Warum eine allgemeine Impfpflicht sein muss

Seite 2: Impfen als Bürgerpflicht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wen man auch fragt: Alle Politiker aller Parteien sind sich einig, dass es keine Impfpflicht geben solle. Aber warum eigentlich nicht?

"Impfpflicht! Was denn sonst?" fragt erkennbar ungeduldig Nikolaus Blome im Spiegel. Bund und Länder hätten in den letzte Monaten nicht gespart mit Ge- und Verboten, mit dringenden "Empfehlungen" und mit Lockdown-Maßnahmen. Doch ausgerechnet in der Frage einer Impfpflicht "ziert sich die Obrigkeit und will regulatorisch außen vor bleiben, wiewohl absolut unbestritten ist: Wenn alle geimpft sind, die es gesundheitlich vertragen, sind Lockdown und hohe Infektionszahlen Geschichte. ... Aber nein, die Politik fürchtet die Impfpflicht."

Dabei ist, so argumentiert nicht nur Blome, das Impfen eine Art Bürgerpflicht, mit moralischen, zivilbürgerlichen und ökonomischen Komponenten.

Moralisch, weil Impfen auch der Gesundheit der Mitmenschen dient, und die Vereinsamung großer Gruppen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt.

Zivilbürgerlich wie man Mitmenschen in Bedrängnis hilft oder Zivilcourage zeigt. Und ökonomisch angesichts von Arbeitslosigkeit, Verschuldung und der Gefährdung zahlloser Existenzen infolge des Lockdown-Jojos der Regierung.

Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.

Nikolaus Blome

Wenn es das wert sein sollte - wie jetzt die überwiegende Zahl der politisch Handelnden und der Bürger glaubt -, das komplette kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben quasi auf null zu stellen und zukünftige potentielle Tote in Kauf nehmen zu müssen, weil heute "jedes Leben zählt", und wir jetzt zusätzliche Tote im einstelligen Prozentbereich vermeiden wollen, dann wird man auch für das gleiche Ziel die sehr geringe Möglichkeit einzelner Impfschäden in Kauf nehmen müssen.

Eine Scheindebatte

Andererseits ist dies eine Scheindebatte. Denn natürlich ist es richtig, dass man erstmal alle die impft, die das selber wollen. Dies werden bis in den Sommer hinein mehr als genug sein. Es wird bis in den Sommer hinein Schlangen vor den Impfzentren geben und das berechtigte Genörgel all jener, die noch immer auf die erwünschte Impfung warten.

Es wird über lange Zeit immer zu wenig Impfstoff geben. Hinzu kommt: Immer mehr Menschen werden dann von ihrer erfolgreichen Impfung berichten - die Impfkritiker und ihre Ängste werden demgegenüber nur eine marginale Rolle spielen.

Wo jemand - etwa beim Pflegepersonal - allerdings eine angeratene Impfung verweigert, sollten diese Impfgegner dann auch unterschreiben, dass sie die Kosten einer möglichen Behandlung selbst tragen, oder gleich komplett darauf verzichten - dann hätte man für alle Übrigen schon mal mehr Platz im Krankenhaus. Und wenn es dann irgendwann für den allgemeinen Ansteckungschutz nötig wird, auch andere zu impfen, sollte man wieder eine allgemeine Impfpflicht einführen.

Defizite der modernen Gesellschaft

In einer perfekten Welt würde der Einzelne durch autonome Entscheidungen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und anderer lohnenswerter Anliegen beitragen, nicht durch äußere Zwänge. Er würde von selbst das Richtige tun.

Dass dies nicht geschieht, zeigt wie überhaupt die ganze Haltung der Wissenschaftsskepsis und des Alternative-Facts-Glaubens grundsätzliche Defizite der modernen Gesellschaft auf. In den Worten des australischen Medizinethikers Angus Dawson:

"[r]ather than seeing the justifiability (or not) of compulsion as the central issue in vaccination ethics, we can almost take the fact that this is an issue for public policy as a sign that something has gone wrong with the sense of values in such a population"1

Übersetzung:

"Anstatt die Vertretbarkeit (oder Nichtvertretbarkeit) von Zwang als die zentrale Frage der Impfethik aufzufassen, können wir die Tatsache, dass dies ein Thema für die öffentliche Politik ist, fast als ein Zeichen dafür nehmen, dass etwas mit dem Wertesinn in einer solchen Bevölkerung schiefgelaufen ist."

Zu diesen (möglichen) Nebenwirkungen, die in der hiesigen Debatte - typisch deutsch - breit diskutiert werden, und die (erwiesene) Hauptwirkung in den Hintergrund drängen, ist zu entgegnen, dass Zweifel am Impfstoff nicht berechtigt sind. Der neuentwickelte Impfstoff ist an vielen Probanden untersucht worden, mit guten Ergebnissen in Bezug auf das Erwerben von Immunität und auf seine Verträglichkeit.

Das Einzige, was naturgemäß im Gegensatz zu sonstigen Zulassungen fehlt, ist Zeit. Man kann nicht feststellen, ob Menschen, die geimpft wurden, später Probleme entwickeln. Diese Restunsicherheit bleibt. Aber für eine öffentliche Gesundheitspolitik ist dies am Ende eine Frage der Abwägung: Auf der einen Seite steht ein Impfstoff mit einem Restrisiko für Einzelne, auf der anderen Seite steht eine Pandemie, die schwer zu beherrschen ist und Auswirkungen mannigfaltigster Art hat. In dieser Abwägung muss Politik entscheiden.

Praktizierter Gemeinsinn

Davon abgesehen ist die ganze Impfgegnerschaft schon jetzt ein verlorener Kampf - wir sprechen uns im Sommer, liebe verpeilte Impfgegner: Dann wird man nämlich seine Immunität mit einem Immunitätsausweis oder ähnlichem nachweisen müssen. Im Flieger, in Gaststätten, bei Großveranstaltungen. Das ist die Impfpflicht durch die Hintertür.

Daraus folgt: Ehrlichkeit wäre besser, kein Drumherumgerede, sondern man sollte sofort eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene einführen. Das wäre mehr praktizierter Gemeinsinn und mehr Solidarität, als alle wohlfeilen unverbindlichen Floskeln à la "jede Leben zählt" und "wir müssen die Alten schützen".