Warum der neue Kalte Krieg in Asien scheitern wird

Kishida, Biden, Modi – die Einheit steht infrage. Bild: Ministry of Foreign Affairs of Japan

Japan ist in Windeseile auf US-Kurs eingeschwenkt. Das heißt nicht, dass der Rest Asiens dem folgen wird. Eine Analyse vor dem Nato-Gipfel in Madrid

Nur noch zwei Wochen sind es bis zum Gipfeltreffen der Nordatlantikvertrag-Organisation (Nato) in Madrid, auf dem ein neues Strategisches Konzept vorgestellt werden soll Es soll "die sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen das Bündnis steht, neu definieren und die politischen und militärischen Aufgaben umreißen, die die NATO zu ihrer Bewältigung wahrnehmen wird".

M. K. Bhadrakumar ist ein ehemaliger indischer Diplomat. Seine Artikel erscheinen in dem Blog Indian Punchline.

Die Nato und die Europäische Union sind sich einig, dass sich die Welt in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert hat, der strategische Wettbewerb zunimmt und die Sicherheitsbedrohungen in Europa und Asien inzwischen so eng miteinander verwoben sind, dass das das Geschehen auf beiden Kontinenten zusammen gedacht werden muss.

In der vergangenen Woche wurde dafür die Agenda des neuen Kalten Krieges weiterentwickelt: US-Präsident Joe Biden empfing die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, drei winzige Nato-Länder auf dem Balkan sperrten ihren Luftraum für den Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Serbien, und Japan empfing den Chef des Nato-Militärausschusses, Rob Bauer.

Im ersten Fall ging es darum, dass Washington Neuseeland, den oft übersehenen zögerlichen Partner im Pazifik, in den Mittelpunkt des indopazifischen Raums rückt. (Biden strengte dafür sogar den Vergleich zur Landung von US-Truppen im Zweiten Weltkrieg in Neuseeland an.)

Der Zweite war ein beispielloser diplomatischer Tabubruch, ein Verhalten gleich Hunden, die ihr Revier markieren. Die Nachricht war: "Serbien gehört zum Westen."

Und Japan und die Nato haben eine neue Ebene der Zusammenarbeit angekündigt.

Im Kampf der USA mit China und Russland wird Japan zu einer tragenden Säule ihrer Strategie in Asien. In Tokio wurde während Bauers Besuch vereinbart, dass Japan und die Nato ihre militärische Zusammenarbeit und ihre gemeinsamen Übungen verstärken werden. (Im Mai hatte der japanische Generalstabschef Koji Yamazaki zum ersten Mal an einem Treffen der Nato-Partner in Belgien teilgenommen.)

Der japanische Verteidigungsminister Nobuo Kishi sagte nach dem Treffen mit Bauer, Japan begrüße das erweiterte Engagement der Nato im indopazifischen Raum.:

Die Sicherheit Europas und Asiens sind eng miteinander verflochten, insbesondere jetzt, wo die internationale Gemeinschaft vor ernsten Herausforderungen steht.

Bauer sprach auch von "gemeinsamen Sicherheitsherausforderungen" für die Nato und Japan. Premierminister Fumio Kishida wurde zum Nato-Gipfel in Madrid eingeladen. Er wäre der erste japanische Regierungschef, der einem solchen Treffen beiwohnen würde.

Japans Bedenken vor einem Erstarken Chinas

Japan vertritt die Ansicht, dass Russlands "Spezialoperation" in der Ukraine die Kräfte der USA bindes, was China ermutigen könnte, Taiwan mit militärischer Gewalt einzunehmen. Tatsächlich scheint die Regierung Biden diese Angst Japans jedoch nicht zu teilen.

Die Verteidigungsminister der USA und Chinas werden sich am Rande der jährlichen Shangri-La-Konferenz in Singapur treffen. Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat sich vorsichtig optimistisch gezeigt, dass sein bevorstehendes Treffen zur regionalen Stabilität beitragen wird.

Berichten zufolge änderte das US-Außenministerium in der vergangenen Woche seine Länderinformation über Taiwan und fügte die Zeile "Wir unterstützen die Unabhängigkeit Taiwans nicht" wieder ein – nachdem sie im Monat zuvor entfernt worden war.

Japans Bestreben, eine wichtige symbolische und praktische Rolle im Kampf des Westens mit Russland zu spielen, beruht auf einer Reihe komplexer Beweggründe. Auffallend ist die Schnelligkeit, mit der Japan zu einem der aktivsten Länder bei der Umsetzung strenger Sanktionen gegen Russland zur Unterstützung der Ukraine geworden ist. Fast über Nacht schwenkte Premierminister Kishida zu einer offen negativen Haltung gegenüber Russland um.

Innerhalb von zwei Wochen nach Beginn des russischen Vorstoßes in die Ukraine am 24. Februar erklärte Kishida, dass die "Nördlichen Territorien (Kurilen) zu Japan gehören".

  • Am 8. März legte Außenminister Hayashi nach: Die Gebiete seien "unrechtmäßig von Russland besetzt".
  • Am 9. März verklagte Kishida Russland bereits vor dem Internationalen Strafgerichtshof.
  • Und am 16. März widerrief Japan den Status Russlands als "begünstigte Handelsnation", fror russische Vermögenswerte ein und schloss ausgewählte russische Banken vom Swift-Bankensystem aus.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Japan kein militärisches Material mehr in ein anderes Land geschickt, das sich mitten im Krieg befand. Doch Anfang März beluden die japanischen Streitkräfte ein Boeing KC-767-Tankflugzeug mit Material für die Schlachtfelder in der Ukraine.

