Was Putin von der Beseitigung Prigoschins hätte

Seite 2: Wagner nicht geschwächt

Was die Zukunft von Wagner (oder wie auch immer der Kreml die Organisation nennen wird) betrifft, so ist Putins Absicht eindeutig, dass die Gruppe weiterhin als Russlands Stellvertreter in Afrika, Syrien und möglicherweise (was allerdings weniger sicher ist) in Belarus agieren wird.

Erst vor zwei Tagen traf sich der stellvertretende russische Verteidigungsminister in Libyen mit dem Rebellenkriegsführer Khalifa Haftar, ein Zeichen dafür, dass der Kreml bereits versucht, Wagner-Kunden in Afrika zu versichern, dass die russische Unterstützung nicht nachlassen wird.

Allerdings wird Wagner von nun an mit ziemlicher Sicherheit einer sehr viel strengeren Kontrolle durch den russischen Staat unterworfen sein, die wahrscheinlich dadurch ausgeübt wird, dass ein Putin-Loyalist an der Spitze des Unternehmens steht und dessen Tätigkeit genau überwacht wird.

Auch das gewaltsame Ende von Wagners Spitzenleuten dürfte kaum Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine haben. Die meisten einfachen Kämpfer der Söldnertruppe haben inzwischen Verträge mit dem regulären russischen Militär unterzeichnet.

Obwohl Russland im Jahr 2022 in hohem Maße von Wagners Kräften und Kampffähigkeiten abhängig war, verlor Wagner an Bedeutung für Russlands Kriegsanstrengungen, nachdem Moskau Ende letzten Jahres seine Teilmobilisierung abgeschlossen und Zehntausende neuer Truppen in die Ukraine gebracht hatte.

Putin war zufrieden damit, Wagners Kämpfer und ihre Erfahrung im Stadtkampf während der blutigen Schlacht um Bachmut auszunutzen, aber das russische Militär ist jetzt gut aufgestellt, um seine Zermürbungsstrategie in der Ukraine ohne Wagners Unterstützung zu verfolgen.

Prigoschins Ableben lässt die Hoffnung schwinden, dass Putins Herrschaft – und damit auch Russlands Kriegsanstrengungen in der Ukraine – bald durch interne Unruhen untergraben werden könnten. Bis auf Weiteres wird jede Annahme, Putin habe Prigoschin töten lassen, potenzielle politische Herausforderer des Kremls entmutigen.

Zusammen mit der kürzlichen Absetzung von General Surowikin (der als Prigoschin-Sympathisant gilt) als Chef der russischen Luft- und Raumfahrtkräfte und der Verhaftung des nationalistischen Hardliner-Kritikers Igor Strelkow hat der Kreml der unruhigen politischen Rechten Russlands deutlich signalisiert, dass Widerstand gegen den Staat nicht geduldet wird.

Das letzte Kapitel in dieser Geschichte muss jedoch noch geschrieben werden. Auch wenn Putin die gescheiterte Wagner-Abstimmung überstanden hat, ist sein politisches Schicksal auf längere Sicht noch lange nicht gesichert. Und bei der Ausrichtung dieser Zukunft spielt ein Faktor eine größere Rolle als alle anderen: der immer noch sehr ungewisse Verlauf des Krieges in der Ukraine.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Anatol Lieven ist Senior Research Fellow für Russland und Europa am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und an der Abteilung für Kriegsstudien des King's College London. Er ist Mitglied des beratenden Ausschusses der Südasienabteilung des britischen Außen- und Commonwealth-Büros. Lieven ist Autor mehrerer Bücher über Russland und seine Nachbarländer, darunter "Baltic Revolution: Estonia, Latvia, Lithuania and the Path to Independence" und "Ukraine and Russia: A Fraternal Rivalry" (Eine brüderliche Rivalität).

George Beebe ist Direktor für Grand Strategy beim Quincy Institute. Er verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte in der US-Regierung als Geheimdienstanalyst, Diplomat und politischer Berater, unter anderem als Direktor der Russland-Analyse der CIA, als Direktor des Open Source Center der CIA und als Berater von Vizepräsident Cheney in Russlandfragen. Sein Buch "The Russia Trap: How Our Shadow War with Russia Could Spiral into Nuclear Catastrophe" warnt davor, wie die Vereinigten Staaten und Russland in eine gefährliche militärische Konfrontation stolpern könnten. Beebe war zudem Vizepräsident und Studiendirektor am Center for the National Interest.