Was ich gefunden habe, ist nicht in Paris
Interview mit Jens Gebhart, Organisator der "infozone".
Du hast Dir mit Deinem Projekt "infozone" Paris als einen Ort ausgesucht, der im zeitgenössischen Diskurs digitaler Medien nicht gerade als sehr vernetzt gilt. Hast Du das Projekt deswegen in Paris organisiert?
Jens Gebhard: Ich arbeite seit 2 Jahren in Paris vor Ort, weil ich ein Aufbaustudium an der dortigen Kunstakademie mache - was sich vom Ort her nicht wesentlich von den anderen europäischen Akademien unterscheidet. In den letzten zwei Jahren habe ich im verstärkt im Netz gearbeitet - das waren Projekte, die sehr viel mit Dokumentation zu tun haben, die viel über Texte, Bilder, einzelne Orte dokumentiert haben. Ich war ein bißchen unzufrieden mit dieser Situation, weil ich gemerkt habe, daß dabei nicht viel an Feedback kommt, nicht viel an Prozessen, an Entwicklungen über netzspezifische Projekte. Paris ist eine Stadt, die komischerweise, obwohl sie riesig ist und viel zu bieten hat, doch in ein kulturelles Abseits gedrängt wurde. Es ist zwar wichtig und man fährt da hin, aber man fragt sich immer wieder: welche Orte gibt es da und was passiert und wer macht da was? Persönlich habe ich das fast als Vakuum erlebt; kulturell muß man dabei lange suchen, um sich da wohl zu fühlen oder das zu finden, was man sucht.
Die Idee war dann sehr einfach: Man sucht sich einen Raum für drei Monate, macht drei Monate ein ganz offensives, kunterbuntes Mixprogramm von Projekten, die sich vorstellen, die sich darinnen formulieren und weiterentwickeln. Ich habe nach Geld gesucht, dieses auch gefunden, und konnte dann für drei Monate relativ autonom einen Raum im Marais anmieten, in der Rue des Ecouffes. Das hat sich sehr schnell zu einer sehr lebhaften Szene und sehr offenen Auseinandersetzung von verschiedenen Richtungen und von verschiedenen Leuten entwickelt.
Die Idee war auch, vor Ort zu schauen, was existiert, mit wem man da arbeiten kann, wer Lust hat, mitzuarbeiten. Dies waren dann einige Leute von der Akademie, junge Künstler oder junge Musiker, Performanceleute, die in Paris leben. Es gibt auf jeden Fall momentan einen großen Willen, einen großen Drang, sich zu formulieren, ein Podium, irgendeine Art von Plattform zu finden; aber genau dies gibt es so gut wie nicht. Es gibt natürlich die großen Galerien, es gibt die riesigen Institutionen, aber da kommt man nicht rein, bzw. da will man auch nicht rein. Und eine Art off-Space ist nahezu nicht vorhanden, zumindest nicht in der Innenstadt. Und da hatte ich den Gedanken, daß man sich in diese Lücke zentral hineinsetzt. Wenn z.B. in Berlin momentan die Situation so ist, daß Projekte durch eine Renovierungswelle aus ihren Räumen gedrückt werden, dann ist dies in Paris schon seit Jahren vorbei: Hier ist das Zentrum komplett eingenommen von Tourismus und Repräsentation, von Boutiquenläden und sonstigen Orten.
Es entstand also der Gedanke, daß man sich wirklich wieder mitten hineinsetzt und eine Art Ort inszeniert, der nicht so schnell zu begreifen und auch nicht so schnell zu vereinnahmen und zu verarbeiten ist. Viele Leute kamen, wußten sehr wenig damit anzufangen, und mußten dann erste einmal fragen, was da passiert - auch durch öfteres Vorbeischauen hat man es erst verstanden, daß wirklich verschiedene Prozesse ablaufen, ob es jetzt Videopräsentationen waren oder Netzprojekte, Installationen im Raum oder einfach nur Partysituationen. Man mußte erst verstehen, daß wirklich eine Art von ständigem Spiel und Veränderung stattfindet - und man sich dadurch Raum und Freiheit schafft und damit sehr dynamisch arbeiten kann. Ich habe versucht, das Projekt via E-Mail bekannt zu machen und hatte einige Kontakte und habe es dann auch durch diese Schnelligkeit geschafft, an Programmpunkte oder an Leute heranzukommen, die nicht in der Stadt wohnen, aber dennoch vorbeischauten, weil sie da gerade irgendeinen anderen Termin hier hatten. Das machte die Sache sehr interessant: Wen kriegt man, wie schnell kann man arbeiten, wie schnell kann man Konzepte, die am Vorabend entstanden sind, am nächsten Abend schon in diesem Raum formulieren und umsetzen.
