Was sein muss, muss sein
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Heidegger und die faschistische Konsequenz der Philosophie
Der NS-Philosoph Martin Heidegger ist und bleibt eine anerkannte deutsche Geistesgröße – auch wenn dank diverser Enthüllungen seine Person heute etwas kritischer gesehen wird. Mit seiner Philosophie, die im akademischen Betrieb ihren Ehrenplatz hat, wird nach wie vor ganz selbstverständlich zur Pflege des kulturellen Erbes oder zur Erschließung neuer Perspektiven hantiert, ohne dass der persönliche Beitrag des Mannes zum NS-Regime groß stören würde.
Da gibt es heutzutage Philosophieren "Mit Marx für Heidegger" bzw. "Mit Heidegger für Marx" oder eine feministische Heidegger-Lektüre. Ökologisch kann man den Mann auch sehen, daher muss an "Heideggers Umweltethos" angeknüpft werden. Ja es wird sogar ganz realpolitisch auf der Suche nach einer "schwarz-grünen Erzählung", die offenbar dringend gebraucht wird, von Experten eine Affinität der Grünen zu Heideggers Existenzphilosophie ins Spiel gebracht.
Dazu stellte Robert Habeck nach der Bundestagswahl 2013 interessiert und offen für Anregungen fest: "Technikskepsis und Sorge um die Erde verbänden die Grünen mit dem Denken Heideggers. Radikaler noch als Rousseau denkt Heidegger den Menschen als Teil einer Seinstotalität, die dem individuellen Dasein immer schon vorausgeht." (Die Zeit, 28.11.2013)
Dass man über Rousseau hinausgehen muss, meint auch der Grünen-Chef; man könne nicht ewig in einer zivilisations- oder industriekritischen Ecke hocken bleiben. Den Ahnherrn Heidegger findet Habeck nicht unbedingt toll, aber verwerfen will er diese Traditionslinie auch nicht, sie sei "nur ein Strang der grünen Ideengeschichte". Ein bisschen schmücken kann man sich damit also schon, schließlich hatte man auch mal Ökofaschisten in den eigenen Reihen, und rechte Wähler wieder heimholen ist doch eine ehrenwerte Aufgabe?
Und natürlich kann man mit Heidegger – wer hätte bei einem Philosophen anderes erwartet – auch die aktuelle Lage in der Covid 19-Pandemie erklären. Der Rückgriff auf den Seinsphilosophen ermögliche es, schreibt etwa ein Autor auf dem Soziologieblog, "die aktuelle Krisis in ihrem Verlauf und ihren Folgen zu beschreiben"; auf diese Weise sollen vor allem "die Prozesse der Entnormalisierung und Renormalisierung im Verhältnis zu uns selbst und unserer Beziehung zu den Dingen" sichtbar werden – mit dem Fazit: "Die Krisis der gewohnten Welt kann nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance gesehen werden".
Dieser Allerweltsspruch von der Krise als Chance wird nur noch getoppt durch die Einsicht, die hier ermöglicht werden soll. Dank ihr bricht angeblich "die 'Natürlichkeit' des Sozialen und der Dinge auf und lässt uns ihre Sozialität und deren Veränderbarkeit bewusst werden". Genial! Die Atemmaske als Sinnbild dafür, dass wir ein neues "Zuhandensein" der Dinge erfahren, wenn sie denn – dank der Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – vorhanden sind. Und mit der Behauptung, dass die Maske irgendwie symbolischen Charakter hat, können sicher auch die Corona-Rebellen etwas anfangen.
Neurechter Aufbruch
Als elitäres Geschwafel, als einen verstaubten "Jargon der Eigentlichkeit" (Adorno) abtun sollte man das Ganze aber nicht. Neuerdings wird hier von Politikwissenschaftlern oder antifaschistischen Autoren besonders gewarnt und etwa betont, dass radikale Rechte in Deutschland populistische und intellektuelle Akteure vernetzen, wobei speziell Heideggers Begriff von Nation und Volk eine Rolle spielen soll.
