Warum dürfen Ukraine und Israel den Kurs des US-Imperiums bestimmen?
Seite 2: "Wer ist hier die verdammte Supermacht?"
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Ich habe eine Idee. Die Vereinigten Staaten könnten damit drohen, die Militärlieferungen an Israel auszusetzen, wenn man einem Waffenstillstand nicht zustimmt. Das könnte einen Eindruck hinterlassen.
Israel zu trotzen, ist jedoch etwas, wozu kein Präsident seit George H.W. Bush bereit war. Die USA haben in den letzten 30 Jahren, wie auch jetzt, als unerschütterlicher Freund agiert: "Das ist wirklich zu eurem Besten, aber wir würden es nicht wagen, es von euch zu verlangen".
Die Israelis fest umarmen und ihnen unaufhörlich Ihr unermüdliches Engagement versichern: So ging man vor, um sie zu überzeugen.
Es gab einige israelische Führer, die auf diesen Ansatz reagierten, aber Benjamin Netanjahu gehörte nie dazu. Bill Clintons Kommentar nach dem ersten Treffen mit Netanjahu im Jahr 1996 – "Wer ist hier die verdammte Supermacht?" – spiegelt Bibis Einschätzung wider, dass er in den Vereinigten Staaten eine innenpolitische Opposition heraufbeschwören kann, die jede Bedrohung durch einen US-Präsidenten zunichtemachen wird.
Einer Umfrage zufolge wollen heute 66 Prozent der Amerikaner einen Waffenstillstand, aber weniger als fünf Prozent der Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Also weiß Bibi vielleicht, wovon er spricht. Die AIPAC [israelische Lobbyorganisation in Washington D.C.] ist damit beschäftigt, die wenigen mutigen Kongressabgeordneten mit Anzeigen anzugreifen, die Israel kritisiert und einen Waffenstillstand gefordert haben.
Aber Biden muss sich um die größere Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt sorgen und ist sich der Wahrscheinlichkeit bewusst, dass das, was in Gaza geschieht, Amerikas Legitimität zerstören wird.
Wer im Nicht-Westen könnte jemals wieder eine Belehrung der USA über ihr eifriges Engagement für die Menschenrechte ertragen? Was würde das für Amerikas Position gegenüber Russland bedeuten?
Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung – kein Ausgang zum Sinai für die Masse der Bevölkerung des Gazastreifens, der völlige Zusammenbruch des Gesundheits- und Abwassersystems, der unerbittliche militärische Druck und die Wirtschaftsblockade Israels, 1,5 Millionen bereits Vertriebene – ist es schwer vorstellbar, zu verhindern, dass die Gesamtzahl der Todesopfer unter den Gaza-Bewohnern am Ende nicht in die Hunderttausende geht.
Wahrscheinlich werden viel mehr Menschen an Krankheiten und Epidemien sterben als durch Kugeln und Bomben. An diese Erfahrung wird man sich, wie Netanjahu sagte, "noch jahrzehntelang" erinnern. Was, wenn es in der Weltöffentlichkeit als historisches Verbrechen aufgenommen wird?
Erstaunlicherweise berufen sich die Befürworter eines totalen Krieges gegen die Hamas auf Dresden, Hiroshima und andere Gräueltaten, um ihren Kurs zu rechtfertigen, wobei sie übersehen, dass weder Deutschland noch Japan jemanden hatten, der nach dem Krieg um sie weinte, während die Palästinenser heute 1,8 Milliarden Muslime haben, die um sie weinen.
Es liegt auf der Hand, dass Israel sein Ziel, die Hamas zu vernichten, nicht bis zum Ende verfolgen kann, ohne dabei Tote in biblischem Ausmaß zu verursachen. Es gibt keinen Grund für die Vereinigten Staaten, sich diese Ziele zu eigen zu machen.
Biden hat die Wahl: Entweder er geht hart mit den Israelis ins Gericht oder er macht mit bei dem, was, wie er selbst befürchtet, zu einer gigantischen Katastrophe werden wird.
Es gibt Präzedenzfälle für ein entschlossenes Vorgehen, die aber zugegebenermaßen weit entfernt sind. Dwight Eisenhower tat das 1956 im Zusammenhang mit dem anglo-französisch-israelischen Suez-Abenteuer. Bush I. tat es 1991 angesichts der Kreditgarantien für Israel.
Das eindrucksvollste Beispiel ist jedoch das Jahr 1982, als Ronald Reagan den israelischen Premierminister Menachem Begin aufforderte, die israelische Bombardierung von Beirut einzustellen. "Menachem", sagte Reagan, "das ist ein Holocaust".
Zu Reagans Überraschung wirkte seine Drohung einer qualvollen Neubewertung. "Ich wusste nicht, dass ich diese Art von Macht habe", sagte er seinem Berater Mike Deaver. Zum Zeitpunkt von Reagans Drohung näherte sich die Zahl der Todesopfer des zweieinhalb Monate andauernden Krieges 20.000, von denen fast die Hälfte Zivilisten waren.
Kann Biden den Willen aufbringen, Netanjahu zu konfrontieren? Wird seine Regierung die Ukraine an den Verhandlungstisch zwingen?
In unserem seltsamen Imperium, in dem die Abhängigen das Sagen haben, diktieren tief verwurzelte Tendenzen eine negative Antwort auf beide Fragen, obwohl eine kluge Politik eine positive anraten würde. Vielleicht ist die Zeit reif für eine neue Politik, in der die USA ihre eigenen nationalen Interessen und nicht die der anderen verfolgen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
David C. Hendrickson ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Colorado College und Präsident der John Quincy Adams Society. Er ist der Autor mehrerer Bücher, darunter "Republic in Peril: American Empire and the Liberal Tradition".