Warnung vor Jahrhundertrezession

Seite 2: Großbritannien: Besonders gefährliches Szenario

Vor einem besonders gefährlichen Szenario steht allerdings Großbritannien. Obwohl die Bank of England (BoE) relativ frühzeitig schon im Dezember 2021 als erster G-7-Staat eine Zinswende eingeleitet hatte, ist wie im Euroraum auch im Königreich die Inflation weiter außer Kontrolle.

Auch die offizielle Inflationsrate ist, wie an dieser Stelle erwartet, im Herbst nun über die Marke von zehn Prozent geklettert. Das ist ein neuer Rekord, denn seit vierzig Jahren war die Inflation nicht mehr so hoch wie die derzeit registrierten 10,1 Prozent.

Dass trotz der vielen Probleme, wie Brexitfolgen und Regierungschaos, die Inflation auf der Insel nun sogar niedriger als im Euroraum ist, zeigt aber auch an, dass die frühzeitigen Zinserhöhungen die Inflation zumindest gedämpft haben, während sie im Euroraum bisher nur steigt und steigt.

Eigentlich hatte man in Britannien darauf gehofft, dass die bisherigen Leitzinsanhebungen langsam Erfolge wie in den USA zeigen würden. Schon im Juli hatte die Inflationsrate das 40-Jahres-Hoch von 10,1 Prozent erreicht. Hoffnungen keimten auf, als die Rate im August wieder leicht unter die Marke von zehn Prozent gesunken war.

Lebensmittel als Inflationstreiber

Doch eine Trendwende ist in Großbritannien noch nicht eingeleitet, wie die neuen Daten zeigen. Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke haben sich im September im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um 14,5 Prozent erhöht, also ebenfalls so stark wie seit mehr als 42 Jahren nicht mehr.

Lebensmittel sind, neben Energie, zum großen Inflationstreiber geworden. Ökonomen sehen die Gefahr, dass die Inflation auch weiter hoch bleiben wird, auch wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt.

Das hat aber auch mit den Energiepreisen und damit mit den Wechselkursproblemen zu tun, mit denen auch die Briten zu kämpfen haben. Das Chaos in der Regierung um die absurden Steuerpläne der Ex-Regierungschefin Liz Truss hatten das Pfund weiter auf Talfahrt geschickt.

Da Öl und Gas in Dollar bezahlt werden müssen, verteuert sich Energie in Großbritannien wie im Euroraum auch, wenn die Öl- und Gaspreise gar nicht steigen. Energie verteuert letztlich dauerhaft wieder fast alle Waren und Dienstleistungen weiter.

Richtung Stagflation

Tatsächlich steht es um die britische Wirtschaft es alles andere als gut. Die Wirtschaftsleistung ist schon im August unerwartet früh geschrumpft und damit ist Großbritannien im dritten Quartal vermutlich früher in die Rezession gerutscht, als ohnehin erwartet worden war. Dass die britische Wirtschaft mit "Vollgas" in Richtung einer gefährlichen Stagflation rast, war allerdings vorhersehbar.

Dass es zu einer stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation kommt, ist jedenfalls nun in Großbritannien nun schon Realität. Da es der BoE mit den bisherigen Maßnahmen nicht gelungen ist, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, muss sie ebenfalls auf den aggressiveren Fed-Kurs einschwenken, womit sich der Rezessionsdruck allerdings erhöht.

Auch die BoE hat in der vergangenen Woche, in der achten Zinserhöhung in Folge, den Leitzins erstmals um 75 Basispunkte auf nun drei Prozent angehoben. "Die Inflation ist zu hoch, und es ist unsere Aufgabe, sie zu senken", sagte BoE‑Gouverneur Andrew Bailey.

"Quantitative Straffung"

Zuletzt waren die Leitzinsen im Königreich vor der Finanzkrise 2008 so hoch. Damit geht nun auch die britische Notenbank auf Fed-Kurs und erhöht den Zinsunterschied (Spread) zum Euroraum um einen ganzen Prozentpunkt. Auch darüber kommt die EZB weiter unter Druck.

Doch anders als die EZB, die an der Geldschwemme nicht rüttelt und die Bilanzsumme nicht vermindern will, hat auch die BoE nun angefangen, Geld vom Geldmarkt zu saugen, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen.

Die Politik der "quantitative easing" (QE/quantitativen Lockerung), als zunächst in der Finanzkrise und danach in der Corona-Krise die Notenpressen auf Hochtouren liefen und massiv Staatsanleihen angekauft wurden, soll nun rückgängig gemacht werden.

Auf QE folgt nun QT, also eine "quantitative tightening" (quantitative Straffung). Am 1. November wurden Anleihen im Wert von 750 Millionen Pfund (870 Millionen Euro) mit kurzer Laufzeit verkauft.

Dramatische Turbulenzen

Eigentlich wollte die BoE schon 6. Oktober mit dem Abstoßen von Anleihen beginnen. Doch führten die absurden Steuerpläne von Truss zu erheblichen Turbulenzen an den Finanzmärkten. So musste die britische Notenbank schnell massiv Anleihen ankaufen, um einen Anleihe‑Crash zu vermeiden.

Offenbar waren die Turbulenzen sogar deutlich dramatischer, als allgemein angenommen worden war.

Einige Pensionsfonds wurden an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Das zeigt aber auch nur, dass sie auf tönernen Füßen stehen. Plötzlich stand die Altersvorsorge von Hunderttausenden Briten auf dem Spiel.

Da die BoE nun aber mit der Verringerung der Bilanzsumme beginnen konnte, glaubt man in London, dass man die Leitzinsen nicht mehr viel höher treiben muss, um die Inflation endlich in den Griff zu bekommen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Leitzinsen, wie an den Finanzmärkten erwartet werde, sogar auf über fünf Prozent steigen müssten.