Was kommt nach der Krisenerzählung?

David C. Korten über die Notwendigkeit einer neuen Erzählung, um sich vom "heiligen Geld" und der Macht der Konzerne zu lösen

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Ein Blick in die Nachrichten zeigt: Hört die eine Krise auf, übernimmt die nächste. Die Erklärungskraft der Weltwirtschaft definiert nicht wenige dieser Krisen - durch eine funktionierende Wirtschaft können Revolutionen verhindert werden, so der geläufige Sermon der Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik. Eine prosperierende Ökonomie schaffe Sicherheit, Stabilität und Wohlstand.

David C. Korten arbeitete mehr als 30 Jahre in führenden Wirtschafts-, Wissenschafts- und Entwicklungsinstituten, bevor er sich vom Establishment abwendete. Er machte seinen Doktor der Wirtschaft an der Stanford University Graduate School of Business. Heute ist er Mitbegründer des YES! Magazins und Vorsitzender der New Economy Working Group.

Im Phänomen-Verlag erschien Ende 2015 sein neues Buch Change the Story, Change the Future. Weltsichten und ökonomischer Wandel. Korten plädiert für einen Narrationswechsel: Statt einer Story des heiligen Geldes und Marktes wäre es an der Zeit, von der lebendigen Erde zu sprechen. Im Telepolis-Interview geht er auf die Eckpunkte dieses Story-Turns ein. Was kommt nach der Narration der Krise?

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, dass eine große Story die aktuelle weltpolitische Lage prägt.
David C. Korten: Diese Geschichte besitzt selbstverständlich verschiedene Ebenen. Die kolportierte Story ist die Geschichte vom heiligen Geld, die stark von wirtschaftlichen Interessen gestützt wird. Darunter liegt die Frage, wie wir uns als Menschen von solch einer Geschichte kaufen lassen können, obwohl sie doch unseren Interessen widerspricht? Es fehlt eine grundsätzliche "Schöpfungsgeschichte", eine Art Gründungsmythos, der sich mit unserem wirklichen Wesen verträgt.
Es fühlt sich etwas seltsam an, das alles in einer kurzen Antwort zusammen zu fassen, aber so könnte man den Rahmen meines neuen Buches umreißen. Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, dass wir erneut zu einem tieferen Verständnis gelangen, was indigene Menschen von Anbeginn der Zeit wussten und was auch von der modernen Wissenschaft bestätigt wird - natürlich nicht von der offiziellen Geschichtsschreibung der Wissenschaften (lacht).
Die neue Geschichte lässt sich so zusammenfassen: Wir sind alle Menschen, die auf einem lebenden Planeten geboren wurden und der uns am Leben hält. Dieser Planet wiederum ist in einem lebenden Universum entstanden. Das ist die einfache Version der neuen Story.
Unsere derzeitige Wirtschaft arbeitet vor allem mit der Annahme, dass wir konsumgetriebene, geldgierige Roboter sind, die auf einem toten Felsen leben. Dieser Weg führt uns in den Konsum als eine willkommene Ablenkung von unserer Bedeutungslosigkeit und Einsamkeit, dass wir uns einbilden können, wir wären bewusste Lebewesen.