Ursprünglich gab es auch den Gedanken, daß man gleichzeitig das Ganze noch im Netz dokumentiert oder vielleicht darüber hinaus videostreamt oder Audiofiles veröffentlicht. Das hat aber zeitlich überhaupt nicht hingehauen, weil es wirklich schon sehr stark von mir abhing: wen spreche ich an, wer kommt, was passiert. Es gab dann auch einmal eine Woche, in der ich nahezu "weg" war, krank, tot, am Ende, da lief dann auch nicht mehr viel. Das hat man dann gemerkt, daß das Projekt auch sehr monopolistisch auf mich bezogen ist.
Kannst Du bitte auf den kulturellen Ansatz eingehen, den Du mit Deinem Projekt vertreten hast - oder versucht hast, zu kuratieren, wenn man das so sagen kann?
Jens Gebhard: Ich glaube, es war eigentlich kein Ansatz, und das war das Gute, daß es keine Galerie, kein Kunstraum im herkömmlichen Sinn war. Ich muß vielleicht ein bißchen auf das Programm eingehen, damit das klarer wird: Beispielsweise hieß eine Woche "Asian Noodle Soup", da veränderte sich der Raum komplett zu einer asiatischen Suppenküche. Die Idee dabei war, jeden Abend eine Suppe anzubieten. Ursprünglich habe ich gedacht, daß man mit dem Label "Fast Food Instant Soup" arbeitet, aber die Sache hat sich dann dahingehend entwickelt, daß sich einige Leute, die aus Bangkok, aus China, aus Japan kamen, angeboten haben, wirklich Suppen zu machen, was ich dann wesentlich kreativer und interessanter fand. Es gab dabei drei Paletten in dem komplett gekachelten Raum, ein kleines Regal mit einer Herdplatte und ein paar Zutaten - und das war es schon. Und außen war ein Logo angebracht: "Asian Noodle Soup". Das hat einfach der Standort erlaubt, weil das Marais sehr touristisch ist. Es sind dann auch Leute hereingekommen, die das wirklich als Noodle Soup empfunden haben und sich da niedergelassen haben. Und dann ging es darüber hinaus weiter, daß man gesehen hat, daß es doch nicht ganz funktioniert und der Raum auch nicht ganz als Suppenküche paßte. Darüber gab es dann Diskussionen: was ist das, was machen wir, wo geht es hin, was soll es überhaupt?
Speziell von den Anwohnern war ich auch sehr überrascht, die ursprünglich sehr skeptisch in dem Viertel waren, weil das Ganze als Konkurrenz wahrgenommen wurde: was passiert da, wer ist das? Das ist natürlich auch schwierig, wenn sie sehen, daß jeden Abend etwas stattfindet und sich auch der Raum nach außen sehr stark verändert - von "komplett verpackt in Plastik" bis zu ich weiß nicht was. Das war klein und schnell, man konnte einfach damit arbeiten. Das machte es den Anwohnern natürlich auch schwierig, wie sie reagieren sollten. Ursprünglich waren es immer die Fragen, ob wir etwas verkaufen wollen oder was überhaupt stattfindet. Da gab es aber zum Schluß hin einige Leute, die regelmäßig von der Straße oder dem Stadtteil vorbeikamen, die ganz konträr zum Kunstpublikum waren, die nichts mit Kunst oder selbst mit Neuen Medien zu tun hatten und einfach nur aus Interesse hineingeschaut haben.
Es gab auch solche Programmpunkte wie z.B. den Tag, an dem eine Japanerin, ein deutscher Schriftsteller und eine französische Malerin eine Art Environment und kreatives Schreiben anboten. Diese Leute hatten sonst nichts mit Kunst zu tun aber sagten, daß der Raum interessant ist und sie Lust haben, etwas zusammen zu machen. Das war plötzlich irrsinnig dynamisch, die haben sich 24 Stunden da hineingesetzt und produziert bis zum Abwinken, drei Tonnen Orangen ausgepreßt und währenddessen ich weiß nicht wieviele Texte produziert, und das wurde dann an die Wand gehängt.
