Was bringt uns die vierte Corona-Welle?
Vor dem Bund-Länder-Treffen sorgt eine mögliche Impfpflicht für Debatten. Gesundheitsministerium polarisiert mit Sanktionsdrohung
Mit dem Ende der Sommerferien in einigen Bundesländern und dem nahenden Herbst drohen auch die Infektionen mit dem Corona-Virus und seinen inzwischen auch in Mitteleuropa verbreiteten Varianten wieder anzusteigen.
Und bevor sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag dieser Woche mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten berät, brandet auch wieder die Debatte über restriktivere Maßnahmen auf.
Vor allem das Bundesgesundheitsministerium unter Führung des CDU-Politikers Jens Spahn sorgt dabei mit Forderungen nach Sanktionen für Nicht-Geimpfte für Furore. Das Robert-Koch-Institut weist indes auf einen Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz hin. Dieser Wert ist bislang maßgeblich für die Bewertung der pandemischen Lage.
Allerdings mehren sich Stimmen, die eine Abkehr von der alleinigen Fokussierung auf die Zahl der Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner fordert. So sollen im Herbst auch die Belegung der Intensivstationen und die Impfquote zur Bewertung der Pandemie herangezogen werden.
Für Debatten sorgte das Gesundheitsministerium mit einem Strategiepapier, das erhebliche Nachteile für Menschen in Aussicht stellt, die sich nicht haben impfen lassen. Zunächst sprach sich das Haus unter Leitung von Jens Spahn dafür aus, Bürgerinnen und Bürgern ab Herbst keine kostenfreien Tests mehr zu ermöglichen, sollten sie sich trotz einer behördlichen Impfempfehlung nicht immunisieren lassen.
Spahns Pläne zielen auch über die Testkosten hinaus darauf ab, Ungeimpfte in einem stärkeren Maße zu benachteiligen. Für diese Bürgerinnen und Bürger könnten "erneut weitergehende Einschränkungen notwendig werden", heißt es in dem ministerialen Papier.
Vorgeschlagen werden Kontaktbeschränkungen und ein Besuchsverbot von kulturellen Veranstaltungen sowie Restaurants.
Die Kleinpartei "Die Basis", die aus den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen hervorgegangen ist, sieht darin bereits einen Beleg dafür, dass "dass eine indirekte Impfpflicht deutlich ausgebaut und die Grundrechte der Bevölkerung weiterhin dramatisch eingeschränkt werden".
SPD-Politikerinnen gegen "Drohungen" von Minister Spahn
Kritisch zu der Vorlage aus dem Gesundheitsministerium äußerte sich aber auch Vertreterinnen und Vertreter etablierter Parteien wie die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig. "Drohungen", so die SPD-Politikerin, führten nicht weiter. Notwendig sei es stattdessen, mehr Menschen vom Impfen zu überzeugen.
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, ebenfalls SPD, sprach sich etwa dagegen aus, Gastronomiebetrieben den Einlass von Menschen staatlich zu verwehren. "Wir sollten jetzt nicht Menschen ausschließen als Staat", sagte sie.
Tatsächlich droht die Impfstrategie als derzeitiges Hauptinstrument der Pandemiepolitik der Bundesregierung, zu scheitern. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind bis dato rund 55 Prozent der Bevölkerung voll geimpft - zu wenig für eine angestrebte "Herdenimmunität".
Zudem lässt das Impftempo nach. Rund eine halbe Million Menschen haben zuletzt pro Woche eine Erstimpfung erhalten. Im Mai waren es noch doppelt so viele.
Ein weiteres großes Thema bei den Bund-Länder-Beratungen am Dienstag dieser Woche werden indes die Bewertungskriterien in der Pandemiepolitik sein. Mehrere Bundes- und Landespolitiker sprachen sich dafür aus, nicht mehr nur die Sieben-Tage-Inzidenz zum Maßstab für die Corona-Maßnahmen zu machen.
Auch die Belegung von Krankenhausbetten und Intensivstationen müsse ausschlaggebend sein, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.
Der Landesgruppenchef der bayerischen CSU, Alexander Dobrindt, äußerte sich in der Bild am Sonntag ähnlich: "Die Inzidenz als alleiniges Maß aller Dinge hat ausgedient."
Damit gaben Laschet und Dobrindt zugleich indirekt Kritikern der bisherigen Corona-Maßnahmen Recht, von denen die Begründung der restriktiven Corona-Maßnahmen kritisiert worden war. So wird der Inzidenzwert bald kaum mehr eine Rolle mehr spielen – und zum R-Wert gesellen, der in der öffentlichen Debatte schon lange kaum mehr eine Rolle spielt.
Corona-Pandemie: Warnung vor vergifteter Debatte
Womöglich motiviert von der nahenden Bundestagswahl Ende September haben sich vor der Bund-Länder-Unterredung auch Vertreter etablierter Parteien gegen eine Fortführung der bisherigen Pandemiepolitik ausgesprochen. So forderte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel "eine Botschaft, dass es keine automatischen Lockdowns mehr geben wird".
Der CDU-Politiker schloss in diesen Vorstoß ausdrücklich auch Ungeimpfte ein. Gegenüber der Bild sagte Rüddel:
Es stellt sich die Frage, ob es unsere Gesellschaft nicht auch aushalten kann, diejenigen, die sich bewusst nicht impfen lassen und dann schwer erkranken, entsprechend zu versorgen, statt das gesamte Land und die Wirtschaft mit dem Damoklesschwert des Lockdowns zu ängstigen und zu schädigen.
Nach einem Sommer der Öffnungen mit wieder anlaufendem Tourismus und wiedereröffneter Gastronomie dürften diese Positionen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern, die von den Maßnahmen in ihrer wirtschaftlichen Position betroffen waren, mit Erleichterung aufgenommen werden.
Unabhängig von den wirtschaftlichen und bürgerrechtlichen Folgen der Pandemiemaßnahmen wies der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, auf mögliche negative Auswirkungen der polarisierten Debatte hin.
Brysch machte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur eine "Frontstellung" aus, die bis an den Arbeitsplatz, in Freundeskreisen und Familien für Konflikte sorge.
Es müsse deshalb "Schluss damit sein, eine Impfpflicht oder die Benachteiligung von Ungeimpften öffentlich herbeizureden", zitiert die dpa Brysch: "Gegen vergiftende Polemik haben Bund und Länder auf Fakten und Information zu setzen."
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