Was ist ein Skinhead, wie sieht er heute aus?

Zwei Studien wollen belegen, dass Rechtsextremismus in Ostdeutschland an Zustimmung verliert oder sogar out ist.

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Wenn viele vieles wollen, dann gerät in der Regel einiges durcheinander. Das ist in der Rechtsextremismus-Forschung nicht anders, da gibt es heute beinah nichts, zudem nicht schon geforscht, zudem alles und darum auch gar nichts gesagt wurde. Zwei neue, kürzlich erschienene Studien bringen es nun wieder einmal auf den Punkt, und sie wollen sogar belegen, dass Rechtsextremismus im Osten an Zustimmung verliert, beziehungsweise "out" ist.

Die erste ist eine Pilotstudie zum Projekt "Jugend in Brandenburg" vom Institut für Familien-, Kindheits- und Jugendforschung der Universität Potsdam. Sie erscheint seit 1991 in regelmäßigen Abständen, und die neusten Ergebnisse verraten, dass immer mehr Jugendliche in Brandenburg - mittlerweile 52 Prozent, 1993 war es erst ein Drittel - Rechtsextremismus kategorisch ablehnen.

Die zweite Studie ist eine vom Berliner Archiv der Jugendkulturen unter der Leitung von Klaus Farin. Klaus Farin will einen Trend von der einst so beliebten Skinheadkultur hin zu anderen eher linkskodierten Jugendkulturen wie HipHop oder Punk in Ostdeutschland ausmachen. Rechtsextreme, so das Ergebnis, gelten heute als die letzten Deppen.

Fragwürdige Studien

Ist da was dran? Hat sich in ostdeutschen jugendkulturellen Erfahrungswelten in den letzten Jahren etwas verschoben, ohne dass es da irgendjemand gemerkt hat? Zunächst ist vor allem die Studie des Archivs der Jugendkulturen fragwürdig; sie war keinesfalls repräsentativ, da bei den 1.000 befragten Jugendlichen regionale Unterschiede nicht gewichtet wurden und die Befragung auch an Schulen während eines Anti-Rechts-Projekts erfolgte. Gewünschte Aussagen können demnach produziert worden sein.

Zudem werden die Ergebnisse, wie so oft in der Forschung, alleinig, nicht im Vergleich zu anderen Studien gewertet. An anderen Stellen kam man da durchaus zu gegenteiligen Urteilen, wenn sich die Ergebnisse auch aufgrund verschiedenen Forschungsdesigns nicht direkt vergleichen lassen. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer resümiert etwa, dass konkurrenzorientierte Fremdenfeindlichkeit im Osten der Republik höher ist, sie seit 2002 in Ost und West kontinuierlich ansteigt, und das Einfordern von Etabliertenvorrechten seit 2003 zunimmt - im Osten stärker als im Westen Deutschlands.

Und der Politikwissenschaftler Richard Stöss von der FU-Berlin stellt fest, dass das rechtsextremistische Einstellungspotenzial 2003 in Ostdeutschland bei 23 Prozent lag, damit wie auch schon 1998 anderthalbmal so stark verbreitet war wie in den alten Bundesländern.

Alles etwas verwirrend. Und so wenig Klarheit Zahlen überhaupt bieten können, was sagt das über wohlmögliches Handeln aus? Seit Jahren ist ein Anstieg rechtsextremer Straftaten und Übergriffe zu verzeichnen, nachdem die Zahl von Übergriffen nach den pogromartigen Ausschreitungen der Nach-Wendezeit nach 1992 zunächst abebbte.

Wer sind die Handelnden?

Gerade in Ostdeutschland werden je 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele rechte Übergriffe registriert wie in den westlichen Bundesländern. Wer aber sind die Handelnden? Ein Forschungsteam des Soziologen Helmut Willems aus Trier zeigte auf, dass rechtsextreme oder fremdenfeindliche Übergriffe nur zu einem Viertel von überzeugten Rechtsextremisten begangen werden. Die Frage wäre also eher: Was ist das überhaupt, Rechtsextremismus?

