Warum Partei und nicht Religion?
Interview mit Jan Huwald zu den Plänen der Piratenpartei
Vor kurzem feierte die Piratenpartei in Deutschland ihr einjähriges Bestehen. Die offizielle Geburtstagsfeier findet am 22. September in c-Base in Berlin statt. Mittlerweile hat die Partei 500 Mitglieder und Landesverbände in Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In der internationalen Dachorganisation PP International arbeiten Piratenparteien aus acht Ländern an einer gemeinsamen Kandidatur bei der Europaparlamentswahl 2009. Wir sprachen mit Jan Huwald, dem "politischen Geschäftsführer" des deutschen Ablegers.
Herr Huwald - gibt es so etwas wie "Glaubensgrundsätze" der Piratenpartei?
Jan Huwald: Als sehr pluralistisch fundierte Partei gibt es keinen festen Kanon von Geboten und Vorstellungen. Statt dessen haben sich auf verschiedenen Abstraktionsebenen Grundsätze herausgeprägt, die weder in Konkurrenz zueinander stehen, noch vereinheitlichbar sind.
Auf pragmatische Sicht ist beispielsweise der "Kodex" ausgerichtet, eine normativ definierte Piratenethik. Von diesem Kodex gibt es mehrere Versionen, jede vom Konsens eines eigen Personenkreises innerhalb der Piraten getragen. Dass diese (um Gültigkeit und Wahrnehmung konkurrierenden) Gedanken erst durch ihre Koexistenz aufblühen weist auf einen abstrakteren Grundsatz der Piraten hin: die Anerkennung des fundamentalen Unterschiedes zwischen materieller und immaterieller Welt.
An diese fundamentalen Unterschiede zwischen materieller und immaterieller Welt glaubt ja nicht jeder, wenn man etwa an die Diebstahlsmetaphern der Medienindustrie denkt. Insofern könnte man also von einem Glaubensgrundsatz sprechen, oder?
Jan Huwald: Ja. Allerdings ist der Glaube an die diese prinzipiellen Differenzen kein notwendiges Kriterium für ein Mitglied der Piratenpartei. Für diese ist Zustimmung zu unserem politischen Programm maßgeblich. Das ermöglicht, dass unser Glauben weder gottgegeben noch konstant ist, sondern Produkt einer steten Überlegung: der Frage nach dem philosophischen Fundament der Piratenbewegung.
Kann das Verbot zur Weitergabe von Information einen schweren Gewissenskonflikt auslösen, wenn man auf dem von Ihnen geschilderten philosophischen Fundament steht?
Jan Huwald: Selbstverständlich, allerdings weniger schwer als beispielsweise der Gegensatz zwischen patriarchalischer Familienstruktur und freiheitlichem, auf Individualität fokussiertem Weltbild. Denn glücklicherweise stehen viele Vorschriften, die den Umgang mit Informationen beschneiden - wie etwa das Umgehungsverbot wirkungsloser Kopierschutzmechanismen - in so absurdem Kontrast zur Alltagserfahrung der Menschen, das diese Gesetze nur wenig Akzeptanz finden. Ganz anders wäre die Situation bei Mord, Diebstahl oder Meineid: diese sind ja nicht nur durch Gesetzestext, sondern auch durch moralische Tradition verboten. So tritt bei der gesetzlich ungedeckten Weitergabe von Informationen eher der praktische Aspekt der Vermeidung juristischen Übels in den Vordergrund, weniger das Gewissen.
Nimmt man den Religionsbegriff von z.B. Clifford Geertz, dann ergibt das nicht nur genügend Gemeinsamkeit für eine Partei, sondern auch für eine Religion. Religionsgemeinschaften sind vom Grundgesetz weit besser geschützt als Parteien. Sogar in die Beurteilung der Strafbarkeit einer Handlung muss der, durch religiöse Überzeugungen hervorgerufene, Gewissenskonflikt mit einbezogen werden (siehe dazu beispielsweise die Ausführungen von Staatsanwältin Dr. Kühne). Eine Partei hat all diese Vorteile nicht. Wäre es also zum Schutz der eigenen Glaubensüberzeugungen nicht besser, z.B. eine "International Church of Information Sharing" zu gründen, als eine Partei?
Jan Huwald: Besser keinesfalls, aber eine wünschenswerte Ergänzung. Vor die Wahl gestellt, würde ich aber aus zwei Gründen die Parteigründung als höherrangig einschätzen:
Zum ersten würde eine Religion zur juristischen Verteidigung taugen, nicht aber um aktiv politische Vorschläge zu unterbreiten oder gar parlamentarische Kontrolle auszuüben. Diese Verteidigungshaltung ist etwas, in das die Piraten nicht verfallen sollten, da sie langfristig auf eine Niederlage hinausläuft. Stattdessen muss die Informationsfreiheit proaktiv geschützt werden, um den steten Attacken der Befürworter geistiger Monopole zu widerstehen. Die Problematik ist hier analog zum gegenwärtigen Kampf gegen die Terrorgesetzgebung: Bürgerrechtler kämpfen oft nur für den Status Quo. Durch die Salamitaktik wird dieser Stück für Stück in Richtung Überwachungsstaat verschoben. Nur eine gegenläufige Gesetzgebung, die neue Bürgerrechte schafft, kann diesem Drift Einhalt gebieten. Und die letztgültige Entscheidung über diese wird im Parlament getroffen, nicht in Glaubensgemeinschaften.