Es war also meine Idee, daß ich mir eine Freiheit lasse und mich auch nicht einengen lasse durch Namen, im Prinzip alles nehme, was kommt, und damit versuche, intelligent zu arbeiten. Es gab z.B. einen Penner, der tauchte regelmäßig vor der Tür auf, ein Spanier, ein ziemlich junger Kerl, der mit einer Art Wagen unterwegs war. Es gab dann den einen Abend, an dem nur Bar geplant war. Dann sagte ich mir: "Jetzt ist der Moment" - und es war ein sehr interessanter Abend: Wir haben versucht, in diesem 15 Quadratmeter großen Raum, alles komplett gekachelt, eine Waschküchen- und Metzgeratmosphäre, seinen Lebensweg nachzuzeichnen. Es entstanden dabei Gespräche, die sich darum drehten, wer er war, wo er hingeht, seine Perspektive, warum es jemand in einem Ort länger aushält, warum er dann wieder weiterzieht. Am Schluß entstanden Linien, die sich durch den Raum zogen, mit verschiedenen Standorten in Europa. Es war mir also wichtig, daß so etwas auch möglich ist, unkonventionell Leute zu befragen, zu "bearbeiten" und dabei zu sehen, was an solch einem Abend passiert.
Bestand das Publikum, das zur infozone kam, aus Parisern, die regelmäßig vorbeischauten, oder war es eher ein Zufalls- und Laufpublikum, Touristen?
Jens Gebhard: Es gab zum einen ein richtiges Stammpublikum, das aus Franzosen, Schweizern, Deutschen und Österreichern bestand. Das war ein Kreis von ungefähr 20 Leuten, von dem man darauf setzen konnte, daß irgend jemand von diesen 20 Leuten, 5, 6 oder 7, an jedem Abend da waren. Das hat sich auch immer mehr verfestigt, es gab auch selbst zwei Freundschaften, die dabei entstanden sind, wer weiß, was dabei noch alles entstand...
Dazu kam ein spezifisches Abendpublikum. Im Prinzip hat jeder Act sein Publikum mitgebracht. Das war teilweise auch sehr persönlich, es gab Abende, an denen selbst ich persönlich mich nicht mehr so wohl gefühlt habe, weil ich gemerkt habe, daß ich die Leute nicht kenne. Die hatten dann auch nicht mehr viel mit mir zu tun, was merkwürdig war, denn ich wurde dann plötzlich als Exot wahrgenommen, obwohl ich ja das Projekt machte. Es war eine groteske Erfahrung, zu merken, daß man selbst aus seinem eigenen Kontext herausfliegen kann. Das wurde dann bisweilen etwas zu viel, so daß es zu viel reinen Konsum gab und das Projekt einfach nur noch als Plattform genommen wurde. Und genau das wollte ich eigentlich nicht; mir ging es vielmehr darum, zu sehen, daß mit den Leuten etwas passiert, daß man sich kennenlernt oder irgendeine Art von Prozeß den Abend über abläuft. Ich habe dann auch versucht, zum Ende hin das Programm wieder stärker zu thematisieren und wieder einen Inhalt zu vermitteln und auch einen Standpunkt einzunehmen - weil ich gemerkt habe, daß es zwischendurch zu sehr "Kommen, Schauen, Gehen" war. Sicherlich gab es auch Abende, an denen nur 2, 3 oder 5 Gäste anwesend waren. Dann hat man den Raum zugeschlossen und ist nach nebenan in die Bar gegangen: Jeden Abend ein neues Abenteuer. Man konnte nie sagen, ob 2 oder 20 kommen werden. Gut, 200 waren es nie, aber 50 oder 80, das waren Highlights.
Es tat dabei sehr gut, ein gemischtes, sich selbst generierendes Publikum zu haben. Ich kenne das ja auch von Orten in Berlin, in Stuttgart, in München oder Düsseldorf, die ihr Klientel haben und wo jede Eröffnung oder jeder Act nur einen Fachkreis zieht - sehr unangenehm. Einige Leute haben mir gesagt, daß die infozone ein Ort geworden ist, an dem man garantieren konnte, daß man an jedem Abend jemanden kennenlernt. Das war alleine deshalb garantiert, weil man auf 15 Quadratmetern niemandem aus dem Weg gehen kann. Das Wissen, daß man an jedem Abend auf die Leute zugehen muß, machte das Projekt auch interessant. Es war dann manchmal selbst nicht so wichtig, wenn das, was angeboten wurde, vielleicht gar nicht so interessant war. Das wurde manchmal sogar zum Ambiente und gar nicht mehr zum Inhalt.
