Warnung vor Jahrhundertrezession
Die US-Notenbank treibt mit ihrer harten Zinspolitik die Notenbanken vor sich her, auch die britische Notenbank zog nach – obwohl sie eine harte Rezession erwartet. Die EZB steckt in einem Teufelskreis.
Die US-Notenbank (Fed) hat vergangene Woche im Kampf gegen die hohe Inflation den aggressivsten Zyklus von Zinserhöhungen seit mehr als 40 Jahren fortgesetzt. Zum sechstem Mal in diesem Jahr hat sie den Leitzins erhöht. Wie allseits erwartet, hat sie den Leitzins zum vierten Mal in Folge sogar um die unüblichen 75 Basispunkte angehoben. Damit ist der Leitzins in den USA nun in einer Zielspanne von 3,75 Prozent bis 4 Prozent angekommen.
Das hat den Zinsunterschied (Spread) zum Euroraum wieder auf zwei volle Prozentpunkte anschwellen lassen, was die Europäische Zentralbank (EZB) angesichts der Kapitalflucht und der damit verbundenen Euro-Schwäche weiter deutlich unter Druck bringt.
Die EZB war erst kürzlich und viel zu spät auf eine etwas aggressivere Geldpolitik zur Eindämmung der längst zweistelligen Inflationsrate im Euroraum eingeschwenkt. Die ist nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat nun sogar schon auf 10,7 Prozent angeschwollen und sie geht zudem auch hier immer mehr in die Breite.
Weitere Erhöhungen angekündigt
In Europa hatten viele darauf gehofft, dass die Fed das Zinserhöhungstempo verringern würde. Diese Hoffnung wurde auf dieser Zinssitzung des Offenmarktausschusses aber enttäuscht. Zudem kündigten die Notenbanker in den USA für die kommenden Sitzungen an, dass "weitere Erhöhungen der Zielspanne angemessen" seien.
Allerdings signalisierten sie auch, dass in Zukunft kleinere Zinsschritte folgen könnten. Man werde bei der Festlegung künftiger Zinserhöhungen "die kumulative Straffung der Geldpolitik, die Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik auf die Wirtschaftstätigkeit und die Inflation sowie die wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen berücksichtigen", schreiben die Notenbanker.
Zu große Hoffnungen dämpfte der Fed-Chef Jerome Powell allerdings auf der Pressekonferenz nach der Sitzung: "Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, und die seit unserer letzten Sitzung eingegangenen Daten deuten darauf hin, dass das endgültige Zinsniveau höher ausfallen wird als bisher erwartet", sagte er. Es erfordere viel Entschlossenheit und Geduld, um die Inflation wieder auf die Zielmarke von zwei Prozent zu bringen.
Powell geht allerdings davon aus, dass in der Notenbank nun die Diskussion über eine Verringerung des Zinserhöhungstempos beginnen werde. Auch für ihn ist klar, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen werde, an dem das Zinstempo gedrosselt werde.
Dieser Zeitpunkt wird kommen, und er könnte schon bei der nächsten oder übernächsten Sitzung kommen.
Jerome Powell
Eine Entscheidung darüber sei allerdings "noch nicht gefallen", fügte er an. Hatte die Fed bisher darauf gehofft, dass die Zinspolitik die Wirtschaft nicht zu sehr belasten werde, stimmt sie nun darauf ein, dass ihr die "weiche Landung" vermutlich nicht gelingt. Das will heißen, dass auch die USA vor einer tiefergehenden Rezession stehen, da das Zinsniveau insgesamt höher als bisher erwartet angehoben wurde, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Gefahr des Zinsschocks
Die Gefahr des befürchteten Zinsschocks wächst auch in den USA. Die offizielle Arbeitslosenquote ist dort schon leicht im September auf 3,7 Prozent gestiegen.
Das Problem der Fed ist, dass auch die Inflation in den USA weiter hoch ist. Sie scheint allerdings den Höhepunkt überschritten zu haben, den sie mit 9,1 Prozent im Juni erreicht hatte. Seither geht sie, wenngleich nur langsam, aber stetig zurück. Sie betrug im September noch 8,2 Prozent nach 8,3 Prozent im August.
Schon da war eine deutlichere Abschwächung erwartet worden. Dazu kommt, dass zwar die Gesamtinflation stetig zurückgegangen ist, die Kerninflation aber, die volatile Komponenten wie Energie und Nahrungsmittel unberücksichtigt lässt, ist dagegen auch in den USA weiter gestiegen.
Großbritannien: Besonders gefährliches Szenario
Vor einem besonders gefährlichen Szenario steht allerdings Großbritannien. Obwohl die Bank of England (BoE) relativ frühzeitig schon im Dezember 2021 als erster G-7-Staat eine Zinswende eingeleitet hatte, ist wie im Euroraum auch im Königreich die Inflation weiter außer Kontrolle.
Auch die offizielle Inflationsrate ist, wie an dieser Stelle erwartet, im Herbst nun über die Marke von zehn Prozent geklettert. Das ist ein neuer Rekord, denn seit vierzig Jahren war die Inflation nicht mehr so hoch wie die derzeit registrierten 10,1 Prozent.
