Was hatte das BKA gegen die Quelle, die Amri beschattete?

Seite 2: "Einer lügt"

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Vor dem BKA-Mann Philipp K. wurde Oberstaatsanwalt Dieter Killmer als Zeuge gehört, der für die Bundesanwaltschaft an jener Besprechung am 23. Februar 2016 teilgenommen hatte. Er bestätigte, dass der NRW-Kriminalbeamte R.M. ihm von einem Vier-Augen-Gespräch mit K. berichtet habe und emotional sehr aufgebracht gewesen sei. Er habe keinen Zweifel, so Killmer, dass es dieses Vier-Augen-Gespräch gab. Der Staatsanwalt kennt R.M. durch verschiedene Verfahren und stellte ihm ein erstklassiges Zeugnis aus. Er sei "enorm vertrauensvoll", "enorm belastbar" und in seiner "kriminalistischen Expertise herausragend", ja, in seiner "persönlichen Integrität und Professionalität eine Ausnahmeerscheinung".

In dem Zustand wie nach dem angegebenen Vier-Augen-Gespräch habe er ihn bis dahin nicht erlebt. Auch "aussagepsychologisch" spricht für den Staatsanwalt nichts gegen die Wahrhaftigkeit der Aussage von R.M. Wenn jemand mehrere Personen unabhängig voneinander in ein Gespräch einweihe, von dem er nicht wissen konnte, dass es erst drei Jahre später eine Rolle spielen sollte, sei nicht nachvollziehbar, dass er etwa nicht stattgefundenes Wissen platzieren wollte - sprich: einfach etwas erfindet.

Am Ende wurden alle drei Zeugen, R.M., Philipp K. und Dieter Killmer, gemeinsam vernommen und mit ihren jeweiligen Aussagen konfrontiert, ein seltenes Verfahren, das die Wahrheit aber auch nicht hervorbrachte. R.M. blieb bei seiner Darstellung, Philipp K. bei seinem Widerspruch und Killmer bei seiner Wahrnehmung, die die Angaben von R.M. stützt. Eine andere Wahrheit ist deshalb: "Einer lügt", so die Bewertung des Ausschusses.

Warum war VP 01 ein Problem für das BKA?

Sicher ist andererseits: Die VP 01 des LKA aus Nordrhein-Westfalen war für das BKA ein Problem. Aber warum? Das will sich den Abgeordneten nicht so richtig erschließen. Was trieb das Amt? Welches Motiv hatte es für seine Anwürfe gegen die Quelle? Verfolgte es eine eigene Agenda, die im Zusammenhang mit Amri stand? Diese Fragen sind es, die sich vor allem auch nach dem gescheiterten Abwehrversuch gegen die Vorwürfe durch den NRW-Vertreter R.M. erneut stellen.

Zu der Besprechung am 23. Februar 2016 hatte die Bundesanwaltschaft die Kontrahenten an einen Tisch gerufen, weil die Gefahr bestand, dass durch die Beschuldigungen seitens des BKA die Informationen der VP 01 nicht mehr gerichtsfest gewesen wären. Im zur Zeit laufenden Staatsschutzprozess vor dem Oberlandesgericht Celle gegen Abu Walaa (bürgerlich Ahmad Abdulaziz A.A.) und seine vier Komplizen ist die VP 01 ein wesentlicher Zeuge der Anklage. Das BKA warf der VP 01 vor, sie würde die Unwahrheit sagen. Dass jemand der nicht zu den potentiell Beteiligten gehöre, in Anschlagspläne eingeweiht werde, sei selten, so das BKA. Dass das gleich zweimal hintereinander passiere, wie zwei Sechser im Lotto.

Erst als die beiden VP-Führer bei jener Besprechung in Karlsruhe erklärt hätten, zum Auftrag der VP 01 habe es gehört, sich als Anschlagswilligen zu präsentieren und zu Anschlägen aufzurufen, sei deren Erkenntnisgewinn plausibler gewesen, so der BKA-Mann Philipp K. Allerdings steht diese Erklärung im Widerspruch zu einem BKA-internen Email-Verkehr zwischen mehreren Beamten am Tag nach dem Treffen in Karlsruhe. Ausgangspunkt: Das LKA in NRW sei daran interessiert gewesen, dass das BKA seine Quelle VP01 nicht totschreibe.

In ziemlich heftigem O-Ton ist dann unter anderem die Rede von einer "Frechheit" und "Unprofessionalität, wie NRW agiert", von einer "Trostlosigkeit gestern beim GBA", die gezeigt habe, dass das "nichts mehr mit divergierenden Bewertungen zu tun hat, sondern an Lügen grenzt". An anderer Stelle heißt es: "Was erwartet der denn? Wir haben uns beim GBA [Generalbundesanwalt] gerade nicht auf eine Neubewertung geeinigt, sondern nur auf ein Schlupfloch für die Quelle. Und nur das werden sie bekommen."

Schreibt so jemand, der meint, alles sei nur ein Missverständnis gewesen?

Ging es der Behörde bei ihren Angriffen auf die Quelle vielleicht darum, dass sie sich von Amri fernhält? Fühlte sich das BKA durch sie gestört? Man darf den Fall "VP 01/Amri" nicht isoliert betrachten. Auffällig ist, dass das BKA auch bei anderen islamistischen Figuren der entscheidende Player war, der die maßgeblichen Steuerungen vornahm. So bei der Abschiebung des Amri-Komplizen Ben Ammar, aber auch bei der "Eisbär"-Gruppe um den ehemaligen tunesischen Elitepolizisten Sabou Saidani. Dem BKA soll es dabei gelungen sein, Saidani eine Wohnung anzubieten und ihn als Bewohner hineinzuschleusen, die komplett überwacht und unter Kontrolle des BKA stand. Wie bei Amri und Ben Ammar gab es auch bei Saidani keinen Zugriff.

Ganz nebenbei erfuhr man in er Ausschusssitzung am Donnerstag, dass in der DIK-Moschee in Hildesheim, dem Agitationsreich von Ahmad Abdulaziz A.A., das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) insgesamt drei Quellen einsetzte, bekannt war bisher eine. Damit steigt die Zahl von V-Leuten der Polizei und des Verfassungsschutzes allein in dieser Gruppierung auf acht, hinzu kommt mindestens ein verdeckter Ermittler und ein Mann, der für einen jordanischen Dienst spionierte. Fraglich ist danach, ob das BfV in der Berliner Fussilet-Moschee tatsächlich nur eine Quelle laufen hatte.