Zum Schluß habe ich versucht, wieder aus dem Raum herauszukommen und verstärkt öffentliche Aktionen zu machen. Das fing an mit "Rallye des Ecouffes", einer Straßenrallye. Man muß sich vorstellen, daß das im Marais mit seinen kleinen Einbahnstraßen war. Wir haben also versucht, in dieser Rue des Ecouffes eine Rallye zu inszenieren, mit Autos, Fahrrädern, allem möglichen. Das ging natürlich nicht, das ging natürlich in die Hose. Es war aber interessant, wie die Leute mit diesem Begriff "Rallye des Ecouffes" umgingen.
Dann gab es z.B. auch eine Troc-Truc. Es ging dabei darum, eine Art Flohmarktambiente/ Wohnsituation in der Straße zu errichten; mit Teppichboden auf der Fahrbahn, auf dem Gehweg, mit verschiedenen Einrichtungen, Wohnzimmer, Küche, Bad, eine richtig schöne Installation klassischer Art auf der Straße, wo sich die Leute hinsetzen und sich Zeit nehmen, ein bißchen Ambient laufen. Es gab dabei eine Menge Ärger mit der Polizei, denn es war alles nicht angemeldet. Aber das war auch ein Thema der infozone: Was ist möglich, welche Öffentlichkeit bekommt man, welche Probleme bekommt man? Wir haben jetzt zwei Gerichtsverfahren am Hals wegen nächtlicher Ruhestörung, ganz klassisch, die Leute fühlen sich dann doch auf den Schlips getreten. Wir hatten zwar einen riesigen Rückhalt in der Straße, aber es gibt immer wieder jemanden, der sich beschwert, der auf plumpe Art die Polizei bestellt. Dann stehst du mit Behörden da und mußt dich wehren bzw. kannst dich nicht mehr bewähren und mußt deine Aktion abbrechen. Der Prozeß hat noch nicht stattgefunden, aber was ich dabei wichtig finde, ist: ich habe es soweit hinbekommen, daß man auch die Verhandlung als neues Forum nutzt und eine solche Veranstaltung auch vor Gericht thematisiert, als Kunst oder als öffentlichen Ansatz.
Was ist noch passiert? Es gab eine Börsengeschichte ganz zum Schluß - "infozone geht an die Börse", um Kapital für diesen Gerichtsprozeß zu bekommen, denn es ist dabei aller Voraussicht nach Geld zu bezahlen. Das war aber nur ein Konzept; es gab ein Treffen mit Investoren an der Börse, wobei natürlich nur 2 Leute da waren. Aber alleine vom Ansatz her war es gut, das in dieser Situation zu machen. Ganz zum Schluß wurden die kompletten Einnahmen der infozone übrigens auf ein Pferd gesetzt, um die Spekulation weiterzutreiben, und um auch Perspektiven zu öffnen. Der Gedanke des Raumes war ja auch, zu entstehen und wieder zu verschwinden. Denn es war mir sehr wichtig, daß man über eine gewisse Zeit, 2 oder 3 Monate, sehr präsent an einem Ort ist, und sehr viel Zeit und Energie investiert, und dann wieder resümiert, welche Kontakte zu neuen Projekten es gibt. Es gibt tatsächlich einige Projekte, die über die infozone entstanden sind: In der Bretagne gab es ein Netztreffen von Leuten, die sich in der infozone zum ersten Mal über irc-Kontakte getroffen haben.
Jetzt, da es den Raum nicht mehr gibt, ist für mich der Moment gekommen, um zu sehen wo es weiter geht, welche Orte und Situationen mich weiter interessieren.
