Warum Gesundheit gar nicht unser "teuerstes Gut" ist
Seite 3: Harte Resultate
Die Gesundheit wird in dieser Gesellschaft weit über das Maß hinaus strapaziert, das angesichts der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und der erreichten Produktivität der Arbeit nötig wäre.
Entsprechend sehen die Menschen gerade in der ökonomisch erfolgreichsten europäischen Nation oft aus: blass, gehgeschädigt, relativ viele übergewichtig, verhärmt. Natürlich nicht in guten Münchner Wohngegenden, aber ziemlich durchgängig im Ruhrgebiet; und erschreckend, wenn man etwa aus der Schweiz nach Deutschland zurückkommt.
Wer das für eine bloß subjektive Wahrnehmung hält, dem sei ein Blick in diverse Statistiken empfohlen. Es ist fast ermüdend, darauf hinzuweisen, was sie seit Jahr und Tag belegen: Wer ärmer ist, lebt kürzer – bei Männern geht es dabei um fast zehn Jahre, bei Frauen um fünf.
Männer leben allgemein fünf Jahre weniger als Frauen – hier machen sich im Wesentlichen die immer noch längere bzw. häufigere Berufstätigkeit und die damit verbundenen Belastungen der Männer geltend.5
Und die Todesstatistiken weisen aus: Von den etwa eine Million Toten in Deutschland sterben jährlich fast 600.000 Menschen an Herz-Kreislauf-Versagen, Krebs und Atemwegserkrankungen.
Ziehen wir davon alle wirklich altersschwachen Menschen ab – irgendwann und an irgendetwas stirbt man ja – dann wird man auch da in vielen Fällen sagen können, dass deutlich vor der Zeit gestorben wurde.
Nicht erst seit Corona und den "Querdenkern" gehen die Mitglieder dieser Gesellschaft hart mit ihrer Gesundheit und der anderer um. Sie buchen all das, was Körper und Seele attackiert, offensichtlich als (zumindest für sie nicht zu ändernde) Notwendigkeiten ab – ganz so, als sei diese Gesellschaft mit all ihren Rechnungen und Zwängen natürlich oder schicksalhaft gegeben. Und das ist auch so. Jedenfalls, wenn und weil sie das zulassen.
Dr. Renate Dillmann hat zusammen mit Dr. Arian Schiffer-Nasserie das Buch "Der soziale Staat – Über nützliche Armut und ihre Verwaltung" geschrieben (VSA 2018)