Wenn wir mit dieser tieferen Erzählung beginnen, würden wir das gesamte Abenteuer der Schöpfung als einen Prozess des Lernens, der Individuation und der Kreativität hin zu einer größeren Komplexität, Bewusstheit, Schönheit und Möglichkeiten wahr- und ernstnehmen. Dann realisieren wir, dass wir Teil eines viel Größeren sind. Wir können eine Bedeutung finden, uns wieder mit anderen Menschen verbinden und vor allem auch ein neues Verhältnis zu den Kräften der Erde eingehen, wovon unsere Existenz letztlich abhängig ist.
Das neue Buch unterscheidet sich ein wenig von dem Bestseller von Ihnen, "When Corporations Rule the World", der 1995 erschien. Im letzteren führen Sie viele Statistiken und konkrete Beispiele an, wohingegen Sie in "Change the Story, Change the Future" eher ein literarisches Fazit ziehen.
David C. Korten: Ja, das stimmt. Wir haben letztes Jahr auch eine zwanzigjährige Jubiläumsedition von "When Corporations Rule the World" herausgebracht. 2015 veröffentlichte ich in der Tat zwei Bücher: das erste (das "Change the Story"-Buch) ist das kürzeste und zugänglichste Buch von mir und die neue Ausgabe von "When Corporations Rule the World" ist das längste und am ausführlichsten belegte Buch.
Ich glaube, der Schlüssel für eine Befreiung von der Herrschaft der Konzerne ist eine authentische Erzählung. Je tiefer man sich mit unserer Realität beschäftigt, mit der Hilfe unserer fortgeschrittenen Wissenschaften, desto klarer wird die authentische Erzählung. Die tiefsten Erklärungen für die Gründe, warum wir hier sind, woher wir kommen und wie unser ganzes Leben funktioniert, befinden sich jenseits unseres menschlichen Verständnisses, sogar die Avantgarde der Wissenschaften versteht das nicht völlig. Was ich in meinem neuen Buch darzulegen versuchte, war, diese Erzählung in einem eher zugänglichen Rahmen zu präsentieren. Was mir die größte Hoffnung für die menschliche Zukunft schenkt, ist die Tatsache, dass diese Geschichte im menschlichen Herzen wohnt. Wir werden mit ihr geboren.
Welche Evidenz besitzt diese Geschichte?
David C. Korten: Menschen, denen ich diese Geschichte erzähle, erkennen sie sofort, auch wenn sie zuvor noch nie von ihr gehört hatten. Auf einer gewissen tiefen Ebene stimmen sie aber dem Inhalt der Geschichte zu. Sie erfährt aber nicht unbedingt die größte Verbreitung, weil eine Bestätigung von der herrschenden Kultur ausbleibt, sogar unsere religiösen und wissenschaftlichen Institutionen enthalten sich. Ich möchte diese Geschichte mit den Menschen teilen, so dass sie sie in ihren Herzen wieder erkennen können, dass sie für ihr eigenes Verständnis Mut finden. Von dieser Geschichte ausgehend können wir beginnen, unsere Gemeinschaften neu aufzubauen.