Alles in allem demonstrierte Japan eifrig seine Bereitschaft, ein proaktiver Partner im US-japanischen Bündnis zu werden. Dafür verwarf Japan das in den vergangenen vier Jahrzehnten mühsam ausgehandelte Gleichgewicht bei den Verhandlungen zur Lösung der Territorialfrage und einen Friedensvertrag mit Russland nach dem Zweiten Weltkrieg.

So haben sich die Beziehungen zwischen Japan und Russland sich zu einem potenziellen Krisenherd in Nordostasien entwickelt.

Die von den USA und Japan geteilte Sorge angesichts des wirtschaftlichen und militärischen Aufstiegs Chinas und der zunehmenden Raketen- und Nuklearkapazitäten Nordkoreas stellen sowohl für Washington als auch für Tokio eine Motivation dar. Hinzu kommt, dass sie eine Spaltung zwischen Russland und China, wie sie in den 1970er-Jahren Bestand hatte, für die nahe Zukunft nicht mehr für plausibel halten. Es ist ein grundsätzlicher Wandel der japanischen Außenpolitik festzustellen.

Wer erlangt die Führung im indopazifischen Raum?

Japans Bündnis mit den USA und die sich abzeichnende Verbindung mit der Nato gehen weit über bloße Überlebensfragen des Landes hinaus; es bietet Japan die Möglichkeit, sich zu einer Führungsmacht im indopazifischen Raum zu entwickeln. Zweifellos hat Japan die Vereinbarung mit den USA über deren Unterstützung im langjährigen Kurilenstreit ermutigt.

Die Ukraine-Krise hat gezeigt, dass die Interessen der asiatischen Staaten um einiges vielfältiger sind, als zahlreiche Beobachter anzuerkennen bereit waren.

Dies würde den neuen Befürwortern des Kalten Krieges in Asien aber einen Strich durch die Rechnung machen. Denn während die USA, Australien und Japan an der Spitze der Länder stehen, die sich Russland widersetzen, haben andere Länder mitunter konträre Ansichten.

Eine große Gruppe blockfreier Länder in Asien – darunter Indien und Indonesien – besteht darauf, dass es sich beim Krieg in der Ukraine im Grunde um einen regionalen Konflikt handelt, ungeachtet der Auswirkungen auf die weltweite Energie- und Nahrungsmittelversorgung.

Die Vision der asiatischen Länder besteht im Wesentlichen in der regionalen Integration und Modernisierung, und nur eine Handvoll Länder hat der Verhängung von Sanktionen gegen Russland zugestimmt, während mehrere – tatsächlich die große Mehrheit – sich entweder offen gegen das Sanktionsregime ausgesprochen haben oder von Sanktionen gegen Russland abgesehen haben.

Russland ist eine in Asien ansässige Macht und Mitglied in allen wichtigen Gremien, die die multilaterale Architektur der Region ausmachen: der Apec, dem Asean-Regionalforum, dem Asean-Verteidigungsministertreffen, dem Ostasiengipfel usw. Zudem ist Russland seit 1996 ein Dialogpartner der Asean.

Das Engagement Russlands in den asiatischen Institutionen ist uneinheitlich, aber die meisten Teilnehmer der Region geben ihren Beziehungen zu Moskau den Vorrang. Sofern Russland seine Präsenz nicht freiwillig reduziert, was undenkbar ist, bleibt die multilaterale Architektur Asiens ein Hindernis für die Bemühungen der USA, eine "Koalition der Demokratien" zur Isolierung Russlands zu schmieden.

Die Achillesferse der US-Strategie des Kalten Krieges ist das Fehlen einer inspirierenden wirtschaftlichen Agenda. Die Biden-Regierung wagt es nicht, eine Rückkehr zum Freihandel ins Auge zu fassen, da die protektionistischen Tendenzen in der US-Innenpolitik starken Einfluss haben.

Selbst die von der Biden-Regierung vor einer Woche für einen Zeitraum von zwei Jahren gewährte Zollbefreiung für einige Solarmodule aus vier Asean-Mitgliedstaaten – Kambodscha, Malaysia, Thailand und Vietnam – musste vorsichtig als Teil der Bemühungen um die Bewältigung der "dringenden Klimakrise" präsentiert werden.

Und darin liegt der Widerspruch: Die Strategie des Kalten Krieges der USA ist in erster Linie militärischer Natur, während sich die asiatischen Länder vor allem durch wirtschaftliche Schlagkraft beeindrucken lassen.

Während viele im Westen dazu neigen, China als Alliierten Russlands zu sehen, ist die Realität differenzierter. China hat versucht, sich weder als Kritiker noch als Befürworter Russlands zu positionieren, was unter den gegebenen Umständen wohl eher Russland zugutekommt.

Auch hat Beijing nicht erkennen lassen, dass es seine Position angesichts der westlichen Kritik ändern würde. Zweifellos befindet sich China in einer vorteilhaften geopolitischen Lage.

Wird Chinas derzeitige Haltung jedoch die Dauer des Krieges in der Ukraine überdauern, der sich laut einigen Prognosen bis weit in das kommende Jahre hinziehen könnte?

Tatsächlich ist die russische Militäroperation nicht so erfolgreich verlaufen, wie Moskau es sich gewünscht oder erwartet hätte. Dennoch wird die Invasion nicht enden, ohne dass die russischen Ziele erreicht werden. Und diese Ziele enthalten Variablen.

Am Ende wird Beijing abwägen, wie sich die Entwicklung auf das internationale Ansehen der USA auswirken wird. Denn das wird erhebliche Konsequenzen für die künftige Stellung Chinas in der Welt haben.