Was ist los mit Julia Skripal?
Ihre Erklärung, die die Polizei "in ihrem Namen" veröffentlicht, klingt seltsam, die russische Regierung vermutet eine Zwangsisolation oder eine Inszenierung
Gestern wurde der OPCW-Bericht über den Giftanschlag auf die beiden Skripals veröffentlicht. Er bestätigte, dass im Blut von Sergei und Julia Skripal sowie in dem des Polizisten, der zuerst bei der Parkbank gewesen war, sowie an einigen Hotspots die "toxische Chemikalie" gefunden wurde, die auch das britische Militärlabor von Porton Down identifiziert hatte. Es soll sich um sehr reines Gift handeln, die OPCW spricht trotzdem nicht von einer militärisch entwickelten Substanz. Um welches Gift es sich handelt, wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt, steht aber in dem als geheim klassifizierten Bericht, den Regierungen der Mitgliedsländer einsehen können. Ungeklärt ist damit weiter, woher das "angebliche Nervengift", so der OPCW-Bericht, stammt, wer für den Anschlag verantwortlich ist und auch wie er genauer geschehen ist, wenn an verschiedenen Orten die toxische Chemikalie - oder Vorläufersubstanzen, wenn es ein binäres Gift sein sollte? - gefunden wurde.
Weiterhin seltsam geht es mit Skripals zu. Am 5. April wurde dann ein Telefongespräch vom russischen Sender Russiya ausgestrahlt, in dem Julia Skripal mit ihrer Kusine Viktoria, die bei Julias Großmutter leben soll, spricht. Hier sagte Julia, dass alles gut sei und andere Beiläufigkeiten. Als Viktoria sagte, sie wolle nach Großbritannien kommen und sie besuchen, sagte Julia, dass sie kein Visum erhalten werde. Viktoria, der ein Visum später tatsächlich verweigert wurde, sagte, Julia habe nicht mit ihren eigenen Worten gesprochen.
Auffällig war, dass kurz nach der Sendung des Telefongesprächs die Polizei von London eine Mitteilung veröffentlichte, in der angeblich Äußerungen von Julia zitiert wurden. Sie soll gesagt haben, es gehe ihr von Tag zu Tag besser, und bat darum, ihre Privatsphäre zu wahren. Es ging also wohl auch darum, dass Julia aus eigenem Antrieb oder aufgrund der britischen Behörden weder Besuche erhalten noch Interviews geben und schon gar nicht in Kontakt mit der russischen Botschaft treten sollte, die seit Bekanntwerden, dass Julia wieder bei Bewusstsein ist, konsularischen Zugang zu der russischen Staatsbürgerin forderte. Nach einem Bericht der Times, sollen britische und amerikanische Geheimdienste überlegen, die beiden Skripals durch Ausstattung mit einer neuen Identität und Unterbringung in einem anderen Land "verschwinden" zu lassen.
Am 10. April wurde schließlich Julia Skripal überraschend aus dem Krankenhaus entlassen und an einen "sicheren Ort" verbracht, nach manchen Informationen soll es sich um einen militärischen Stützpunkt handeln. Das Krankenhaus erklärte, dass ihr Vater sich langsamer erhole, sich aber in keinem kritischen Zustand mehr befinde. Auch die Behandlung von Julia sei noch nicht zu Ende, aber die Entlassung sei ein bedeutsamer Fortschritt.
Die Polizei veröffentlicht eine Erklärung im Namen von Skripal
Am Tag darauf gab es wieder eine Mitteilung der Metropolitan Police "im Namen von Julia Skripal". Wieder wird also gesagt, man gebe nur die Äußerungen wieder, die Julia machte. Diese werden erneut als Zitate dargestellt, also als angeblich authentische wörtliche Wiedergabe dessen, was die 33-Jährige gesagt haben soll. Danach soll ihr Vater weiterhin "sehr krank" sein, sie würde auch noch an den Folgen des Nervengifts leiden. Sie finde sich in einem völlig anderen Leben vor als dem gewöhnlichen, das sie vor dem Anschlag geführt haben.