Das existierende System hat nur so viel Energie, wie wir ihm leihen

Die Weltwirtschaft bzw. ihre Exponenten setzen aber auf eine rationale Sicht der Dinge. Sie scheinen immun gegenüber einem solch narrativen Storytelling zu sein. Sie selbst haben jedoch ausreichend Erfahrungen in der Wirtschaft und in der Entwicklungsarbeit machen können. Wie erreichen Sie diese Menschen aus den rationelleren Feldern, wenn überhaupt?
David C. Korten: Das ist eine sehr gute und berechtigte Frage. Ich schreibe nicht für oder an die Menschen in Machtpositionen des Systems. Ich schreibe vielmehr für die Menschen, die vom System ausgeschlossen werden oder die nun, nachdem sie durchaus vom System begünstigt wurden, merken, dass das System absolut nicht funktioniert, dass es die lebenden Systeme der Erde zerstört, die in einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf einen Zustand der zunehmenden Ungleichheit zusteuert, was letztlich nur verschwenderischen Reichtum, Milliarden von Dollar für die Leute an der Spitze bedeutet und das die meisten Menschen ausschließt und in ein Leben der Verzweiflung stürzt.
Doch selbst die Menschen in Machtpositionen sind bis zu einem gewissen Grad Gefangene dieses Systems. Es fasziniert mich hierbei, dass wir alle miteinander verbunden sind und wir erzogen werden, uns mit der Kultur zu arrangieren, in der wir leben. Jene Menschen leben in einer ziemlich anderen Kultur, die das heilige Geld und den heiligen Markt in den Fokus rückt, was sie in ihrem Glauben bestätigt, sie seien diejenigen, die Wohlstand schaffen. Geld bedeutet Wohlstand, Geldverdienen schafft Wohlstand und die Superreichen verdienen unser besonderes Lob und höchste Anerkennung. Dies ist aber falsch. Meine Hoffnung setzt darauf, dass immer mehr Menschen diese Erkenntnis selbst machen. Sie sind bereit für eine neue Geschichte.
Das existierende System hat nur so viel Energie, wie wir ihm leihen. Wenn wir unsere Lebensenergie zurückhalten, und sie stattdessen in den Wiederaufbau unserer Gemeinschaften investieren, in den Aufbau unserer eigenen Wirtschaftssysteme, können wir die Energie über unsere Lebenszusammenhänge wieder zurück erlangen. Mit jedem Schritt, den wir in diese Richtung machen, ziehen wir unsere Lebensenergie aus einem Mangelsystem zurück und übertragen diese zur Schaffung eines neuen Systems, das auf einer authentischen Beziehung zu unseren Mitmenschen und zur lebenden Erde gegründet ist, der Gemeinschaft des Lebens, die die Konditionen schafft und aufrecht erhält, die für die Existenz unseres Lebens essenziell sind.
Wie wird diese Nachricht von der neuen Story verbreitet?
David C. Korten: Mit den Kommunikationstechnologien haben wir einen großen Vorsprung. So wie dieses Interview hier gerade auf einer kostenlosen Basis stattfindet [auf skype - Dominik Irtenkauf], wie wir an entfernten Punkten der Erde miteinander kommunizieren können, das ist der Weg, wie man sich am allgemein akzeptierten System vorbei organisieren kann.
Mein eigenes Alter und die Erfahrungen durch meine Arbeit erlaubten mir, diese Revolutionen in der Kommunikation hautnah mitzuerleben, was mir die damit einhergehenden Veränderungen ziemlich deutlich vor Augen führte. Das steht in Kontrast zu den jüngeren Generationen, die mit dieser kommunikativen Revolution geboren werden, sie also für selbstverständlich nehmen. Das ist nicht weiter schlimm. Sie sind diejenigen, die das frei nutzen (können). Zur selben Zeit müssen sie sich über die Lage gewiss werden, in der wir uns momentan befinden, so dass sie diese neuen Mittel am effektivsten einsetzen können.
Die neuen Werkzeuge kann man je verschieden einsetzen.
David C. Korten: David C. Korten: Ja, und so wie sie gerade benutzt werden, erleichterte es dem Finanzmarkt schließlich, die völlige Integration in diese neuen Medien umzusetzen und der Handel der Finanzmärkte dieser Welt erfolgt großteils über Computer. Sie schaffen ein System, das sehr großen Einfluss auf unser Leben nimmt. Dieses führt zur Herrschaft eines Systems, das die Vormachtstellung der Konzerne fördert, das unseren Zugang zu den Lebensmitteln kontrolliert, zu unserem Essen, zum Wasser, zur Gesundheitsversorgung, zur Bildung, zu beinahe jedem Aspekt unseres Lebens.
Die Herausforderung ist es zu bemerken, was um uns herum passiert und die Kontrolle über das, was sich dabei offenbart, wieder zurück zu gewinnen. Wenn ich kein Geld habe, kann ich nicht überleben. Mir fehlen die Mittel, ein angenehmes Leben führen zu können. Der Wohlstand wird vom Geld abhängig verstanden. Aber in der Realität ist das Geld nichts mehr als eine Nummer auf einer PC-Festplatte. Es besitzt keine Existenz, es trägt keine Bedeutung außerhalb der menschlichen Vorstellung. Wir können es nicht essen, es wird uns nicht Wärme spenden und am Leben halten. Wie ich bereits ausführte, ist es nicht viel mehr als eine Nummer, die durch eine Manipulation im Geldsystem gewonnen wurde, das eigentlich dem Leben dienen sollte, aber stattdessen die Reichsten unter uns noch mehr finanzielle Macht verschafft. Die Menschen merken das inzwischen ziemlich deutlich.

