Warum der 7. Oktober alles verändert hat

Gedenken für jugendliche Opfer des Hamas-Massakers. Bild: Jose Hernandez/ Shutterstock.com

Der 7. Oktober 2023 erschütterte Israel. Die Hamas verübte einen Terroranschlag. Seither tobt ein Krieg und ein Deutungskampf. Ein Kommentar.

"Pulverfass Nahost – wohin führt der Krieg?" lautet der Titel eines WDR-Presseclubs am 6. Oktober 2024. Dieser Satz wird seit Jahren wiederholt, wenn die Rede auf den Nahen Osten kommt. In letzter Zeit wird oft gefragt, ob die Lage dort eskaliert und ein großer Krieg droht.

Man könnte jedoch sagen, dass der große Krieg spätestens seit dem 7. Oktober 2023 eskaliert ist – dem Tag, an dem die islamistische Hamas ihren Terroranschlag in Israel verübte.

Für viele Jüdinnen und Juden weltweit war dieser Tag ein klarer antisemitischer Angriff, der sie alle betraf. Sie sehen darin einen Genozid. Ein Jahr später wird dieser Begriff in Deutschland jedoch vor allem im Kontext der israelischen Kriegsführung verwendet.

Beim bereits erwähnten Presseclub betonte der Deutschlandfunk-Korrespondent Sebastian Engelbrecht wiederholt, dass auch ein Jahr nach dem 7. Oktober das Kalkül der Islamisten aufgegangen sei. Ihnen war bewusst, dass Israel nach dem Angriff zurückschlagen würde.

"Ihr liebt das Leben, wir den Tod"

Die Islamisten nahmen dabei auch den Tod vieler Menschen in Gaza und im Libanon in Kauf. Sie propagieren die Parole: "Ihr liebt das Leben, wir den Tod."

Diese menschenfeindliche Ideologie des Islamismus steht jeder emanzipatorischen und aufklärerischen Vorstellung einer Gesellschaft entgegen.

Ihr Ziel war es, die Gegenmaßnahmen Israels als großes Verbrechen darzustellen, das von Juden verübt wurde. So wird der weltweite Antisemitismus massiv gefördert, was von den Islamisten beabsichtigt ist.

Gegen die islamistische Internationale

In diesen Tagen mobilisieren in vielen Städten israelsolidarische Initiativen unter dem Motto "Gegen die antisemitische Internationale". Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass der Islamismus weltweit agiert und von Staaten wie dem Iran unterstützt wird.

Im Presseclub wurde kritisch über Israels Gegenmaßnahmen diskutiert. Vor allem die Journalistin Kristin Helberg wies auf die Anklage der UN auch gegen den israelischen Ministerpräsidenten hin.

Niemand verteidigte alle israelischen Maßnahmen. Doch Sebastian Engelbrecht kritisierte, dass man zum Jahrestag des Hamas-Massakers die israelische Rechtsregierung und die Siedlerbewegung kritisiert.

Im Presseclub verteidigte niemand die Regierung, in der Minister von Parteien sitzen, die rechts von hiesigen AfD-Positionen stehen.

Doch der Angriff vom 7. Oktober hatte damit nichts zu tun. Er war ein Angriff auf alle Israelis, und viele der Opfer in den Kibbuzim waren vehemente Kritiker der Rechtsregierung und in der israelischen Friedensbewegung aktiv.

Solidarität auch mit der israelischen Opposition

Auf proisraelischen Demonstrationen war diese Differenzierung möglich. Einige verbanden ihre Ablehnung der antisemitischen Internationale mit Solidarität mit der israelischen Oppositionsbewegung.

Diese wird von den Rechten nicht nur verbal angegriffen; auch Wasserwerfer werden gegen sie eingesetzt. Die wegen der Sicherheitslage verhängten Einschränkungen des Demonstrationsrechts in Israel stellen eine massive Behinderung der Opposition dar.

So dürfen sich aktuell nur maximal 2.000 Menschen versammeln. Trotzdem ist es ein Kennzeichen der israelischen Demokratie, dass sich auch im aktuellen Kriegszustand eine Opposition gegen die Regierung artikuliert.

7. Oktober – Krise des Zionismus?

Zu den Kritikern gehören auch grundsätzliche Zionismuskritiker wie der Historiker Moshe Zimmermann, der kürzlich in einem Deutschlandfunk-Interview das islamistische Massaker am 7. Oktober als Krise des Zionismus bezeichnete.

Er bezog sich darauf, dass dieser Tag deutlich machte, dass die israelische Regierung die jüdische Bevölkerung nicht schützen konnte – ein grundlegender Anspruch des Zionismus. Auch diese Stimmen gehören zur israelischen Opposition und müssen vor manchen Rechtsaußenpolitikern in Israel und anderswo verteidigt werden, die sie am liebsten zum Schweigen bringen würden.

Kritisch diskutiert werden muss auch, dass die israelische Regierung die starke Strömung in der israelischen Bevölkerung, die die Befreiung der Geiseln zum wichtigsten Ziel erklärt, einfach ignoriert.

Darauf wies Kristin Helberg in der Presseclub-Sendung zu Recht hin. Die Rechtsregierung will die islamistische Widerstandsachse schwächen, die vor allem aus dem Iran und der Hisbollah besteht.

Dies ist ihr in den letzten Wochen eindrucksvoll gelungen, und Menschen, die sich für Emanzipation einsetzen, sollten dies unterstützen. Im Iran gibt es viele Menschen, die eine Niederlage des Regimes feiern würden.

Ebenso kann niemand, der sich für menschliche Emanzipation einsetzt, ein Interesse am Fortbestand der Hamas-Herrschaft haben. Über die Mittel und Methoden, die die israelische Armee dabei einsetzt, muss jedoch gestritten werden. Beim Presseclub gelang dies.

Warum keine Distanz zu Hamas und Hisbollah?

Bei Demonstrationen auf der Straße ist es natürlich schwieriger, Differenzierungen deutlich zu machen. Man kann gegen die antisemitische Internationale und für die israelische Oppositionsbewegung demonstrieren.

Kann man auf propalästinensischen Demonstrationen auch gegen Hamas und Hisbollah Stellung beziehen? Wohl kaum. In Berlin versuchten propalästinensische Aktivisten mehrmals, die Demonstration gegen Antisemitismus zu stören. Die Polizei trennte beide Lager.

Deutsche Staatsräson statt Kampf gegen Antisemitismus

Die Kritik an diesen Demonstrationen sollte jedoch nicht mit der Verteidigung repressiver Staatsmaßnahmen verwechselt werden. In den letzten Tagen bekamen mehrere propalästinensische Aktivisten Polizeibesuch. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie in den nächsten Tagen an keinen Demonstrationen und Kundgebungen teilnehmen dürfen.

Hier wird ein Instrumentarium aus dem Werkzeugkasten autoritärer Staatsapparate angewandt, das vor 20 Jahren auch gegen linke Globalisierungskritiker verwendet und damals stark kritisiert wurde.

Solche Maßnahmen sollten auch jetzt abgelehnt werden, auch wenn man die Positionen der Sanktionierten nicht teilt. Denn hier handelt es sich um Maßnahmen der Staatsräson und nicht um den Kampf gegen Antisemitismus.

Zu dieser deutschen Staatsräson gehört auch, dass die deutschen Vertreter in der UN zuletzt öfter gegen Israel stimmen oder sich enthalten und dass in den letzten Monaten kaum noch Kriegswaffen nach Israel geliefert werden.

Unabhängig davon, wie man dazu steht, sollte dies ein Grund mehr sein, deutsche Staatsräson nicht mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu verwechseln.