Sie werde von "extra ausgebildeten Offizieren" betreut, die sie auch über das Verfahren informieren würden. Sie fühle sich jetzt sicher, sei aber noch nicht in der Lage, ein Interview zu geben. Einen Kontakt zur russischen Botschaft lehnte sie ab, betonte aber, sie habe Kontakt zu ihrer Familie und ihren Freunden. Sie dankte Viktoria, aber bat sie, vorerst sie weder zu besuchen noch zu versuchen, mit ihr in Kontakt zu treten, sie habe überdies Meinungen, die weder sie noch ihr Vater vertreten.
Sie hoffe, eines Tages ein Interview geben zu können, betonte aber, dass bis dahin "niemand für mich oder für meinen Vater sprechen soll als wir selbst". Die Formulierungen wirken allerdings wie behördliche Verlautbarungen und klingen nicht so, wie eine junge Frau sich ausdrücken würde, wenn sie einfach sprechen könnte. Die Vermutung liegt nahe, dass die britischen Behörden vorerst vermeiden wollen, dass sie an die Öffentlichkeit tritt und ihre Version berichtet, warum auch immer.
Transparenz wird nur scheinbar mit solchen Mitteilungen erzeugt. Das ist wohl auch nicht der Zweck der Sache, wenn man beobachtet wie Außenminister Boris Johnson den OPCW-Bericht, zumindest den öffentlichen Teil, im eigenen Sinne nur als Bestätigung gebraucht, dass es sich um russisches Nowitschok handele und auch Russland dafür verantwortlich sei, obgleich in diesem nur die Identität der Proben bestätigt, aber nur von einem "angeblichen Nervengift" und von Nowitschok gar nicht gesprochen wird (OPCW bestätigt Anschlag mit einer "toxischen Chemikalie"). Seltsam an der Mitteilung der Polizei ist, dass hier "im Namen von Julia Skripal" deren angeblich authentische Äußerungen veröffentlicht werden, in denen sie wiederum erklärt, es solle niemand für sie sprechen.
Das scheint ein Widerspruch zu sein, denn zumindest von außen lässt sich nicht erkennen, ob sie spricht oder ob etwas für sie gesprochen wird, während der Text nur behauptet, es sei so. Würde sie authentisch sprechen wollen, hätte sie der Polizei auch eine gefilmte Aufnahme ihrer Worte zur Veröffentlichung geben können. Dann ließe sich das zwar noch immer manipulieren, aber vermutlich ließe sich immerhin sie und ihre Stimme identifizieren.
Russische Botschaft: "Zwangsisolation eines russischer Bürgers"
Die russische Botschaft macht sich deshalb zurecht über diese Widersprüche lustig. Und sie weist auf die in der Tat seltsame Versicherung hin, dass sie "Zugang zu Freunden und ihrer Familie" habe. Tatsächlich wäre dann zu vermuten, dass es irgendwo auch eine undichte Stelle geben könnte, die etwas ausplaudert. Nach der russischen Botschaft hätten die Skripals keine engeren Verwandten als Viktoria und Julias Großmutter und Sergeis Mutter Elena, die auch noch zusammenleben sollen: "Eine Frage entsteht", so die Botschaft: "Mit welcher Familie steht Julia in Kontakt?"
Die russische Botschaft unterstellte am Mittwoch, dass die Mitteilung den Verdacht bestärke, dass es sich um eine "Zwangsisolation eines russischer Bürgers" handelt. Die britischen Behörden werden aufgefordert einen Beweis zu liefern, dass es Julia gut geht und sie nicht ihrer Freiheit beraubt ist. Aus der russischen Seite glaubt man offenbar, hier einen guten Ansatz gefunden zu haben, um die Glaubwürdigkeit der britischen Behörden auszuhebeln.
Gestern griff die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, das Thema nach Vorbereitung durch die Londoner Botschaft auf: "Bisher hatten die Skripals keinen Kontakt zur Außenwelt. Völkerrechtswidrig wurde uns der konsularische Zugang nicht gewährt." Die Authentizität der Mitteilung wird mit identischen Worten in Zweifel gezogen, um dann auch zu schließen: "Wir haben alle Gründe zur Annahme, dass es hier entweder um einen absichtlichen Zwangsaufenthalt russischer Bürger oder um ihre mögliche erzwungene Beteiligung an einer Inszenierung geht. Die Fragen vermehren sich, die Antworten fehlen."