Zum zweiten zweifle ich am effektiven Schutz der religiösen Ausübung in Deutschland. Zwar stellen die Gerichte hier noch ein Bollwerk für diese Freiheit dar, Strafen kann aber bereits die Polizei verhängen - in Form von Hausdurchsuchungen, Straßenkontrollen und erkennungsdienstlicher Behandlung. Durch die sicherheitspolitisch gepflegte Assoziation zwischen Muslim und Terrorist ist diese präventivstaatliche Strafmaßnahme am Grundgesetz vorbei bereits etabliert. Da für Informationstauschende die wesentlichen Kosten ebenfalls außergerichtlich entstehen, sehe ich nur wenig Chance den Glauben an Informationsfreiheit durch Gründung einer Kirche effektiv zu schützen. Eher bedarf es der Piratenpartei, um die Religionsfreiheit parlamentarisch zu beschützen.
Ich will aber noch einmal betonen, dass im Idealfall Religion und Partei koexistieren, da ein Glaube wesentlich größeren Wirkradius hat, als die oft verächtlich betrachtete Mitgliedschaft in einer politischen Partei.
Was sind die Pläne der deutschen Piratenpartei, ein Jahr nach der Gründung?
Jan Huwald: Aus praktischer Sicht stehen die Landtagswahlen 2008 an. Für Hessen und Niedersachsen werden gerade Unterschriften gesammelt, Hamburg und Bayern bereiten sich ebenfalls vor. Für den Jahreswechsel steht der Launch der Website der europäischen Piratenparteien zur gemeinsamen Kandidatur für die Europaparlamentswahl 2009, sowie die zweite internationale Piratenkonferenz in Berlin an. Und natürlich bauen wir ständig die Landesverbände aus und gewinnen neue Mitglieder.
Parteiprogrammatisch steht eine Erweiterung ausgehend von unseren bisherigen Forderung an. Neben Diskussion um Klima- und Bildungspolitik steht dabei besonders das demokratische System selbst im Rampenlicht: die Piraten sind absolut basisdemokratisch entstanden, haben dieses Selbstverständnis aber noch nicht schriftlich festgehalten. Wir verfolgen nun ein Konzept namens "Liquid Democracy", das repräsentative Demokratie und jederzeitige Entscheidung des Bürger vereint, statt nur aller vier Jahre ein Los in die Urne zu werfen. Dieses System werden wir in mehreren Schritten zuerst innerhalb der Piratenpartei aufbauen und evaluieren, dann als demokratischer Exportschlager anderen Parteien anbieten und schließlich - so die Piratenbasis will - auch in unser Parteiprogramm aufnehmen.
Und wie sieht "Liquid Democracy" ungefähr aus?
Jan Huwald: Die Grundidee ist einfach: der Wähler kann jede Frage, mit der sich heute die Parlamente beschäftigen, selbst entscheiden. Oder aber eine Partei bestimmen, die für ihn entscheiden soll. Es sind "Sammelaufträge" möglich: zum Beispiel, dass im Normalfall die SPD entscheiden soll, in sozialen Fragen aber Die.Linke. Wichtig ist, dass das Votum der Vertreter stets überschrieben werden kann. Auf diese Weise kann der Wähler selbst bestimmen, wie viel direkte und wie viel repräsentative Demokratie er möchte.
Das System soll die beiden wesentlichen Probleme direkter und repräsentativer Demokratie angehen: die Masse an Entscheidungen samt notwendigem Fachwissen auf der einen Seite und die Ungebundenheit der auf Zeit gewählten Oligarchen an den Willen der Wähler.
Hürden bei der Umsetzungen liegen vor allen in Detailfragen des so entstehenden Entscheidungsprozesses. Dieser ist immerhin neuartig und benötigt erst eine eigene demokratische Kultur. Deswegen werden wir zuerst innerhalb der Piratenpartei experimentieren und nur bei guten Erfahrungen würden wir auch darüber hinaus für ein solches System einstehen.
Das langfristige Ziel, den Bürger ständig an Entscheidungen über die Entwicklung der Gesellschaft teil haben zu lassen, betrachte ich, unabhängig von der konkreten Durchführung, als außerordentlich lohnenswert. Die fortgeschrittene Vernetzung der Menschen und die Freiheit von Informationen machen diesen Traum greifbar.