Häufig geht ökonomisches Wachstum nicht mit der Verbesserung von Lebensverhältnissen einher

Die Geschichte des heiligen Geldes ist stets mit einer politischen Agenda verbunden. In Ihren Werken weisen Sie wiederholt darauf hin, dass in dieser Rahmengeschichte der wirtschaftliche Wohlstand als Allproblemlöser angesehen wird. Ein genauer Blick enthüllt, dass das Geld eher gleichmacherische denn emanzipatorische Tendenzen unterstützt. (Im Original weise ich auf die doppeldeutige Bedeutung von "equalize" hin: "equal" kann gleichberechtigt bedeuten; "equalize" besitzt jedoch einen durchaus gleichmacherischen und nivellierenden Unterton.)
David C. Korten: Da kommt meine Lebenserfahrung ins Spiel, da ich den Großteil meines Lebens in der internationalen Entwicklungsarbeit gearbeitet habe. Ich lebte und arbeitete in Afrika, Zentralamerika und in Asien. Was ich über die Zeit sah, war, dass die generelle Überzeugung, dass Wirtschaftswachstum allen Menschen gleichermaßen zugute käme, nicht stimmte. Einige Menschen wurden davon satt und unglaublich wohlhabend. Sie konnten mehr Villen bauen, mehr Privatjets kaufen, trennten sich dafür jedoch komplett von ihrem eigenen Land ab und wurden Mitglieder der globalen Elite.
Mir fiel in Pakistan auf, als ich mit einigen der einflussreichsten Menschen dort zum Essen verabredet war, dass sie beinahe jeden Kontakt zu ihrem eigenen Land verloren hatten. Sie wissen eigentlich nichts über das Leben in den ländlichen Regionen Pakistans, aber sind immer auf dem neuesten Stand, was in London, Berlin und den restlichen Großstädten des Globus passiert. In der Zwischenzeit werden ihre eigenen Mitbürger unterdrückt und in die Verzweiflung getrieben, marginalisiert und natürlich führt dies immer wieder zu sozialer Unruhe. An dieser Stelle glauben wir unseren eigenen Geschichten. Zur selben Zeit machen jedoch gewisse Leute Geld auf Kosten der arbeitenden Menschen, auf Kosten unserer Lebensgrundlage, so dass der wahre Reichtum unserer Welt abnimmt.
Kommen wir nochmals auf die genannten Technologien zu sprechen. Welche Rolle können diese in dieser Entwicklung spielen?
David C. Korten: Zumindest werden uns die Technologien, so wie sie momentan eingesetzt werden, nicht vor dem ökologischen oder sozialen Kollaps retten. Sowohl unsere Sozial- wie auch natürlichen Systeme sind auf Lebenserhaltung ausgelegt. Sie müssen ihre natürliche Dynamik bewahren. Je mehr wir sie zu unterdrücken versuchen mit unseren Technologien, desto weniger effizient und störungsanfälliger werden sie.
