Warum die Wissenschaft nicht frei ist
Seite 2: Spielregeln der Wissenschaft
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Um heute als Wissenschaftlerin oder als Wissenschaftler Karriere zu machen, kommt es wesentlich auf zwei Faktoren an: erstens Publikationen in führenden Fachzeitschriften und zweitens das Einwerben von Forschungsgeldern. Zwischen diesen gibt es eine Wechselwirkung, da einerseits erfolgreiche Projektanträge gute Publikationen voraussetzen und man andererseits mit mehr Forschungsmitteln natürlich besser publizieren kann.
Wer sich jemals die Frage gestellt hat, warum die universitäre Lehre so schlecht ist, findet hierin schon einen Schlüssel zur Antwort: Lehrfähigkeiten sind in aller Regel keine Voraussetzung für berufliches Voranschreiten, kosten umgekehrt aber Zeit, die dann freilich nicht mehr für die Forschung zur Verfügung steht. Darum nennen diejenigen, die das System verstanden haben, die Lehre manchmal eine "Poverty Trap", also eine Armutsfalle: Sitzt man einmal darin, kommt man nur schwer wieder heraus.
Armutsfalle Lehre
Das ist natürlich für die rund 150.000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an deutschen Universitäten besonders bitter, die dank einer kurzsichtigen Bildungspolitik und anders als der Name ihrer Anstellungen es suggeriert vor allem die Lehre aufrechterhalten. Die niedrige Bezahlung trotz hoher Qualifikation und die Demütigungen durch die Verwaltung ertragen sie vielleicht in der Hoffnung, später einmal selbst Professorin oder Professor zu werden; doch indem sie auf diesen (vielleicht nur "halben", also halb bezahlten) Stellen sitzen, eben in der Armutsfalle, verringern sich mit jedem Tag ihre Chancen. Das sagt einem bei der Einstellung natürlich keiner; die wären ja schön blöd.
Publizieren ist wichtig - Lehren steht dem aber im Wege. Davon abgesehen, dass Forschungsgeldern ein eigener Status im Lebenslauf zukommt, können sie unter Umständen ein Ausweg aus der Armutsfalle sein, sofern man nicht sowieso so früh wie möglich an ein reines Forschungsinstitut wechseln kann. Nun ist es aber so, wie der Volksmund sagt, dass der Teufel auf den größten Haufen scheißt. Das heißt, die besten Chancen für das Einwerben von Geldern haben: diejenigen mit Geldern.
Biblische Forschung: Das Matthäus-Prinzip
"Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden." Vielen wird diese Logik bekannt vorkommen, den sie stammt aus dem Neuen Testament (Matthäus 25:29). Daher spricht man auch vom Matthäus-Effekt. Eine grundlegende Arbeit hierzu, von Robert K. Merton bereits im Jahr 1968 in Science veröffentlicht, dürfte einer der am meisten zitierten soziologischen Aufsätze aller Zeiten sein (im Web of Science: knapp 2.000 Zitationen; auf Google Scholar: rund 5.500). Dennoch hat sich daran bis heute nichts geändert.
Damit ist schon einmal ein Teil der Spielregeln beschrieben, die gelten, wenn man einen dauerhaften Platz in der Forschungswelt ergattern will. Kommen wir jetzt dazu, wie das Publizieren funktioniert. Alles, was ich bisher dazu geschrieben habe, war gewissermaßen die Vorbereitung für den Rest.
Wissenschaftssprache Englisch
Wie eingangs erwähnt, geht es um die Veröffentlichung von Aufsätzen in renommierten englischsprachigen Zeitschriften. Dass Englisch heute die Wissenschaftssprache ist, wird mit Internationalisierung begründet und haben wir auch den Nazis zu verdanken, die die damals in vielen Bereichen führende deutsche Wissenschaft entweder gleichschalteten oder zerstörten: Wer sich nicht anpasste oder sich wegen Abstammung oder politischer Zugehörigkeit nicht anpassen durfte, verließ bestenfalls das Land (wie etwa Rudolf Carnap, Albert Einstein oder Helmuth Plessner) oder kam schlimmstenfalls ins KZ (denken wir an Ludwik Fleck oder Viktor Frankl).
Das mit der Internationalisierung ist sicher sinnvoll, heißt in der Praxis aber: Amerikanisierung. Wer beispielsweise wie ich Publikationen in deutscher, englischer, niederländischer, finnischer, französischer… Sprache hat, wird bei vielen Kolleginnen und Kollegen bestenfalls ein müdes Lächeln hervorrufen. Sobald man aber im American Journal of Irgendwas publiziert, hat man sich einen Namen gemacht.
Fairerweise könnten wir wieder, wie in früheren Zeiten, Latein schreiben; das wäre schließlich für alle eine Fremdsprache. Vielleicht werden wir auch noch erleben, wie Chinesisch das Englische als Fachsprache ersetzt.