Was sein muss, muss sein
Seite 2: Altmeister Heidegger
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Im Zusammenhang eines solchen rechten Aufbruchs ist der Seinsphilosoph Heidegger sicher ein geeigneter Bezugspunkt - dies gerade auch wegen des allgemeinen Respekts, der ihm entgegen gebracht wird. Eine Wertschätzung, die, wie gesagt, auch mit der Tatsache klar kommt, dass der Universitätsphilosoph Heidegger zu den Stützen des NS-Regimes gehörte. Einschlägige Enthüllungen hat es seit Ende der 1980er Jahre immer wieder gegeben, vor allem seit Víctor Farías' Buch "Heidegger und der Nationalsozialismus" (1987) und seit Hugo Otts Vorarbeiten zu einer kritischen Biographie – den Wendepunkten in der westdeutschen Heidegger-Verehrung, da seitdem die Würdigung von Person und Werk eher getrennt wird.
In Schindelbecks Aufsatz kann man Instruktives zur hiesigen Reinwaschung dieses "heimlichen Königs" der Philosophen (so seine Geliebte Hannah Arendt) nachlesen – eine Rehabilitierung, die auch seit der Veröffentlichung von Heideggers "Schwarzen Heften" mit ihren klaren NS-Bekenntnissen Bestand hat. Im Normalfall geht sie seitdem etwas verklausulierter, vom rechten Lager aber wird sie unverdrossen fortgesetzt. Tätig ist hier auch Ernst Nolte, der ab 1944 zwei Semester bei Heidegger studierte.
Er spricht von einem "metaphysischem Antisemitismus" seines Lehrmeisters und will damit einen wichtigen Unterschied zum rassistischen Konzept des Faschismus markieren: Das "Weltjudentum" sei bei Heidegger - parallel zum Amerikanismus oder Bolschewismus - nur eine Erscheinungsform von etwas Tieferliegendem, nämlich der "Seinsvergessenheit" des modernen Menschen, und nichts platt Politisches (zit. nach Schindelbeck 2019, 69).
Dieses ständige Bemühen um eine Rehabilitierung des Nazi-Philosophen, der nach 1945 nie ein Schuldbekenntnis abgelegt hat, ist natürlich erschreckend. Doch Nolte muss man zugestehen, dass er einen entscheidenden Punkt getroffen hat: Die Seinsphilosophie des schwäbischen Denkers bewegt sich auf einer anderen Ebene als Programm und Parolen der Nationalsozialisten, sie löst sich nicht einfach in die opportunistische Befürwortung oder Ausschmückung des Nationalsozialismus auf, wie sie für den deutschen Wissenschaftsbetrieb nach der NS-Machtergreifung selbstverständlich war (und wie sie dann nach 1945 schnurstracks vom selben Personal widerrufen wurde, ohne dass man den Professoren groß mit Entnazifizierung oder Re-Education kommen musste und ohne dass die ihre alten Lehrbücher groß umschreiben mussten).
Das macht die Sache aber nicht besser, ganz im Gegenteil, wie Peter Decker in einer Studie nachweist, die 1988 erstmals erschien und die jetzt in einer aktualisierten Neuausgabe (Decker 2020) zugänglich ist. Sie bezieht sich am Rande auf die neueren Erkenntnisse, hat aber sonst ihre Stoßrichtung und Argumentation beibehalten. Ihre Ausführungen zielen nämlich auf die Philosophie selber, nehmen also gerade nicht die persönlichen Verwicklungen ihres Urheber in Nazi-Machenschaften, sein Agieren in Partei oder Hochschule, ins Visier – d.h. Heideggers Polit-Präferenzen und Lebensumstände, die heute durch die Bank als faschistisch verurteilt werden, um dann, mehr oder weniger verständnisvoll, den Kern seiner philosophischen Bemühungen von den zeitbedingten Kontaminationen zu reinigen und so letztlich den Rang dieses Denkers wieder zu retten.
Es geht Decker um den philosophischen Gehalt des Heideggerschen Opus selbst, um den hier vorliegenden radikalen Fall von Sinnstiftung, der die Konsequenz aus den Bemühungen der Vorläufer zieht und Philosophie als respektable Instanz von Gegenaufklärung und Antiwissenschaft etabliert.
Untersucht werden daher nicht speziell wie bei Schindelbeck die Kategorien einer politischen Philosophie. Heideggers Abstraktionsleistung, eine Trivialität namens "das Sein", d.h. den substantivierten Infinitiv des Satzglieds "ist", in den Mittelpunkt zu stellen und damit ein unüberbietbares Universale zu finden, lässt ja sowieso die klassische Aufteilung des Fachs in Sach-Abteilungen hinter sich. Diese hielt noch den Schein der wissenschaftlichen Bearbeitung eines Gegenstandes aufrecht, Heidegger dagegen schreitet zielstrebig zur raunenden, wissensfeindlichen Beschwörung eines philosophischen Prinzips fort.
Sein Anliegen ist es, eine unwidersprechliche höhere oder tiefere Notwendigkeit festzuhalten, der "der Mensch" sich unterzuordnen hat. "Als Philosoph will er von nichts Bestimmtem etwas wissen und ist sich gleichwohl - und nur so! - über die letztendliche Begründbarkeit und Wohlbegründetheit von allem sicher." (Ebd., 74)
Decker untersucht im Einzelnen, wie sich Heidegger den philosophischen Bedarf nach Sinnsuche erarbeitet, nämlich als systematische Absage an wissenschaftliches Denken überhaupt, und wie seine Abstraktionen zustandekommen, die die klassische Metaphysik überbieten und das Sinnbedürfnis in Reinform kultivieren: als Ansage der Notwendigkeit, das eigene "Geworfensein" angesichts der Not der schweren Zeit bzw. der Zeit der schweren Not auszuhalten, nicht weil es dafür höhere Werte (Gott, Glückseligkeit, ewiger Frieden) gäbe, sondern weil die Bestimmung des Menschen im Aushalten der Seinsgesetzlichkeit besteht.
Heidegger lässt dabei die polemische Stoßrichtung gegen Subjekte, die sich anmaßen, eigene Zwecke in der Welt geltend zu machen, deutlich heraushängen. Solche Wichte sind ein Fall von "Seinsvergessenheit" - und verdienen die Verachtung all derer, die sich am elitären Seinsgeschwafel zu erbauen vermögen.
Die Analyse Deckers zielt also darauf, dass sich im Zentrum von Heideggers Philosophie durchaus Affinitäten zu einem Staatsprogramm finden, "das sich der Vorbereitung eines großen Krieges gewidmet und dafür auf Tugenden seiner Mannschaft Wert gelegt hat, die die fälligen Opfer bis hin zur Aufgabe des eigenen Lebens als sinnerfüllenden Dienst an einem übergeordneten Ganzen erscheinen lassen und nichts als diesen Lohn versprechen." (Ebd., 73) Damit - und das ist wohl das provozierendste Ergebnis von Deckers Analyse - hat man die Radikalisierung einer Idee vor sich, die alle Philosophen teilen. Also keinen Außenseiter, der auf Abwege geraten ist, sondern den "konsequentesten Philosophen des 20. Jahrhunderts".
Literatur:
Peter Decker, Martin Heidegger - Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts - Faschist (1988). Neuausgabe, München (Gegenstandpunkt) 2020.
Bernhard Schindlbeck, Heideggers Volk, die Neue Rechte und ihr Heidegger, in: Widerspruch, Nr. 68 (Die Neue Rechte), München 2019.
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