Wie ich schon ausführte, lernte ich während meiner Projekte in der Entwicklungsarbeit, dass häufig ökonomisches Wachstum eben nicht mit der Verbesserung von Lebensverhältnissen der Menschen einhergeht, sondern eher mit dem Prozess, ihren Zugang zu Nahrung zu Geld zu machen. Denkt man zum Beispiel in diesem Kontext an eine traditionelle Gemeinschaft, die ihr eigenes Land bewirtschaften, ihre Nahrung anbauen, ihr Wasser direkt von den Flüssen und Quellen besorgen, natürlichen Dünger nutzen, so wird deutlich, dass einige der sehr isolierten Gemeinschaften nicht auf Geld angewiesen sind.
Die Idee hinter einer "Entwicklungsarbeit" besteht nun darin, ihre Beziehungen untereinander zu Geld zu machen, sie werden von ihrem Land entfremdet, so dass es der einzige Weg für sie ist, Geld zu verdienen, für eben diese Konzerne zu arbeiten. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich entweder in Lohn- oder Schuldensklaverei zu begeben. Ich kann nicht mehr mein eigenes Essen anbauen, sondern muss es im Supermarkt kaufen. Ich muss mir von einem dieser Konzerne das Geld holen, indem ich für sie arbeite. Die Ökonomen denken nun: Herrlich! Das Einkommen steigt, die Leute werden reicher, wir beenden die Armut, die durch Menschen, die kein Geld haben, definiert wird. Letzten Endes steigt aber die Kontrolle der Konzerne.
Sie kaufen also nur das Essen zurück, das sie zuvor selbst angebaut haben?
David C. Korten: Genau. Wenn wir das intelligenter regelten, dass die Leute die Kontrolle über ihr Land behielten, wäre das weitaus weniger problematisch. Natürlich haben wir Technologien entwickelt, die zum Beispiel unsere Abhängigkeit von den Launen der Natur reduzieren können. Wenn wir vorwärts schreiten wollen, sollten wir unterstützende Technologien frei austauschen, dann wäre es für jeden möglich, ein besseres Leben auf dieser Erde zu führen, ohne unseren Planeten übermäßig schädigen zu müssen. Aber dies kann nur in Gemeinschaft funktionieren: Innerhalb von starken Familien und sich sorgenden Beziehungen.
Besonders in den Vereinigten Staaten findet man viel Individualismus und die Vorstellung des Cowboys, der täglich den unendlichen Weiten gegenüber tritt, völlig auf sich allein gestellt. Das mag wohl stimmen, ein Cowboy an der Frontier wird von Tag zu Tag leben, aber letztlich kann er als Einzelgänger keine Nachkommen haben und keine Gemeinschaft gründen.
Aus diesem Grund sind wir Menschen darauf ausgerichtet, in Gemeinschaft zu leben. Wir fühlen uns bestätigt, wenn wir teilen, kommunizieren und etwas zum guten Zusammenleben beitragen können. Wir müssen also diese Verbindungen wieder herstellen. Das ist sehr schwer zum Begreifen. Auch das Verhalten zu ändern, fällt nicht leicht in einem System, das darauf ausgelegt ist, dass ich als Individuum nicht anders überleben kann, als mich in dieses bestehende System einzureihen und meine ganze Aufmerksamkeit dem heiligen Geld und den heiligen Märkten zuzuwenden, statt dem heiligen Leben und der heiligen Erde.

