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Warum der Wahlsieg von Lula keine gute Nachricht für Berlin ist

Lula mit Fahne. Bild: @LuchoXBolivia

Themen des Tages: SPD schizophren: Der eine Genosse half Lula in der Haft nicht, der andere gratuliert zu dessen Sieg. Handelskriege nehmen zu. Ukraine-Krieg geht ins All.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. In Brasilien zieht Lula mehr oder weniger aus der politischen Haft wieder in den Präsidentenpalast ein.

2. Die Rolle Chinas als Billigzulieferer hat sich erheblich geändert.

3. Und Russland könnte demnächst westliche Satelliten ins Visier nehmen.

Doch der Reihe nach.

Ukraine-Krieg demnächst im Orbit?

Im Krieg in der Ukraine droht nun auch der Weltraum, zum Schlachtfeld zu werden [1], schreibt Telepolis-Autor Bernd Müller heute. Ein hochrangiger Beamter des russischen Außenministeriums habe am Donnerstag gedroht, kommerzielle Satelliten der USA und ihrer Verbündeten könnten für Russland zum legitimen Ziel werden, "wenn sie in den Krieg verwickelt wären".

Es sei ein "extrem gefährlicher Trend", sagte der russische Beamte laut Reuters vor dem Ersten Ausschuss der Vereinten Nationen, dass westliche Satelliten genutzt würden, um die Ukraine im Krieg zu unterstützen. Eine derartige Unterstützung sei eine "Provokation". "Quasi-zivile Infrastrukturen könnten ein legitimes Ziel für einen Vergeltungsschlag sein", betonte er.

Ende des Handels mit Russland und China? Wer bleibt dann noch?

Europa hat seine Beziehungen zu Russland weitgehend gekappt [2] und es gebe Stimmen, die anmahnen, das Verhältnis zu China zu überdenken, heißt es heute in einem Telepolis-Bericht: "Mancherorts werde nun gefordert, Europa müsse seine Abhängigkeit von den USA reduzieren. Die Globalisierung ist an ihr Ende gekommen, könnte man meinen."

Die USA sind ein innerlich zerrissenes Land, der Machtkampf zwischen Demokraten und Republikanern droht das Land zu lähmen. Und die politischen Lager scheinen sich immer weiter zu radikalisieren. Die Republikaner würden sich "immer mehr zum parlamentarischen Arm einer Oppositionsbewegung wandeln, der nahezu jedes Mittel recht ist, um den politischen Gegner zu vernichten", hieß es am Freitag im Handelsblatt.

China als gleichwertiger Konkurrent

Die neue Rivalität zwischen westlichen Industriestaaten und China [3] erklärt Telepolis-Autor Christoph Jehle: China habe die Rolle des Billigproduzenten inzwischen hinter sich gelassen und neben der Rolle als Produzent zunehmend auch die Entwicklungsfunktion übernommen. Jahrelang habe im Westen niemand diese Entwicklung wahrgenommen.

Mit dem zunehmenden Erfolg chinesischer Firmen auf dem Weltmarkt macht sich in den alten Industrieländern die Angst breit, dass man das Nachsehen haben könnte und will die Festlandchinesen so stark wie möglich ausbremsen.

Was der Sieg in Brasilien für Deutschland bedeutet

Natürlich machen die regierenden Sozialdemokraten nun gute Miene zum Triumph des Sozialisten Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien. SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil postete ein Foto mit dem Wahlsieger und schrieb an Lula gewandt: Ein großartiger Sieg für dich, für die PT und für die Demokratie." Auch andere führende SPD-Vertreter gratulierten, ebenso wie die Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock.

Doch ginge es nach ihnen, stünde Lula nicht vor dem Wiedereinzug in den Palácio do Planalto, sondern säße noch in Haft, in der verwirrte Evangelikale und andere Rechtsextremisten um den Verlierer Jair Bolsonaro ihn nach wie vor gerne sehen würden.

