Was lange wirbt, wird endlich gut?
Seite 2: "wir hängen mittendrin in dem Schlamassel und schaffen kräftig mit"
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Werbung ist das Sprachrohr des Kapitalismus. Sie parfümiert das Aas. Sie preist Schrott als Gold. Und in einer Welt, in der jeder am meisten glänzen will, versucht die Werbung stets, nur die schönsten Seiten des Kapitalismus zur Schau zu tragen. Jetzt aber wirbt die Werbung mit ihrer hässlichen Seite. In der Hauptstadt hängen Fernet-Branca-Plakate mit der Aufschrift: "Du feierst dich als Teil der Berliner Kreativszene. Sie dich als billige Arbeitskraft."
Die Irgendwas-mit-Medien-Freelancer sehen diese Werbung an den U-Bahnhöfen, wenn sie nach ihrer 60-Stunden-Woche mit 2.000-Euro-Monatsgehalt nach Hause fahren und fühlen sich ertappt. Und auch die meisten Werber bewegen sich in einem Zustand permanenter Selbstironie. Sie buhlen mit psychologischen Tricks um Aufmerksamkeit und trösten sich mit üppigen Gehältern darüber hinweg, dass sie Bullshitjobs haben, die keinerlei gesellschaftlichen Nutzen bringen. Wenn morgen alle PR- und Werbefuzzis streiken, würde das niemanden jucken. Würden aber Handwerkerinnen oder Bahnfahrer die Arbeit niederlegen, bräche sofort Chaos aus.
Angesichts der provozierenden Fernet-Branca-Kampagne und der Beschwerde von Raphael Brinkert sagt der einflussreiche Werber Hartwig Keuntje in ungewohnt ehrlichen Worten: "Wir sind nun einmal keine Feuerwehrleute oder Krankenschwestern. Wir helfen Unternehmen, Produkte zu verkaufen, Punkt. Wir sind keinen Deut besser oder schlechter als jeder, der im kapitalistischen Warenwirtschaftssystem irgendetwas an den Mann oder die Frau bringen will. Sind wir besser als die Food-Produkte, die alles Mögliche enthalten, nur keinen Beitrag zu einer gesunden Ernährung? Besser als die Elektronik-Gadgets und Plastikklamotten, die irgendwo in der Dritten Welt zu Hungerlöhnen zusammengeschraubt werden und hier nach zwei Jahren auf dem Müll landen? Nein, Freunde, wir hängen mittendrin in dem Schlamassel und schaffen kräftig mit."
Die Fernet-Branca-Kampagne zeigt, dass die Werbung in der Krise steckt - nicht finanziell, aber methodisch: Deutsche Unternehmen gaben 2016 rund 26 Milliarden Euro für Werbung aus. Weltweit pumpen Firmen jedes Jahr über 450 Milliarden Euro in die Werbung, bis 2021 sollen es fast 622 Milliarden Euro sein.