Der kulturelle Austausch zwischen Frankreich und Deutschland ist ja in vielen Bereichen sehr institutionalisiert, was sicher mit der Geschichte der Deutsch-Französischen Freundschaft zu tun hat. Es gibt ja viele Austauschprogramme im Bereich der Kunst, sei es durch das Institut Français, oder das Goethe Institut, die die Präsenz der eigenen Kultur im anderen Land vermitteln. Es gibt aber auch viel Austausch zwischen Kunstinstitutionen, viele Künstler werden ausgestellt im jeweils anderen Land. Was Du gemacht hast, war aber eine völlig außerhalb von Institutionen stehende Aktion, die man auch aus Deutschland wiederum nicht so häufig kennt, etwa daß ein Franzose z.B. nach Berlin kommt und dort einfach einen neuen Raum öffnet. Dies hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, daß man für solche Unterfangen normalerweise eine gewisse Orts- oder Kontextkenntnis voraussetzt. Mich würde interessieren: Du hast davon gesprochen, daß Du in Paris eine Art Vakuum vorgefunden hast, oder daß vielleicht genau das der Anlaß war, die infozone zu machen. Wie sind Dir dabei die Leute begegnet - einerseits als jemandem, der ohne Institution etwas organisiert, was in Paris nicht gerade üblich ist, und andererseits als jemandem, der dabei nicht einmal aus Paris kommt? Kamen auch Institutionen auf Dich zu und haben sich dafür interessiert, was Du machst? Kamen nichtfinanzierte Projekte auf Dich zu? Wie war dieser Austausch?
Jens Gebhard: Fundraising war sehr schwierig. Vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, dem Goethe Institut und dem, was es da so gibt, kamen nahezu nur Absagen. Das hat mich sehr genervt, denn auf meiner Seite war das Risiko vorhanden, so viel auf eine Karte zu setzen und zu sagen, "ich setze mich ins Nest und schaue, was passiert". Ich war auch deswegen von der institutionellen Seite sehr enttäuscht, weil sie unter Druck setzt: Man fragt an, kommt dann in dieses Procedere rein, und dann werden einem die Karten ganz klar auf den Tisch gelegt - oder auch nicht. Das hemmt sehr und man bekommt nichts dabei heraus, nicht mal eine inhaltliche Diskussion oder Unterstützung, geschweige denn Geld. Es gab einen Punkt, an dem ich mir gesagt habe: jetzt erst recht. Gerade in Frankreich herrscht die Situation, daß man sehr lange auf Geld wartet. Man macht sehr viele Projekte, man investiert sehr viel Zeit in Ordner und Präsentationsformen und das hemmt vieles. Die Ordner stecken dann jahrelang in irgendwelchen Unterstützungskreisen, Gremien, und es kommt nicht weiter. Da sagte ich mir: es muß irgendwie gehen, ich mache mich nicht von irgendwelchen Geldern abhängig. Ich habe es dann so gelöst, daß ich privat bei Leuten untergekommen bin und meine gesparte Miete also komplett in diesen Ort stecken konnte. Das ging ganz gut auf.
Was die Wahrnehmung vor Ort betrifft: Viele Leute erklärten mich komplett für verrückt. "Bist du verrückt, du setzt dich in den Pariser Kontext ohne Ahnung. Das kann nicht gutgehen, da unterstützt dich niemand", etc. Es war aber eigentlich fast mein Glück, daß kein Goethe Institut mit dranhing und ich so irgendwelche Auflagen oder irgendwelche inhaltlichen Probleme bekommen hätte. Das machte das Projekt auch sehr lebendig. Ich glaube, das war der Pluspunkt, daß ich sehr autonom dastand und mit dem Material und mit den Leuten vor Ort "investieren" und arbeiten konnte. Es war interessant, ab dem Moment, ab dem es wirklich lief, zu sehen, daß die Fondation Cartier kommt, oder eine Kuratorin vom Centre Pompidou. Aber sie konnten sehr schwer mit dem Projekt umgehen, man konnte es halt einfach nicht "fressen", oder man konnte es zumindest nicht so fressen. Man kann natürlich mich fressen und sagen: "hast du nicht Lust, hier und da das zu machen", aber den Rahmen konnte man nicht nutzen oder verarbeiten. Das fand ich wichtig, daß man so autonom arbeiten kann. Aber auch, daß man durch das Da-sein und das sehr aktive Teilnehmen Kritik einstecken muß, und dabei plötzlich auch als jemand Positives wahrgenommen wird. Am Anfang umgab mich ein Hauch von Exotik, aber nach einer Weile gab es Leute, die das Projekt gut fanden und mitgemacht haben. Darauf mußte ich aufbauen, und dies war der Moment, an dem ich das Projekt öffnete und mir überlegte, wer was übernehmen kann, wer Lust hat, thematisch Programm zu machen, oder wer welche Kontakte hat. Das habe ich dann auch komplett von mir losgelöst.