Bernhard Schindlbeck hat in der philosophischen Zeitschrift "Widerspruch" (Nr. 68: Die Neue Rechte) dieses Thema aufgegriffen. Er zeigt, dass die völkischen Gedanken des Philosophen und Freiburger Universitätsrektors – NSDAP-Wähler seit 1932, Mitglied seit dem 1. Mai 1933 – nicht ein vorübergehendes Zugeständnis an die Zeitumstände waren, sondern zum Kernbestand seines Gedankengebäudes gehören. "Der Glaube, dass das Verwurzeltsein in einem angestammten, heimatlichen Boden eine Notwendigkeit für 'eigentliches Dasein', für Denken und das Sich-Zusprechen des Seins sei, ist für Heidegger zentral" und prädestiniere ihn heute für seine Rolle als "Säulenheiligen der Neuen Rechten" (Schindlbeck 2019, 70, 66).
In dem "Widerspruch"-Heft kommen die geistesgeschichtlichen Verbindungslinien, die für das rechte Lager eine Rolle spielen, ausführlich zur Sprache. "Aus sektiererischen Spinnern und durchgeknallten Pseudotheoretikern am rechten Rand wurden in den letzten Jahren Stichwortgeber im öffentlichen Diskurs", heißt es dazu im Editorial. Gewürdigt werden in dem Heft Autoren der "Konservativen Revolution", Literaten, Untergangspropheten wie Oswald Spengler, aber auch der zeitgenössische Philosoph Peter Sloterdijk, der Lehrer des AfD-Philosophen Marc Jongen.
Ob der heutige Rechtstrend als politische Bewegung durch kulturgeschichtliche Korrespondenzen oder Traditionen zu erklären ist, muss man allerdings bezweifeln. Wobei natürlich stimmt, dass im Maße seiner Ausbreitung ein ideologischer Überbau entsteht, in dem sich eine rechte Intelligenz mit Stiftungen, Instituten und Bibliotheken tummelt und allerlei Bezüge zur glorreichen 1000jährigen deutschen (Geistes-)Geschichte – meist abseits des zwölfjährigen "Vogelschisses" (Alexander Gauland, AfD) von 1933-1945 – findet oder erfindet; genau so natürlich zur Geschichte des christlichen Abendlands, das in der Antike wurzeln soll und heute einen Bezugspunkt des Rechtspopulismus darstellt.
Das Europa der EU, das als eine kulturelle Identität fingiert wird, hat für die Rechten propagandistisch eben eine doppelte Funktion: Es dient als Feindbild für die Unterdrückung der nationalen Identität seiner Völker und wird zugleich als Bollwerk gegen die anstürmenden, mit abendländischen Werten ganz unvertrauten Massen – vorwiegend aus dem Morgenland – geschätzt.
Für Letzteres kann man sich am kulturellen Erbe Europas leicht bedienen. Der intellektuelle Überbau, den sich z.B. die AfD mit ihrer Desiderius-Erasmus-Stiftung zugelegt hat, wurde ja schon in Telepolis thematisiert (vgl. Irre, die AfD hat auch einen Think Tank) – allerdings ohne die Empörung der Mainstream-Medien darüber zu teilen, dass Rechte das Erbe eines großen Humanisten vereinnahmen; statt dessen mit einigen Hinweisen dazu versehen, wie sich die rechte Radikalisierung aus der nationalstaatlichen Verfassung des modernen Kapitalismus erklären lässt und dabei auch mit ihrer Wertorientierung demokratischem Brauch folgt.
Die Entscheidung zur Gründung einer eigenen Stiftung war beim AfD-Parteitag im Sommer 2018 gefallen, ungeachtet der Tatsache, dass man bis dahin mit der populistischen Kritik an den "Kartellparteien" und ihren Finanzierungstricks über parteinahe Stiftungen Punkte machen wollte. Die Gelegenheit, sich hier eine Geldquelle zu erschließen, wollte dann auch die AfD nicht an sich vorbei gehen lassen. Im Übrigen betätigt sie sich in diesem Rahmen wie die anderen Parteien auch: verschafft ihrer Politik einen Überbau an Grund- und Höchstwerten, mit der sich die Alltagspraxis, wie immer sie aussieht, überwölben lässt.
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