Warum man Burn-out nicht als Modeerscheinung abtun sollte

Seite 2: Beispiel Neurasthenie (Nervenschwäche)

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Als Kronzeuge für Bergmanns Angriff auf die Psychologie - "Psychologische Zivilisationskritik war und ist eine Erfolgsgeschichte, die zahlreiche Modeleiden hervorbringt" - tritt nun die Neurasthenie auf: "Erfunden hat diese Krankheit der New Yorker Neurologe George Miller Beard. Er macht aus ihr die erste Modekrankheit, einen globalen Psycho-Hit." Verzeihung, es war also noch nicht einmal ein Psychologe, sondern ein Neurologe? Auch sein Beispiel aus neuerer Zeit hinkt auf dieselbe Weise: Der Vater der Achtsamkeitsbewegung Jon Kabat-Zinn ist Medizinprofessor.

Aber bleiben wir beim Beispiel Neurasthenie, das historisch durchaus lehrreich ist. Bergmann wundert sich nun darüber, dass die Diagnose, die von den USA aus auch in Europa populär wurde, zur Zeit des Ersten Weltkriegs wieder verschwindet, ähnlich wie übrigens die Hysterie der Psychoanalytiker.

Zunächst einmal stimmt das so gar nicht: Sie lebte und lebt nämlich seit den 1920er Jahren in vielen anderen Teilen der Welt weiter, etwa in China, Indien und Japan. In China wurde sie 1985 ganz offiziell als "shenjing shuairuo" - was so viel heißt wie Nervenschwäche - in die erste Fassung des Chinesischen Klassifikationssystems psychischer Störungen aufgenommen. Auch im amerikanischen DSM-IV-TR wurde Neurasthenie erst 2000 in den Bereich der kulturgebundenen Syndrome verschoben.

Zivil- und Kriegsgesellschaft

Davon abgesehen überrascht es auch nicht, dass Menschen in Kriegszeiten eher ans pure Überleben als ans psychische Wohlbefinden denken. Danach richtet sich auch die medizinische Versorgung aus. Das sehen wir auch heute wieder in kriegsgeplagten Ländern wie Afghanistan, wo es so gut wie keine psychologische Versorgung gibt und die Menschen irgendwie selbst mit ihren Traumata zurechtkommen müssen. Dass es ohne Psychologen und Psychiater weniger solcher Diagnosen gibt, ist schlicht logisch.

Übrigens haben sich Psychologen in den Weltkriegen eher auf die Einstufung und Erhaltung der "Wehrfähigkeit" von Rekruten und Soldaten konzentriert und Psychiater eher traumatisierte "Kriegszitterer" mit Elektroschocks, also psychiatrischer Folter, wieder an die Front geschockt, als sich mit den Problemen der kaum noch bestehenden bürgerlichen Gesellschaft zu beschäftigen. Es mutet reichlich zynisch an, daraus ein Argument gegen die Belastungserscheinungen in der Zivilgesellschaft zu stricken.