Dass trotz der vielen Probleme, wie Brexitfolgen und Regierungschaos, die Inflation auf der Insel nun sogar niedriger als im Euroraum ist, zeigt aber auch an, dass die frühzeitigen Zinserhöhungen die Inflation zumindest gedämpft haben, während sie im Euroraum bisher nur steigt und steigt.
Eigentlich hatte man in Britannien darauf gehofft, dass die bisherigen Leitzinsanhebungen langsam Erfolge wie in den USA zeigen würden. Schon im Juli hatte die Inflationsrate das 40-Jahres-Hoch von 10,1 Prozent erreicht. Hoffnungen keimten auf, als die Rate im August wieder leicht unter die Marke von zehn Prozent gesunken war.
Lebensmittel als Inflationstreiber
Doch eine Trendwende ist in Großbritannien noch nicht eingeleitet, wie die neuen Daten zeigen. Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke haben sich im September im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar um 14,5 Prozent erhöht, also ebenfalls so stark wie seit mehr als 42 Jahren nicht mehr.
Lebensmittel sind, neben Energie, zum großen Inflationstreiber geworden. Ökonomen sehen die Gefahr, dass die Inflation auch weiter hoch bleiben wird, auch wenn sich die Konjunktur weiter abschwächt.
Das hat aber auch mit den Energiepreisen und damit mit den Wechselkursproblemen zu tun, mit denen auch die Briten zu kämpfen haben. Das Chaos in der Regierung um die absurden Steuerpläne der Ex-Regierungschefin Liz Truss hatten das Pfund weiter auf Talfahrt geschickt.
Da Öl und Gas in Dollar bezahlt werden müssen, verteuert sich Energie in Großbritannien wie im Euroraum auch, wenn die Öl- und Gaspreise gar nicht steigen. Energie verteuert letztlich dauerhaft wieder fast alle Waren und Dienstleistungen weiter.
Richtung Stagflation
Tatsächlich steht es um die britische Wirtschaft es alles andere als gut. Die Wirtschaftsleistung ist schon im August unerwartet früh geschrumpft und damit ist Großbritannien im dritten Quartal vermutlich früher in die Rezession gerutscht, als ohnehin erwartet worden war. Dass die britische Wirtschaft mit "Vollgas" in Richtung einer gefährlichen Stagflation rast, war allerdings vorhersehbar.
Dass es zu einer stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation kommt, ist jedenfalls nun in Großbritannien nun schon Realität. Da es der BoE mit den bisherigen Maßnahmen nicht gelungen ist, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, muss sie ebenfalls auf den aggressiveren Fed-Kurs einschwenken, womit sich der Rezessionsdruck allerdings erhöht.
Auch die BoE hat in der vergangenen Woche, in der achten Zinserhöhung in Folge, den Leitzins erstmals um 75 Basispunkte auf nun drei Prozent angehoben. "Die Inflation ist zu hoch, und es ist unsere Aufgabe, sie zu senken", sagte BoE‑Gouverneur Andrew Bailey.
"Quantitative Straffung"
Zuletzt waren die Leitzinsen im Königreich vor der Finanzkrise 2008 so hoch. Damit geht nun auch die britische Notenbank auf Fed-Kurs und erhöht den Zinsunterschied (Spread) zum Euroraum um einen ganzen Prozentpunkt. Auch darüber kommt die EZB weiter unter Druck.
Doch anders als die EZB, die an der Geldschwemme nicht rüttelt und die Bilanzsumme nicht vermindern will, hat auch die BoE nun angefangen, Geld vom Geldmarkt zu saugen, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen.
Die Politik der "quantitative easing" (QE/quantitativen Lockerung), als zunächst in der Finanzkrise und danach in der Corona-Krise die Notenpressen auf Hochtouren liefen und massiv Staatsanleihen angekauft wurden, soll nun rückgängig gemacht werden.
Auf QE folgt nun QT, also eine "quantitative tightening" (quantitative Straffung). Am 1. November wurden Anleihen im Wert von 750 Millionen Pfund (870 Millionen Euro) mit kurzer Laufzeit verkauft.
Dramatische Turbulenzen
Eigentlich wollte die BoE schon 6. Oktober mit dem Abstoßen von Anleihen beginnen. Doch führten die absurden Steuerpläne von Truss zu erheblichen Turbulenzen an den Finanzmärkten. So musste die britische Notenbank schnell massiv Anleihen ankaufen, um einen Anleihe‑Crash zu vermeiden.
Offenbar waren die Turbulenzen sogar deutlich dramatischer, als allgemein angenommen worden war.
Einige Pensionsfonds wurden an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Das zeigt aber auch nur, dass sie auf tönernen Füßen stehen. Plötzlich stand die Altersvorsorge von Hunderttausenden Briten auf dem Spiel.