Denn als schon längst klar war, dass Lula Opfer einer institutionellen politischen Justiz geworden ist, die später auch Präsident Rafael Correa in Ecuador und Präsident Evo Morales in Bolivien um ihre Ämter bringen sollte, und die als "Lawfare" beschrieben wird, attestierte das SPD-geleitete Auswärtige Amt [4] der Bolsonaro-Justiz:

Nach Einschätzung der Bundesregierung gibt es keine Anhaltspunkte, das Verfahren gegen den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva als politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig anzusehen.

Ja, klar, das war eine andere Regierung. Aber es war eben mit der Außenamtsfehlbesetzung Heiko Maas auch ein SPD-Ressortchef, der dies schreiben ließ, wären sich seine Genossen damals wie heute auf der Seite der Guten wähnen. Distanziert davon haben sich die Genossen nie. Und in der Lateinamerika-Abteilung des Außenamts sitzen heute noch maßgeblich die gleichen Leute.

Damit liegen sie ebenso anhaltend falsch wie in der Außen- und Handelspolitik. "Wir wollen einen faireren internationalen Handel", sagte Lula nun: "Wir sind nicht an Handelsabkommen interessiert, die unser Land zur ewigen Rolle des Exporteurs von Waren und Rohstoffen verdammen." Doch genau das war das Ziel bundesdeutscher Lateinamerika-Politik und "Rohstoffinitiativen", was zu zahlreichen Krisen [5], Rückschlägen [6] und Enttäuschungen [7] geführt hat – im Falle Ostafrikas sogar zu offener Erpressung [8].

Die Widersprüche werden offensichtlicher. Nicht nur im demokratiepolitischen (Selbst-)Verständnis der hiesigen Akteure, sondern auch in der Umweltpolitik. "Wir werden einmal mehr beweisen, dass es möglich ist, Wohlstand zu schaffen, ohne die Umwelt zu zerstören", sagt Lula. Die Grünen Regierungspolitiker in Deutschland opfern derweil bestehende Klimaziele für den wirtschafts- und sozialpolitzischen Status quo, wenn überhaupt.

Neben Lulas Reminiszenz an die französische Losung von "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" finden sich in seiner Rede auch Appelle an "Einigkeit", "Recht" und "Freiheit". Die Bundesregierung dürfte davon nicht angesprochen fühlen. Ab dem 1. Januar 2023 kann sie ja aber beweisen, wie sie ihr Selbstverständnis als moralische Instanz in der Globalpolitik durch Taten untermauert.

Artikel zum Thema:

Luiz Inácio Lula da Silva: "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in unserem Land" [9]
Harald. Neuber: Brasilien: Lula da Silva war offenbar nach Justizmanipulation inhaftiert worden [10]
Vijay Prashad, Noam Chomsky: Lula vs. Bolsonaro: Warum die Wahl in Brasilien ein globales Ereignis ist [11]


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https://www.heise.de/-7324834

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Krieg-der-Sterne-Russland-droht-mit-Abschuss-westlicher-Satelliten-7322819.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Nur-noch-fast-beste-Freunde-USA-und-Europa-steuern-auf-Handelskrieg-zu-7323642.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Lieferstopp-aus-China-7324128.html
[4] https://dserver.bundestag.de/btd/19/009/1900948.pdf
[5] https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/deutsch-bolivianische-rohstoffpartnerschaft-am-ende
[6] https://www.iwkoeln.de/studien/simon-gerards-iglesias-kooperationen-in-zeiten-globaler-krisen.html
[7] https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/einseitige-beziehung/
[8] https://www.deutschlandfunk.de/eu-erpressung-beim-handelsabkommen-mit-ostafrika-100.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Freiheit-Gleichheit-und-Bruederlichkeit-in-unserem-Land-7324741.html?seite=all
[10] https://www.heise.de/tp/features/Brasilien-Lula-da-Silva-war-offenbar-nach-Justizmanipulation-inhaftiert-worden-4444312.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Lula-vs-Bolsonaro-Warum-die-Wahl-in-Brasilien-ein-globales-Ereignis-ist-7287531.html