Es gab z.B. eine Woche, die "Sound Politics" hieß, in der ein Franzose, Etienne, die ganze Woche über Programm gemacht hat und natürlich bessere Kontakte vor Ort hatte als ich. Darum ging es mir also auch, daß man eine Plattform hat, die man anbietet und damit arbeitet als Material, als Basis. Ich glaube, es gibt es viel zu wenig Räume dieser Art, speziell in Paris. Das haben einige verstanden und ich habe ein bißchen das Gefühl, davon, daß die infozone passiert ist, zehren auch zwei andere Orte, Access Local und public. Das kann man natürlich auch wieder kritisch hinterfragen in manchen Punkten. Aber ich habe schon gemerkt, daß da etwas passiert und etwas hängengeblieben ist und die Leute Lust bekommen haben, stärker von sich aus die Initiative zu ergreifen und nicht zu sehr auf die vorhandenen Strukturen zu setzen: Insofern, daß man sich überlegt "wo gibt es Räume, oder wie kann man Raum schaffen, oder in welcher Form kann man Öffentlichkeit herstellen oder einfach agieren". Ich glaube, das funktioniert in Paris viel zu traditionell, man wartet viel zu sehr auf die Dinge, die sich ereignen. Speziell die Studenten an der Kunsthochschule hoffen auf Stipendien, auf Gelder, auf Preise. Und dann ist man ganz traurig, wenn man es nicht schafft. Manche schaffen es, andere bleiben ein Jahr später stehen und hängen und müssen sich umorientieren.
Ich habe von der Schule auch sehr viel Kritik bekommen und nahezu keine Unterstützung. Es gab zwei Gespräche mit dem Rektor, der mir ganz klar sagte, von seiner Seite soll ich das überall machen, bloß nicht in dieser Schule. Das sei völlig außerhalb des Kontextes, völlig außerhalb jeglicher pädagogischer Richtlinien und Interessen. Das hat mir ganz klar gezeigt, wie eng ein solcher Ort sein kann.
Siehst Du Deine Erfahrungen, die Du mit solchen Dingen gemacht hast, in der Einschätzung angesiedelt, wonach in Frankreich Kultur eher Top-down funktioniert? Die gefestigten Institutionen versuchen die Dinge sofort an sich zu reißen, die Ausdifferenzierungen davon in die Gesellschaft diffundieren zu lassen, während es in Deutschland andersherum sei, daß die Institutionen eher versuchen, in der "Subkultur" zu horchen, und dann die Dinge langsam aufzubauen? Die Frage nach der Eigeninitiative also, nach künstlerischer oder kultureller Produktion.
Jens Gebhard: Das Problem ist immer das, ob man von Frankreich oder ob man von Paris spricht. Man ist da sehr pauschal. Ich kann jetzt nur über Paris sprechen: Da geht es einfach um Internationalismus: Die Institutionen kümmern sich einen Dreck um das, was vor Ort ist; sie knüpfen ihre Kontakte in alle Welt, und das funktioniert ja auch wunderbar wenn Geld da ist - daß man "Namen" einladen kann. Darauf setzen zumindest die Institutionen. Darauf werden aber auch schon junge Leute geeicht, gerade auf Namen und Orte, und wie sie besetzt werden. Es gibt auch einen Mainstream, nach dem man sich Eröffnungen oder Präsentationen oder Debatten reinzieht. Man muß da sein, man muß sie sehen - das ist ja auch nicht unwichtig, das stelle ich auch nicht in Frage. Aber dann kommt der nächste Schritt: was passiert dann? Und dann passiert einfach nichts mehr. Dann gilt nur "habe ich gesehen, habe ich gehört; ist gut, ist schlecht; interessiert mich, interessiert mich nicht", aber man setzt sich ja nicht einmal mehr damit auseinander. Ich kann an dieser Stelle nur diese Schemata, oder alles, was institutionell läuft, angreifen. Andererseits finde ich es gut, daß vor Ort so etwas inszeniert wird. Aber es existiert eine Art von Arroganz und Überheblichkeit: Bevor man lokal sich nach irgendwelchen Videokünstlern umschaut, holt man sich Pipilotti Rist, weil, da weiß man, was man hat.
