort. In waldreichen Regionen, wie dem Gebiet der Chachapoya sei das in erster Linie Holz, dessen Nutzung zu eckigen Gebäuden führe. Die für die Region eher unzweckmäßigen Steinhäuser der Chachapoya, könnten eher für Giffhorns Hypothese sprechen.
Häuser aus der Castro-Kultur, Mauern der Keltiberer: "Offenbar wählten die Einwanderer die naheliegendste Lösung", schlussfolgert der Kulturwissenschaftler.
In der Fremde vereinten sie das vertraute Konzept der nordwestspanischen Castros mit den riesigen Ausmaßen und der Mauerstruktur der keltiberischen Festungsbautradition.
Der peruanische Ausgrabungsleiter von Kuelap, Alfredo Narváez, geht davon aus, dass die Festung ein gemeinschaftsstiftendes Großprojekt der Chachapoya war, an dem sie mehrere Jahrhunderte bauten. C-14-Datierungen und archäologische Analysen ergaben, dass der Bau 400 n. Chr. schon weit fortgeschritten war, so Narvaez.
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