Da beißt sich die Katze in den Schwanz und so manch Betrachter vor Verzweiflung auf die Lippe, denn bis heute ist nicht klar, was das sein soll. Rechtsextremismus ist ein amtlicher, zugleich auch ein politikwissenschaftlicher Begriff, der seit 1974 in den Verfassungsschutzberichten anstelle von Rechtsradikalismus verwendet wird und in der Wissenschaft keinesfalls einheitlich definiert ist. Meistens wird er jedoch mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auch mit positivem Bezug zum Nationalsozialismus beschreiben. Rechtsextremismus ist so also etwas, das sich leicht an den Rand der Gesellschaft schieben lässt.

Aber wo fängt Rechtsextremismus an? War der Mord im brandenburgischen Potzlow, wo Jugendliche einen Kumpel mit einem Bordsteinkick töteten, weil er HipHop-Hosen trug, einen Sprachfehler hatte und sich als Jude bezeichnen musste obwohl er keiner war, ein rechtsextremer Übergriff? Es war einer der grausamsten Morde der Nach-Wendezeit. Für die meisten Bewohner des kleinen Dorfes in der Uckermark waren die Täter jedoch "ganz normale Dorfjugendliche", und die Anwälte der Angeklagten wollten das Strafmaß zugunsten der Täter mindern, die Tat sei schließlich "nicht politisch motiviert" gewesen.

Selbst die Wahlforscher hatten bislang ihre Schwierigkeiten, Rechtsextremisten anhand von Kreuzen auf den Wahlzetteln zu bestimmen. Die wenigsten von ihnen wählen bis heute rechtsaußen, wie der Mainzer Politologe Jürgen W. Falter in seinen Untersuchungen aufzeigte, sie machen ihr Kreuz vorwiegend bei den Volksparteien. Auch sagt die Mitgliedschaft in rechtsextremen Parteien und Organisationen wenig über das tatsächliche rechtsextreme Potenzial aus. Rechtsextreme Parteien haben seit Jahren ein Rekrutierungsproblem.

Konturen sukzessive verloren

Ihre Mitgliederzahl sowie die der nichtorganisierten Rechtsextremisten sank, das trotz eines leichten Mitgliederzuwachses der NPD um 700 neue Parteizugehörige, laut Verfassungsschutzbericht 2004 erneut, diesmal um 1,7 Prozent, von 41.500 auf 40.700 Personen. In rechtsextremistischen Parteien sind heute noch rund 23.800 Mitglieder organisiert, zum Vergleich: Die NPD hatte 1969 alleinig 28.000 Parteizugehörige. Heute sind es etwa 6.000. Lässt sich darum behaupten, der Rechtsextremismus verliere an Schärfe?

Sicher nicht, aber er hat seine Konturen sukzessive verloren. Vielleicht ist dann die Studie von Klaus Farin gar nicht so uninteressant, wenn auch wenig repräsentativ, schließlich räumte Klaus Farin auch ein, dass die Ergebnisse seine Erfahrungen der letzten Jahre ebenfalls widerspiegeln. Was ist dagegen einzuwenden? Vielleicht sollte man das umso ernster nehmen, als minimalen Veränderungen jeder Studie Rechnung tragen zu wollen. Sind rechtsextreme Skinheads out?

Laut Verfassungsschutzbericht liegt ihr Personenpotenzial, also das der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten, wozu auch die rechtsextremen Skinheads gehören, nach wie vor mit etwa 10.000 Personen hoch. Prozentual stammen die meisten von ihnen aus den neuen Bundesländern. Ähnlich sieht es bei den stark neonazistischen freien Kameradschaften aus, von denen es 1998 erst 80 gab, es heute aber um die 160 gibt. Aber was ist ein Skinhead, wie sieht er heute aus?

Ist er noch an Glatze, Bomberjacke, 16-Loch Doc Martens mit weißen Schnürsenkeln zu erkennen? Das Klischee existiert noch immer, und es wird auch in ein paar Jahren noch existieren. Rechte Ästhetik hat sich dennoch verändert. Insbesondere seit den 90er Jahren hat die Rechte vermehrt andere, eher linkskodierte Stile und Symboliken übernommen wie auch umkodiert. Im Sinne des Marxisten Antonio Gramsci ging es um die kulturelle Unterwanderung von einst nicht rechts besetztem Terrain. HipHop, Heavy Metal, alles durfte plötzlich rechts sein, und rechte Kids orientieren sich heute keineswegs mehr vorrangig am Antlitz des einstig stiernackig versoffenen Skins, der nur Basy in der Hand und Hitler im Kopf hat. Rechtssein, das soll ja auch ein bisschen Spaß machen.

