Großbritannien zeigt, wohin die Inflationsreise geht
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Teuerungsrate bis Ende des Jahres von über 10 Prozent? Außenministerin Liz Truss: "Sehr, sehr schwierige wirtschaftliche Situation". Anders als die EZB dreht die Bank of England schon an der Zinsschraube
In Deutschland erreichte die offizielle Inflationsrate im April schon 7,8 Prozent, während sie im Euroraum auf 7,4 Prozent gestiegen ist, wie die Europäische Statistikbehörde (Eurostat) gerade bestätigt hat. Damit liegt sie leicht unter den 7,5 Prozent der ersten Schnellschätzung. Am Rekordhoch ändert sich aber nichts.
In der EU ist die Teuerungsrate schon auf 8,1 Prozent angeschwollen. Allerdings zeigt ein Blick über die EU-Grenzen hinaus, dass damit das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht ist. In Großbritannien sind die Verbraucherpreise zum Beispiel im April so stark gestiegen wie seit 1982 nicht mehr. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich neun Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Das hatte das Office for National Statistics kürzlich mitgeteilt.
"Sehr starker globalen Gegenwind"
Die britische Außenministerin Liz Truss erklärte, dass man sich in einer "sehr, sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation" befinde. "Wir haben es mit einem sehr, sehr starken globalen Gegenwind zu tun", erklärte die konservative Politikerin angesichts einer "extrem hohen Inflation".
Die britische Notenbank meint, das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht. Die Bank of England (BoE) erwartet, dass die Teuerungsrate im Laufe dieses Jahres auch die Marke von zehn Prozent überschreiten wird.
Und im Königreich spricht man bei der Notenbank, anders als in der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt, klare Worte. So warnte der Notenbank-Chef Andrew Bailey auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg vor "apokalyptischen" Lebensmittelpreisen.
Zu den externen Schocks zählt er auch die Covid-Lockdowns in China, die sich weiter auf die Lieferketten auswirken.
Es tut mir leid, dass ich apokalyptisch bin, aber das ist ein großes Problem.
Andrew Bailey, BoE
Verzicht auf höhere Lohnforderungen
Bailey forderte natürlich die Beschäftigten auf, auf höhere Lohnforderungen zu verzichten, um die Lohn-Preis-Spirale nicht in Gang zu setzen. Aber er sagte auch, was zu erwarten sei, wenn die Löhne nicht steigen. Die Preise würden dann nämlich über einen "Schock" bei den Realeinkommen sinken. Denn gesenkte Realeinkommen würden sich negativ auf die Binnennachfrage auswirken und die Konjunktur dämpfen.
Was er natürlich nicht sagt, ist, dass die untersten Einkommensschichten längst unter noch größeren Kaufkraft-Verlusten leiden, da neben Lebensmittel derzeit hauptsächlich die Energiepreise die Inflation treiben. Es ist kein Geheimnis, dass Menschen mit wenig Geld in der Tasche einen besonders hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben müssen.
Deshalb werde die reale Inflationsrate für das ärmste Zehntel der Haushalte zu durchschnittlichen jährlichen Inflationsraten von bis zu 14 Prozent führen. Dahinter steckt, dass die Energiepreisobergrenze auf fast 2.800 Pfund angehoben werden wird.
Nach Berechnungen des Institute for Fiscal Studies (IFS) soll die Inflationsrate für das reichste Zehntel der Bevölkerung nur unterdurchschnittliche acht Prozent betragen. Nach Angaben des Think Tanks gibt das ärmste Zehntel der Haushalte in der Regel fast dreimal so viel für Gas und Strom aus wie das reichste Zehntel.
Die Lage für einfache Menschen in Großbritannien kann schon als dramatisch bezeichnet werden. Nach einer Umfrage des Ipsos-Instituts stellen schon zwei von drei Briten die Heizung ab, um Kosten einzusparen. Mehr als ein Viertel der Befragten gab sogar an, wegen ihres knappen Budgets schon Mahlzeiten auszulassen zu müssen, um über die Runden zu kommen.
Die Verarmung wird also über die hohe Inflation deutlich vorangetrieben. Auch am britischen Beispiel ist die wüste These des Münchner Ifo-Instituts widerlegt. Als schon im vergangenen Herbst, längst vor dem Ukraine-Krieg, die Inflation auf Rekordwerte stieg, wartete das Ifo-Institut doch tatsächlich mit der These auf, die Inflation treffe höhere Einkommen stärker als niedrigere.
Gegenmaßnahmen mit Leitzinsen
Der Blick nach Großbritannien ist auch deshalb interessant, da die BoE längst Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Die britische Notenbank hatte, für viele Beobachter "überraschend" als erste Notenbank der großen G-7-Staaten eine "Zinswende" schon im vergangenen Dezember beschlossen.
Innerhalb der letzten sechs Monate hat die BoE die Leitzinsen in vier Zinsschritten auf nun ein Prozent erhöht. Zuletzt waren die Leitzinsen vor 13 Jahren auf diesem Niveau, als sie weltweit von den Notenbanken im Laufe der Finanzkrise nach unten geprügelt wurden.
Wir haben es dort also mit einer weiter steigenden Inflation zu tun, obwohl die Notenbank Gegenmaßnahmen eingeleitet hat. Daraus kann man Schlüsse dafür ziehen, was uns in der Eurozone angesichts der absoluten Untätigkeit der EZB in Frankfurt droht. Wie Telepolis schon kürzlich ausgeführt hatte, kann resümierend gesagt werden:
"Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen."
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kürzlich zur BoE getitelt hat: "Verspielt die Notenbank das Vertrauen der Briten?" Die FAZ spricht von einem "epochalen Versagen durch zu lockere Geldpolitik". Das kann man so sagen.
Nur vermisst man dann eine noch härtere Kritik der FAZ angesichts der Tatsache, dass die EZB bisher absolut nichts gegen Inflation unternimmt, weiter die Geldmärkte flutet und den Leitzins weiter auf null belässt und auch am negativen Einlagenzins nichts ändert.