Warum der Rammstein-Skandal schon jetzt ein Medien-Skandal ist

Seite 2: Wie Linke in der Kampagne gegen Rammstein rechte Fakenews verbreiten

Nicht nur dieses Schlaglicht zeigt, wie sehr sich mediale und politische Akteure verrannt haben. Als das rechtspopulistische Magazin Compact – nicht zu verwechseln mit der erwähnten linksliberalen Kampagnenplattform Campact! – behauptete, beim Berliner Konzert mit einem Kamerateam vor Ort gewesen und "jetzt auch bei der After-Show-Party dabei" zu sein, griffen das einige Rammstein-Gegner freudig auf.

Wären sie weniger verbohrt in der Sache und klarer im Kopf gewesen, hätten sie bemerken können, dass es ein bekanntes Schema der ehemaligen Links- und heutigen Rechtspopulisten um Jürgen Elsässer ist, solche Fakenews in die Welt zu setzen, um sich ins Gespräch zu bringen. (So geschehen bereits im Februar dieses Jahres, als die Noch-Linke Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer eine Demonstration zum Ukraine-Krieg in Berlin organisierten.)

Nun aber verbreitete die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth fröhlich neurechte Berichte. Dabei hatten Branchenkenner die Darstellung von Compact angezweifelt, das Rammstein-Management nichts bestätigt und – ich bin da etwas old school – keine zweite, unabhängige Quelle die Existenz eines rechtspopulistischen Kamerateams verifiziert. Der Bericht besteht weitgehend aus Aufnahmen vom Vorplatz, der langjährige Konzertveranstalter und Telepolis-Autor Berthold Seliger hinterfragte die Darstellung. Es gibt in einem Video der rechten Postille zwar auch Aufnahmen vom Konzert, woher die stammen, ist aber nicht geklärt. Man hätte ja mal anfragen können, statt sich nur auf rechte PR zu verlassen.

Apropos Rammstein und Fakenews: Schon früh hatte Telepolis die auf Behauptungen basierende Berichterstattung hinterfragt und Passagen aus einem der ersten Berichte zum "Rammstein-Skandal" analysiert. So hatte ich in einem früheren Editorial auf Parallelen zum Fall Kachelmann hingewiesen, einem der größten Skandale der jüngeren Mediengeschichte. Damals schrieb ich:

Offenbar hat man bei NDR und SZ aus solchen Fehltritten nichts gelernt. Und wenn sich die Vorwürfe im Fall Lindemann nicht erhärten? Dann wird man sich in Hamburg und München darauf berufen, man habe ja nur über "Vorwürfe" berichtet und alles schön im Konjunktiv gehalten.

Warum die Berichterstattung über Till Lindemann so ekelig ist wie seine Pornos, Telepolis, 05.06.2023

Einige Junitage später kritisierte Telepolis-Autor Rüdiger Suchsland die große nachgekatete Titelstory des Spiegel, der angab, mit zwei Dutzend Personen gesprochen zu haben. Dazu Suchsland:

Zitiert werden im Text dann aber doch nur drei junge Frauen. Man muss den Text genau lesen, um zu bemerken, wie zunächst von "rund zwei Dutzend Frauen" und dann plötzlich nur noch von "rund einem Dutzend" die Rede ist, wie zuerst von Düsseldorf erzählt und dann mitten in der Erzählung plötzlich auf München gesprungen wird. Alles immer im Soll-Modus: dies soll passiert sein, jenes soll passiert sein.

Rammstein, Till Lindemann und Deutschland: Von bösen Männern und guten Mädchen, Telepolis, 11.06.2023

Unterdessen hat die Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann zentrale Passagen der bisher umfangreichsten Spiegel-Reportage vorläufig verbieten lassen. Vorläufig deshalb, weil die Entscheidung des Landgerichts Hamburg noch nicht rechtskräftig ist.

Lese-Tipp: Rammstein, Till Lindemann und Deutschland: Von bösen Männern und guten Mädchen

Bisweilen aber haben die Richter dem Spiegel untersagt, weiterhin den Verdacht zu erwecken, Rammstein-Frontmann Till Lindemann habe am Rande seiner Konzerte Frauen unter Drogen gesetzt oder setzen lassen, um sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können. Dies war von Anfang an der heftigste und schwerwiegendste Vorwurf.

Medien haben den Vertrauensvorschuss verspielt

Nun bleibt abzuwarten, wie auch dieser Fall vor Gericht ausgeht. Doch Till Lindemann und Rammstein haben mit der Entscheidung des Hamburger Landgerichts schon jetzt mehr in der Hand als die kampagnenführenden Medien, allen voran NDR, Süddeutsche Zeitung und Spiegel.

Und allein dadurch ist der Rammstein-Skandal nach gut anderthalb Monaten und mitten in einer ungebrochen erfolgreichen Tournee dieser Band zu einem handfesten Medienskandal geworden.

Den Medienkonsumenten, der Republik, der internationalen Öffentlichkeit wurde von Anfang an ein Vertrauensvorschuss abverlangt. Man musste sich darauf verlassen, dass die beteiligten Medien die Vorwürfe ausreichend recherchiert hatten.

Dies scheint nun nicht der Fall gewesen zu sein. Sollte sich dies in letzter Instanz bestätigen, wäre der "Ramstein-Skandal" eine Katastrophe - auch für alle künftigen Opfer sexueller Gewalt, die die Medien angeblich schützen wollen. Ihnen würde noch weniger Glauben geschenkt, sie hätten es noch schwerer, ihre Vorwürfe glaubhaft zu machen, die Hürden, sexuellen Missbrauch anzuzeigen, wären noch höher.

Es scheint, dass die Medien, die sich der Kampagne angeschlossen haben, in dem Maße aggressiver werden, in dem ihr Vorgehen in Frage gestellt wird. In diesem Zusammenhang sind die Interventionen von missionarisch agierenden Akteuren wie Ditfurth problematisch zu bewerten, da sie eine Zuspitzung in der politischen Sphäre begünstigen.

Lese-Tipp: Rammstein und Till Lindemann: Die Stunde der Trittbrettfahrer

So wurden in Berlin während eines Rammstein-Konzerts zwei Personen, die sich an Kabelsträngen zu schaffen gemacht hatten, festgenommen und des Stadions verwiesen. Ein Fall von linksradikaler "direkter Aktion" gegen "sexistische Kackscheiße" mit dem Kabelschneider?

Eine Radikalisierung ist auch im medialen Raum zu beobachten. Ein Beispiel dafür lieferte unlängst ein Kommentar im Hitler-Tagebuch-Magazin Stern. Dort fragte der Kulturautor Stephan Maus: "Warum zum Teufel, mag sich jeder anständige Mensch fragen, stehen Rammstein eigentlich noch auf der Bühne?"

Das mögen sich die mutmaßlichen Kabelschneider auch gedacht haben.

Maus jedenfalls schreibt weiter: "Auf ein Rammstein-Konzert gehen ist wie AfD wählen. Das macht auch niemand aus Versehen."

Und noch eine Analogie: Hunderttausende bei Rammstein: Verbieten! AfD über 20 Prozent: Verbieten!

Dann erübrigen sich weitere Fragen.

Selbstkritik ohnehin.

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