Nach der Wende waren da die Schubladen etwas geordneter, wer Skin war, das war einigermaßen klar, rechte Skinheads galten vielfach als "Vollstrecker des Volkswillens" (Richard Stöss), und bereits vor dem Mauerfall waren sie keineswegs so marginalisiert wie im Westen Deutschlands. Linke Skins gab es im Osten dagegen so gut wie gar nicht, und rechte standen durch ihr optisch abweichendes Erscheinungsbild für einen vom Westen geprägten Veränderungsprozess, den das Volk wollte.

Mit den Skins hatten die DDR-Bürger schließlich ein gemeinsames Feindbild, das war der Staat. Im Gegensatz zu rechtsextremen Parteien, die nach der Wende kaum Fuß fassen konnten und erst seit 1998 erfolgreicher auf Stimmfang im Osten gehen, standen Skinheads für ein Aufbegehren, für einen radikalen Bruch, der was hermachte, den man aber heute so nicht mehr will.

Rechte im Osten als Normalfall

Denn wer sich nicht zugehörig fühlt, sucht eher den Anschluss (vorausgesetzt man will dazu gehören). Etwa 80 Prozent der Ostdeutschen sehen sich heute als Menschen zweiter Klasse, was zwar den Rechtsextremismus nicht erklärt, aber demonstriert, dass das Kokettieren mit Randständigem weniger verlockend wirkt. Es fragt sich nur: Was ist randständig?

Die Rechte hat es bis heute geschafft, und das im Osten stärker als im Westen, als Normalfall, als nichts Abwegiges zu gelten. Rechte wirken gerade dann attraktiv, wenn sie Anschluss bieten. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Sächsische Schweiz, Johannes Müller, ist studierter Arzt, Uwe Leichsenring, parlamentarischer Geschäftsführer der NPD-Landesfraktion Sachsen, mimt im sächsischen Königstein den netten Nachbarn und betreibt die einzige Fahrschule im Ort. Der rüpelhafte Nazi-Skin mag hingegen an Attraktivität verloren haben. Mit ihm wird eher Arbeitslosigkeit assoziiert, und das braucht man nun wirklich nicht, wenn der Abrutsch droht oder bereits da ist.

Rechte Einstellungen nehmen tendenziell mit dem Alter zu

Entwarnung können die Studien über Zustimmungsverluste für Rechtsextremismus im Osten der Republik nicht geben. Die Frage müsste einfach auch anders gestellt werden. Sie lautet nicht, ob der Rechtsextremismus an Zustimmung verliert, sondern was die politische Mitte leistet, damit auch die krummsten Rechten sich in ihr gut beheimatet fühlen?

Wen mit rechten Einstellungen sprechen also auch Edmund Stoibers Forderungen an, Migrantenkinder, die kein Deutsch können, erst gar nicht zur Regelschule zu lassen zu wollen oder sie bei "gescheiterter Integration" gänzlich auszuweisen? Und letztendlich täuschen Jugendstudien auch immer über etwas Entscheidendes hinweg: Rechtsextremismus ist kein Jugendphänomen. Der rechtsextreme Musikmarkt, rechtsextreme Gewalt, das ist jugendkulturell dominiert.

Rechte Einstellungen aber nehmen tendenziell mit dem Alter zu, sie sind in älteren Gruppen höher, da ist sich die Forschung weitestgehend einig. Schlägernde Rentnerklubs aber sind bislang genauso wenig durch den bayrischen Wald gezogen wie auch im Altersheim noch keiner zur E-Gitarre griff, um die Demokratie mit schmerzhaftem Rechtsrock zu bestrafen.

Rechtsextremismus ist etwas, das gar nicht "out" sein kann. Einstellungen, Ideologien oder Ideologiefragmente sind nicht hip oder hop, sie herrschen vor oder nicht, sie sind sogar über einen gewissen Zeitraum relativ stabil. Stile, Trends, die Einstellungen und Ideologien transportieren, die können in oder out sein. In diesem Sinne sind Studien, die Rechtsextremismus als angesagt oder nicht angesagt festschreiben wollen, ein großer Schwindel im Tal der Euphorie.