Länder wie die Vereinigten Staaten befinden sich auf einer solchen Einbahnstraße

Einige Schwellenländer werden ihren Anteil an den Ressourcen der Welt fordern. Wie können Länder in Europa und Nordamerika dem Rest der Welt Begrenzungen abfordern, wenn sie selbst lange genug (und stellenweise immer noch) große Mengen an Energie und Ressourcen verbrauchen?
David C. Korten: Es ist wichtig, dass alle Länder bemerken, dass dies eine Sackgasse ist, die ins Vergessen und Vernichtung führt. Länder wie die Vereinigten Staaten befinden sich auf einer solchen Einbahnstraße, auch wenn wir dies als Nation noch nicht anerkennen wollen: Unser Verbrauch ist unhaltbar. Wenn wir uns die Zahlen anschauen, sehen wir, dass wir unsere Erde um das 1,6-fache überlasten.
Die USA konnten diesen exorbitanten Konsum aufrechterhalten, indem sie die Ressourcen vom Rest der Welt kolonisierten. Der Rest der Welt muss lernen, diesen Strom an Ressourcen einzuschränken. Jedes Land sollte die Kontrolle über seine eigenen Bodenschätze gewinnen, um seinen eigenen Bedarf decken zu können. Wir haben unsere Wirtschaft aufgeplustert, so dass wir sie weltweit verteilen können. Wir zerstören derzeit unsere Mittelklasse. Wir bieten leider keine Alternativen zu diesem hohen Konsumlevel an, aber wir lagern unsere Arbeit in Länder aus, die billigeren Lohn ermöglichen. Der Profit der Konzerne wird dadurch sicher steigen.
Bei diesem Spiel wird getrickst und manipuliert, nicht unbedingt zum Vorteil der Amerikaner oder einer anderen Nationalität. Die Reichsten unter uns profitieren letztlich davon. Die Art von Befriedigung, die wir durch extremes Konsumverhalten verspüren, ist letztlich temporär. Es verschafft uns keine wirkliche Befriedigung, wenn wir davon abhängig werden. Wir werden süchtig nach Shoppen oder nach dem neuesten Gerät. Wenn ich mir das neueste Smartphone kaufe, fühle ich mich glücklich. Es beantwortet aber nicht die wahre Natur unserer Befriedigung.
Wir kommen erneut zu den eigentlichen Fragen zurück: Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir hier? Sind wir wirklich nur die zufälligen Ergebnisse eines Evolutionsprozesses, der auf nichts Anderem beruht als individualistischer Gewalt oder sind wir das Produkt eines fortschreitenden Prozesses einer Schöpfung, die ihre eigenen Möglichkeiten entdeckt?
Wenn man mit dem Erzählen von Stories anfängt, gibt es stets verschiedene Bedeutungsebenen. Menschen können erkennen, wenn das herrschende System eine partikuläre Version der Story erzählt. Es sind ja dann doch verschiedene Zugänge möglich. Ein möglicher wäre das YES!-Magazin, das sie zusammen mit einem Team herausgeben.
David C. Korten: Nun, jeder von uns hat seine eigene Geschichte, Sinn in der großen Story zu finden. Aber um das rekonstruieren zu können, müssen wir uns auch der Geschichten bewusst sein, die wir hören und herauszufiltern, welche Story da eigentlich dahinter steht. Wie passt das zu meiner eigenen Erfahrung?
Für mich gibt es zwei sichere Tests für die Qualität einer Geschichte: 1. Hört sich diese Geschichte für mich authentisch an und stimmt sie mit meinen Daten und Erfahrungen überein? Aber es gibt noch einen weiteren Test: 2. Ist sie funktionell, unterstützt sie mich, wenn ich mich an die Prämissen dieser Story halte? Wird mich diese Geschichte in eine positive, erfüllende Richtung oder eher in ein selbstzerstörerisches Verhalten führen? Natürlich führt uns die große Geschichte, der wir als Spezies momentan folgen, in eine kollektive Selbstzerstörung. Solch ein Verhalten setzt letztlich die menschliche Zukunft aufs Spiel.
Ein anderes Problem mögen Medien sein, die sich mehr für Katastrophenmeldungen interessieren. Medieninteresse wird zuweilen auch vom Geld diktiert. Solche Schlagzeilen lassen sich besser verkaufen.
David C. Korten: Ja, die herrschenden Medien werden von einer kleinen Gruppe von Konzernen kontrolliert und manipuliert. Ich kann die aktuelle Situation in Deutschland nicht einschätzen, aber hier in den USA verlieren die Medien kontinuierlich an Niveau. Es gibt in der Tat nur wenig kritische Berichterstattung, es ist mittlerweile mehr Entertainment als Information.
Die Meldungen halten sich stark an die Richtlinien der Geldgeber. Selbst die Börsenberichte der öffentlichen Radiostationen sind abgründig schlecht, denn die gesamten Nachrichten werden um die Story des heiligen Geldes und Marktes gruppiert. Die meisten Nachrichten drehen sich um die Frage: Wie geht es der Börse? Nun, die Börse ist ein Spiegel dessen, wie gut es den Spekulanten geht und wie schnell reiche Menschen noch reicher werden. Es findet kaum eine kritische Analyse dessen statt, was wirklich passiert. Auf diese Weise versorgen uns die Medienkonzerne, die wir als Mainstream-Medien wahrnehmen, mit zunehmend falschen Informationen.
