Warum Europa auf eine neue Krise des Euro zusteuert

Die Politik hat aus der vergangenen Euro-Krise nicht viel gelernt. Die gemeinsame Währung steht erneut unter Druck. Was die Analyse am Beispiel Litauens zeigt und was zu tun wäre.

Die Euro-Krise liegt jetzt über zehn Jahre zurück. Ihre eigentlichen Ursachen sind bis heute nicht aufgearbeitet oder verstanden worden. Neue Spannungen in der Eurozone bauen sich zurzeit auf, und schon jetzt wird deutlich, wie sehr die Verantwortlichen in der Europäischen Zentralbank (EZB), in der EU-Kommission und auf nationaler Ebene die Situation verkennen.

Im aktuellen Monatsbericht der Deutschen Bundesbank etwa wird auf die zunehmenden Divergenzen der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums zwar hingewiesen (S. 20 f), aber keinerlei Schlussfolgerungen für die Frage der inneren Stabilität des Euros gezogen.

Die zwischen 2010 und 2013 offen zutage getretene Euro-Krise hatte sich über das erste Jahrzehnt des Bestehens der Europäischen Währungsunion (EWU) angebahnt. Sie wurde mühsam unter Inkaufnahme großer wirtschaftlicher Schäden durch fragwürdige Austeritätspolitik eingedämmt. Das führte in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung zu einem erheblichen Vertrauensverlust in den Euro, die EU und ganz allgemein in das Projekt der europäischen Einigung.

Obwohl eine schlüssige, handlungsleitende Analyse der Krise deshalb dringend geboten gewesen wäre, ist es bis heute bei einem bunten Strauß an Erklärungsansätzen geblieben. Aus diesem Potpourri folgt alles Mögliche oder auch nichts, worauf man sich mehrheitlich oder gar einstimmig in der EU einigen könnte.

Auf jeden Fall ergibt sich aber so keine Lösung des Problems, das in jeder Währungsunion gelöst sein muss, damit sie langfristig Bestand hat: Die Mitgliedsländer dürfen nicht gegeneinander um höhere Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Das wird von den meisten Verantwortlichen nicht verstanden und, wenn doch, ist ihnen unklar, wie das systematisch erreicht werden kann, oder sie halten die Umsetzung für unmöglich.

Kampf um Wettbewerbsfähigkeit zwischen Unternehmen sinnvoll, zwischen Staaten kontraproduktiv

Wenn Unternehmen um Wettbewerbsfähigkeit kämpfen, scheiden dauerhaft unterlegene aus dem Markt aus. Die Arbeitskräfte, die dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren, können zu erfolgreichen Unternehmen wechseln – ein oft schmerzhafter Prozess des Strukturwandels. Kämpfen Staaten um Wettbewerbsfähigkeit, können die dabei dauerhaft unterlegenen Länder hingegen nicht von der Landkarte verschwinden.

Ihre Bevölkerung ist auch nach dem Verlust von immer mehr Arbeitsplätzen noch da, will und muss sich selbst versorgen und kann nicht in großem Umfang in die im Wettbewerb überlegenen Länder einwandern. Wenn der sogenannte "Standortwettbewerb" zwischen Nationen darin mündet, sie in wettbewerblich langfristig über- und unterlegene zu teilen, ist er gefährlich, weil er in den unterlegenen Ländern materielle Not mit sich bringt und den Nationalismus fördert.

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes können aber weder seine Unternehmen noch die internationalen Märkte (darunter unregulierte Devisenmärkte) systematisch gewährleisten, nämlich weder schützen noch begrenzen. Warum? Auf Märkten, zumal auf internationalen, wird anonym miteinander gehandelt.

Jeder Anbieter sollte die Zahlungsfähigkeit seiner Kundschaft einschätzen können, er muss und kann es aber nicht in Hinblick auf die des gesamten Landes, aus dem seine Kundschaft stammt. Denn einem einzelnen Anbieter aus einem wettbewerbsfähigen Land mit Kundschaft aus einem nicht wettbewerbsfähigen Land ist dessen mangelnde nationale Wettbewerbsfähigkeit gleichgültig, solange seine Kundschaft ihn bezahlt und er die Währung, in der er bezahlt wird, ohne unerwartete Wechselkursverluste in die eigene umtauschen kann.

Ob der Wechselkurs zwischen den Währungen zutreffend widerspiegelt, welche durchschnittliche Produktivität hinter einer Stunde Arbeit in dem einen Land im Vergleich zum anderen steht, dafür tragen weder die Anbieter von Gütern noch deren Nachfrager Verantwortung. Davon hängt aber ab, ob sich die Bewohner eines ganzen Landes auf Dauer nur so viel von außen einzukaufen leisten, wie sie auch auf Dauer bezahlen können, sprich: wie sie durch Verkäufe ans Ausland finanzieren können.

Oder ob sie wegen einer Überbewertung ihrer Währung über ihre Verhältnisse leben, also dauerhaft insgesamt in Form von Nettoimporten mehr verbrauchen, als produzieren. Dass ein solches nationales Über-seine-Verhältnisse-Leben langfristig nicht funktioniert, liegt auf der Hand. Das bedeutet zugleich, dass auch ein langfristiges nationales Unter-seinen-Verhältnissen-Leben nicht nachhaltig sein kann.

Nebenbei: Manche halten die EWU für zum Scheitern verurteilt, weil sich in ihr Staaten mit unterschiedlich hoher Arbeitsproduktivität zusammengeschlossen haben. Diese Kritik geht jedoch ins Leere. Denn die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes hängt nicht von seiner absoluten Arbeitsproduktivität ab, also von der Höhe des Kapitalstocks, mit dem seine Arbeitsplätze im Durchschnitt ausgestattet sind.

Vielmehr ist die Bewertung entscheidend, die diese Arbeitsproduktivität in Form von Güterpreisen erfährt. Auch ärmere, weil unproduktivere Länder können international wettbewerbsfähig sein, wenn sie ihre Produkte auf den internationalen Märkten so günstig wie die Konkurrenz anbieten. Bei Ländern mit gemeinsamer Währung ist das direkt eine Frage der Preise. (Bei eigenständigen Währungen kommt noch der Wechselkurs zwischen den Währungen der Handel treibenden Länder als Scharnier hinzu.)