Ich habe aber gemerkt, daß viel "da" ist; man kann nicht sagen, daß es in Paris vor Ort nichts gibt. Im Gegenteil. Was fehlt, ist die Vermittlung, die Thematisierung. Beispielsweise auch: Frankreich und Flyer, das ist auch so eine Geschichte. Ich habe in der ganzen Zeit ungefähr 30 Flyer gemacht. Am Anfang hieß es "Was ist das? Das ist ja sehr hübsch und schön!". Dann gab es auch Flyer, die speziell dafür gedruckt waren, das waren 10 Stück, die immer das Wochenprogramm beinhalteten. Zum Schluß gab es richtige Sammler: "Ja, super, wir machen jetzt auch Flyer!" Es hört sich jetzt sehr überheblich an, wenn ich sage, ich habe die Flyer inszeniert, aber ein Stückweit ist es so, daß man Sachen ein bißchen ritualisiert oder inszeniert, so daß es da auch passiert. Ich sage ja nicht, daß dann alles von außen kommt, aber ich sehe einfach, daß es ein bißchen Nachholbedarf gibt und daß daraufhin mit dem gegebenen Rahmen und den Leuten etwas passiert. Es gibt da so einige Sachen, die man nennen könnte, die weitergehen, und wo Projekte und Personen mittlerweile versuchen, sich zu vernetzen und versuchen, sich zu formulieren.
Hast Du denn über den von Dir beschriebenen Nachholbedarf auch mit Parisern gesprochen, die das ähnlich empfinden?
Jens Gebhard: Ja, auf jeden Fall. Das ist enorm. Das geht ja so weit, daß Pariser, speziell auch große Künstler, Stars, sich als französische Künstler, wie soll man sagen, unter Wert fühlen. Das habe ich jetzt von einigen Leuten mitbekommen, wenn sie auf großen Ausstellungen sind, mit dem "Ich bin ein französischer Künstler" ein Problem haben. Denn das ist ja völlig "out" oder "problematisch". Das geht dann soweit, daß junge Leute sagen: "hier bleibe ich nicht, hier gehe ich weg."
Was ich aber auf jeden Fall sagen will: Ich war wirklich überrascht von der Offenheit, etwas, das mir in Deutschland schon lange fehlt. Wenn du in Deutschland etwas machst, ist man sofort in einer Kiste oder Schublade, Richtung, Gruppe oder Formulierung drin. Vielleicht ist es naiv, dies zu sagen, aber es war spannend und interessant, sich so anzubieten, und das Angebot wurde auch sehr offen wahrgenommen. In Deutschland hätte ich wohl nie diese Art von Offenheit herstellen können.
Siehst Du Dich als unfinanzierten Kulturvermittler zwischen Frankreich und Deutschland?
Jens Gebhard: Eigentlich überhaupt nicht. Das komische ist, je länger ich das gemacht habe, desto mehr hat sich in mir dagegen aufgewühlt, desto mehr habe ich gemerkt, ich muß damit auch aufhören, an dem Ort in dem Rahmen aufhören. Dadurch, daß man 1 oder 2 Monate präsent ist und Programm macht, rutscht man auch in eine Rolle hinein. Auch von außen bekommt man diese Rolle aufgestempelt. Plötzlich wird man eingeladen und soll hier und da etwas machen. Damit habe ich gerade zu kämpfen, und ich weiß gar nicht, was ich da machen soll. Bzw.: ich werde eingeladen und stelle dann wieder andere Leute aus, das finde ich superbizarr; deswegen versuche ich, meine eigene Arbeit unterzuschmuggeln und einzuschieben. Es war mir wichtig, daß das Projekt stattfindet und auch wieder aufhört. Viele Leute sagten: "höre nicht auf, mach weiter". Es gab auch einen namhaften Architekten, der mir in Paris einen Ort angeboten hat, 100 Quadratmeter, superschön, chic, fein, zentral gelegen, traumhaft. Ich habe dann versucht, diesen Ort wieder an andere Leute zu vermitteln, von denen ich mir dachte, daß sie interessant sind und viel mehr zu bieten haben als ich, der lokal wenig bis gar keine Ahnung hat.