Das ist der Grund, warum die unabhängige Presse so wichtig bleibt. Die wahren Hintergründe müssen ans Licht kommen und natürlich ist das Internet eines der besten Medien hierfür.
In Deutschland gab es vor einiger Zeit einen Presseskandal um leitende Redakteure großer Zeitungen, die in Lobbygruppen für das transatlantische Bündnis und für ein verstärktes militärisches Engagement der Bundeswehr in internationalen Einsätzen verkehren. In ihren Artikeln zeigte sich diese Meinung ebenfalls. Da stellte sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Presse.
David C. Korten: Das ist interessant. Ich bin jetzt 78 und unternehme nicht mehr so viele internationale Reisen. In der Vergangenheit war ich ständig mit dem Flugzeug unterwegs und habe die verschiedensten Orte gesehen. Nachdem "When Corporations Rule the World" veröffentlicht wurde, fiel mir bei meinen Reisen nach Europa auf, dass mir viele Europäer entgegneten: Nun, das sind die Vereinigten Staaten, wir sind hier in Europa und hier ist es anders. Mir leuchtete ein, dass dies damals wohl zutraf. Aber ich sagte den Europäern auch: Passt auf! Wir holen euch auch noch! Wir sind nur die Vorhut, aber es vollzieht sich bereits ein Prozess der Infiltration.
In den letzten 20 Jahren hat sich das in diese Richtung fortentwickelt, und der Unterschied ist inzwischen verschwunden. Ich denke, es gibt immer noch einen stärkeren europäischen Sinn für Gemeinschaft und internationale Identität. Ihr habt nach wie vor mehr soziale Programme und soziale Wohlfahrtsnetze und übt noch größere Kontrolle über Kartelle aus. Aber eben diese Konzerne globalisieren sich nun und was Sie gerade beschrieben haben, zeigt, dass die globalen Unternehmer nun auch Kontrolle in Europa erlangen, wie es momentan überall auf der Welt geschieht, um diese einheitliche Geschichte des heiligen Geldes und der heiligen Märkte zu generieren. Alles, was der Markt von uns verlangt, was uns neues Geld verdienen lässt, dies ist nach Meinung dieser Leute die richtige Entscheidung.
Ihr Buch wurde vom Club of Rome als ein offizielles Dokument seiner Agenda akzeptiert. Es gibt Stimmen, die dieser Plattform auch ein starkes machtpolitisch-ökonomisches Interesse nahe legen. Wie stehen Sie dazu?
David C. Korten: Der Club of Rome ist eine ziemlich angesehene und in gewisser Weise auch elitäre Organisation, aber seit seiner Gründung war er auch an vorderster Front dabei, als es darum ging, die ökologischen Grenzen unserer Welt aufzuzeigen, ab welchem Grad unser Konsum die Kraft unseres Planeten übersteigt.
In einigen Quellen wird der Klub als eine geheimniskrämerische Gesellschaft von Mächtigen bezeichnet - das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Mitglieder erscheinen vielmehr als angesehene Denker und Lenker in der Öffentlichkeit, aber es gibt nichts Geheimes in Bezug auf die Ansichten oder die Aktivitäten des Club of Rome. Diese sind allesamt sehr wohl öffentlich einzusehen. Man kann sich leicht auf ihrer Webseite selbst davon überzeugen: Welche Ideen haben sie, welche Meinungsführer sind Mitglieder.
Im Moment versuchen sie vor allem, einen neuen Esprit zu finden. Seinen Ruf verdankt der Klub vor allem seiner frühen Studie zu den Grenzen des Wachstums. Das war in den 1970ern. Wir versuchten nun, die Grundlinien der Agenda neu zu umreißen. Dabei spielen mehrere Themen, die in diesem Gespräch anklangen, eine wichtige Rolle. Der Club of Rome akzeptierte "Change the Story, Change the Future" als einen offiziellen Bericht für den Club of Rome, der ein Gesprächsforum für Menschen ist, die eine große Neigung verspüren - zumindest die meisten von uns, das System in seinem Status-Quo in Frage zu stellen. Aber natürlich sind nicht alle Mitglieder einer Meinung: einige von ihnen sind überzeugte Anhänger der Zentrierung ökonomischer Macht bei den Unternehmen, viele von uns sind aber auch sehr kritisch gegenüber diesem System, so dass der Klub eine ziemlich vielgestaltige Gruppe ist.

Disclaimer: David C. Korten ist selbst Mitglied des Club of Rome und die Ko-Präsidenten des Club of Rome: Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman schrieben das Vorwort zu seinem aktuellen Buch.

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