Da die BoE nun aber mit der Verringerung der Bilanzsumme beginnen konnte, glaubt man in London, dass man die Leitzinsen nicht mehr viel höher treiben muss, um die Inflation endlich in den Griff zu bekommen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Leitzinsen, wie an den Finanzmärkten erwartet werde, sogar auf über fünf Prozent steigen müssten.
Rezession mit Rekorddauer – EZB im Teufelskreis
Also lautet die Botschaft der BoE nun, dass der Leitzins wahrscheinlich nicht mehr viel höher als auf den derzeitigen Wert steigen werde. Die Notenbank versucht damit den Ängsten vieler Menschen zu begegnen, dass die Kreditkosten sogar noch deutlich steigen könnten.
Das betrifft vor allem auch Kredite für Wohnungs- und Hauskäufe mit variablen Zinsen, die schon stark gestiegen sind. Hier ist allerdings eine gute Portion vom Prinzip Hoffnung im Spiel, um die fatalen wirtschaftlichen Aussichten auf der Insel nicht ganz so schlecht aussehen zu lassen.
Tatsächlich hat die britische Notenbank so einige ziemlich schlechte Nachrichten abzufedern, die sie ebenfalls in diesen Tage zu vermelden hatte. Denn die BoE geht von einer Rezession mit Rekorddauer aus und spricht von einer "sehr herausfordernden Lage" für die britische Wirtschaft.
Die Wirtschaftsleistung könnte über acht Quartale in Folge sinken, prognostiziert sie. Das wäre die längste Rezession seit Beginn belastbarer Aufzeichnungen vor rund 100 Jahren. Das Ganze muss allerdings vor dem Hintergrund einer Geldentwertung von zehn Prozent gesehen werden, die den Menschen viel Kaufkraft raubt.
Die BoE geht aber davon aus, dass die Teuerung Ende des laufenden Jahres mit etwa elf Prozent ihren Höhepunkt erreichen wird. Sie hofft, dass die ergriffenen Maßnahmen nun dazu führen, dass ab Mitte 2023 die Inflation deutlich zurückgehen werde. Ist das nicht der Fall, dürfen die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung der BoE stark angezweifelt werden.
Die geht davon aus, dass die Rezession zwar länger andauern werde als frühere, aber weniger tief als zum Beispiel in der Finanzkrise oder der Corona-Krise gehen werde. Die BoE rechnet damit, dass die Wirtschaftsleistung nur um 2,9 Prozent sinken werde. In der Finanzkrise ab 2008 schrumpfte sie mit 6,4 Prozent mehr als doppelt so stark.
Die Notenbank rechnet allerdings auch in ihrem reichlich optimistischen Szenario damit - das vor allem darauf setzt, dass über die Politik Zweitrundeneffekte vermieden werden -, dass sich die Arbeitslosenquote von derzeit etwa 3,5 Prozent nur auf eine Quote zwischen fünf und sechs Prozent ansteigen werde.
Hier herrscht auch das Prinzip Hoffnung vor, dass die Bevölkerung der Notenbank abnimmt, dass sie die hohe Inflation in den Griff bekommt. Darüber soll verhindert werden, dass in Tarifauseinandersetzungen nun deutlich höhere Lohnforderungen gestellt werden und sich Zweitrundeneffekte einstellen.
EZB unter Druck
Klar ist, dass sich für die EZB über die Entscheidungen der Fed und BoE weiterer Druck aufbaut, der auch durch den neueren kräftigen Inflationsschub gestiegen ist.
In Deutschland ist die Inflation nun schon mit 11,6 Prozent enorm hoch, im großen Italien sogar schon bei 12,8 Prozent und Belgien bei 13,1 Prozent.
Fatal hohe Teuerungsraten verzeichnen die baltischen Staaten mit Werten um 22 Prozent. Da nun auch die BoE anfängt, ihre Bilanzsumme zu verringern, kommt die EZB auch an dieser Baustelle noch stärker unter Druck. Denn sie kauft nicht nur für fällig gewordene Anleihen neue Anleihen an, verringert also die Bilanzsumme nicht. Die enorm aufgeblähte Bilanzsumme der EZB wird nicht verringert.
Sie hat mit dem "Transmission Protection Instrument" (TPI) sogar ein neues Kaufprogramm für Anleihen aufgelegt. So kann Inflation allerdings kaum bekämpft werden. Nötig ist das TPI wiederum, weil die EZB mit der Zinsnormalisierung mehr als zehn Jahre gewartet hat und die erkaufte Zeit nicht für Reformen genutzt wurden.
Die EZB befindet sich deshalb selbstverschuldet in einem Teufelskreis, da die Verschuldungen von Schuldenländern mit der Corona-Krise weiter ausgeufert sind. Die Eurokrise könnte mit schnell steigenden Zinsen für Staatsanleihen also schnell zurückkehren, wie es am Fall Italien auch im Juni schon zu sehen war.
Schnell ruderte die EZB-Chefin Christine Lagarde deshalb von den Ankündigungen zurück, die sie Anfang Juni gemacht hatte und eilig legte man das TPI-Programm auf.