Ich versuche, mich richtig zu distanzieren von dieser "Kulturvermittlungsrolle", deutsch-französisch noch dazu, also super einengend. Das war nie meine Richtung. Persönlich sage ich mir, es muß irgendwoanders weitergehen und ich bin gerade auf der Suche und beginne, mich zu fragen, was mich interessiert. Es gibt einen Kontakt nach Beirut, der über die infozone entstanden ist. Das ist dann auch eine persönliche Frage: Bin ich so arrogant oder so naiv, daß ich mich jetzt in Beirut hineinsetze und da weitermache? Allein von der Sprache: Französisch kann ich gut bis perfekt, arabisch kann ich gut bis perfekt gar nicht. Insofern ist es auch ein Spiel: wie weit kann man gehen, wo ist das Limit? Sich auch nicht von einer Metropole in die andere zu setzen, New York, Berlin, Tokyo, usw. Da muß man auch aufpassen. Vielleicht jetzt mal richtig "Peripherie" untersuchen, mal schauen, was möglich ist.
Als die E-Mails der infozone rausgingen, fanden das viele Leute, z.B. in Deutschland, lobenswert, daß in Paris mehr im Netz passiert. Dann stellte sich heraus, daß es ein Deutscher ist, der das macht. Es trat wieder Verwirrung ein, weil man ja seit Jahren darauf wartet, daß mehr aus Frankreich kommt, sei es an Mailinglistenkontakten, sei es an Netzkunst, die in dem üblichen Symposien-/Ausstellungszyklus präsent ist. Es gibt weniger Kontakte über das Internet als zu anderen Ländern/Städten. Ist das auch Deine Einschätzung? Was denkst Du, woran das liegt? Ist das eher eine Frage der technologischen Entwicklung, sprich, des Minitel, oder eher eine Frage der kulturellen Orientierung, wie und wo man sich mit seinem Content positionieren will?
Jens Gebhard: Das Minitel hat damit gar nichts zu tun, technisch kann man eindeutig sagen, daß Frankreich kein unterentwickeltes Land ist, im Gegenteil: Multimedia ist ein Wort, das man an jeder Ecke hört, und das sehr stark unterstützt wird. Aber alternative Formen, oder Formen, die sich nicht so schnell vereinnahmen lassen, oder nicht ganz klar faßbar sind, gibt es so gut wie gar nicht. Das kann man ganz klar so formulieren. Und wenn man etwas findet, dann ist es nicht in Paris. In Paris ist alles gleich "Wirtschaft", alles gleich "Produktion", man will mit Paris Geld verdienen. Man hat auch sehr viel stärkere Abhängigkeiten, man muß Raummiete zahlen, man hat Maschinen, die sehr teuer sind. Beispielsweise hat auch die Hochschule einen sehr gut eingerichteten Medienpool mit Rechnern, die von der intelligenten Nutzweise her nahezu nicht bedient werden. Das einzige, was darauf stattfindet, ist Bildbearbeitung. Es gibt da jemanden, der das leitet. Der hat zwar keine wichtige Position, aber er vermittelt den Leuten: Ihr müßt professionell sein und ihr müßt Kontakte knüpfen. Das heißt dann Canal + oder andere Fernseh- oder Designfirmen. Da geht sehr viel Potential sofort verloren, weil die Leute sehr schnell in eine angewandte Schiene reinrutschen und ihr nettes Geld verdienen. Es gibt auch viele kleine Büros, die dann entstehen, aber da geht auch viel verloren, viel Austausch und Gedanke und Prozeß.
Was ich gefunden habe, ist nicht in Paris. Das ist in Bordeaux, in Nantes, in Marseille, aber nicht in Paris. Was in Paris ist, ist monstergroß, Geld und uninteressant. Keine Experimente, viel Kontrast. Die Leute, die interessante Ansätze haben, kommen nicht raus, schaffen es nicht, einen Standpunkt zu entwickeln und auch die Leute mitzuziehen. Es gibt zwar eine Basis, aber die hat keinen Rückhalt und keine Chance, an Equipment, an Server, an Mailinglisten usw. heranzukommen. Ich bin sehr traurig, daß da so wenig kommt. Ich mache nach wie vor auch in Richtung Frankreich eine sehr offensive Mailinglistenpolitik. In Frankreich ist es immer wichtig, eine Art Political Correctness oder Charme für etwas zu entwickeln. Wenn man das nicht drauf hat - und ich habe das nicht unbedingt drauf, ich bin da sehr direkt - stößt das schnell auf Widersprüche oder auf keine Reaktion. Es fehlen die richtigen Worte am richtigen Ort, und dann fällt das traurigerweise hinten herunter.
Ich bin aber dennoch positiv gestimmt, weil ich sehe, daß in der Region etwas stattfindet, und das halte ich für wesentlich interessanter.