Was es heißt: "Dieser Raum ist öffentlich"

Seite 2: Kontrollierte Räume: Zerfall der Gemeinschaft

Dazu werden Kameras, Sicherheitsdienste oder Polizeistreifen eingesetzt und der urbane Raum wird geteilt.

Häuser werden zu Festungen, Plätze werden so angelegt, dass sich Menschen dort möglichst nicht aufhalten: keine Sitzgelegenheiten, Sprinkler an den Wänden, abgeschrägte Fenstersimse halten die Besucher fern, Überwachungssysteme und Patrouillen verbreiten eine nervöse Stimmung.

Der Architekturtheoretiker Steven Flutsy spricht in diesem Sinne von "verbotenen Räumen", deren Ziel es sei, den städtische Raum zu zerteilen und Verbindungen zwischen den einzelnen Segmenten zu verhindern. Auch die in Wohnvierteln beliebte Sackgasse ließe sich darunter zählen, weil sie nur denjenigen eine sinnvolle Benutzung ermöglicht, die in ihr wohnen.

Alle anderen müssen wieder umkehren oder werden schon am Eingang ermahnt, gar nicht erst einzutreten. So werden der Zerfall der Gemeinschaft und die Auflösung von Loyalitäten von der Stadtplanung mitbetrieben.

In eine ähnliche Kerbe haut der renommierte Kulturkritiker Niklas Maak, der das Design der Gegenwart als etwas ansieht, das sich bunt und zeitgemäß gibt, in Wahrheit aber der Verschleierung eines Überwachungsapparates diene:

Per Design wird die Gesellschaft umgebaut. In vielen Städten werden Aufläufe wie in Hongkong in Zukunft schwierig, weil alle öffentlichen Plätze mit laternenförmig verpackten Kameraaugen und Stadtmobiliar verstellt sind.

Das Ideal, das die neuen Stadtmöbel in Szene setzen, ist der relaxte, nicht der politisch wache, aktive Bürger. Was nicht heißt, dass Design immer Herrschaftsinstrument sein muss. Designer könnten Objekte zur Irritation der Gesichtserkennungsprogramme, Sperren gegen das Absaugen von Daten, Abwehrhüllen gegen Alexa erfinden - Dinge, die die Freiheit ihrer Benutzer gegen die Ordnungsvisionen verteidigen, die sich im Namen von Ökologie, Komfort und Sicherheit und unter dem Mantel wüster Designkapriolen immer weiter ausbreiten. (Doch das tun die Designer offenkundig viel zu selten. Anm. d.A.)

Niklas Maak

Mit Blick auf patrouillierende Militärs und Polizisten in den Innenstädten, auf Sicherheitskontrollen und Überwachungskameras, hat der Publizist Adrian Lobe bereits vor einiger Zeit eine Militarisierung europäischer Städte konstatiert. Und darunter leide die Offenheit urbanen Lebens:

In Großbritannien, wo schätzungsweise sechs Millionen Überwachungskameras installiert sind, wird jeder Bürger im Durchschnitt 70 Mal am Tag gefilmt. Es ist eine perpetuierte Kontrollschleife.

Die Videoüberwachung, so Graham, spanne denselben Kontrollraum wie in Kriegsgebieten auf: Im Kontrollzentrum, dem Operations Room – der Begriff ist dem Militär entlehnt - erscheint das Individuum, egal, ob es ein unbescholtener Bürger oder Krimineller ist, als ein potenzielles Zielobjekt.

Der Modus Operandi ist derselbe wie beim Militär. Man klickt auf die Zielperson, kann sie markieren, identifizieren und pönalisieren. Im Grunde erscheint das Stadtgeschehen wie eine Simulation in einem Computerspiel - irreal, hyperreal.

Adrian Lobe

Vom eingeschränkten Zugang des öffentlichen Raums über technische Kontrollsysteme bis hin zu unmenschlichen Bestrafungen – staatliche Machtausübung wendet Methoden an, die einer komplexen Struktur von Regeln und Strategien unterliegen. Bauwerke helfen, diese Regeln einzuhalten.

Hinter dem Schein des Alltags lauern oft genug berechnete Mechanismen, kontrollierte Räume, Werkzeuge der Überwachung. So enthüllt etwa das Handbook of Tyranny aus dem Jahr 2019 ein Paralleluniversum, in dem wir leben und in dem systematische Grausamkeiten verübt werden.