"Weder Selenskyj noch Putin – Stoppt den Krieg"
- "Weder Selenskyj noch Putin – Stoppt den Krieg"
- Gegen Geschichtsrevisionismus auf allen Seiten im Ukraine-Konflikt
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Die Antikriegsbewegung und der russische Einmarsch. Kommentar und Hintergrund
Es gab eine Zeit, da orientierte sich ein Teil der außerparlamentarischen Linken auch in Deutschland an der zapatistischen Bewegung, die im Süden Mexikos aktiv war, aber diskursiv auf Linke in aller Welt ausstrahlte, weil sie in ihren Erklärungen mit der Rhetorik der traditionellen Linken gebrochen hatte.
Leider hat die Anfang März verfasste zapatistische Erklärung zum russischen Krieg in der Ukraine bisher nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden, die sie eigentlich verdient. Denn diese Erklärung könnte auch Anstöße für die hiesige Linke im Umgang mit dem Ukraine-Krieg geben.
Natürlich gibt es dort auch eine unzweideutige Verurteilung des russischen Einmarsches, aber es wird erkannt, dass es ein Krieg von unterschiedlichen kapitalistischen Mächten ist:
Es gibt eine angreifende Macht: die russische Armee. Auf beiden Seiten sind Interessen des großen Kapitals im Spiel. Wer jetzt leidet – durch die Irrsinnigkeiten der einen und den hinterlistigen ökonomischen Berechnungen der anderen – das sind die Bevölkerungen Russlands und der Ukraine (und vielleicht bald die Bevölkerungen der näher oder weiter gelegenen Geographien). Als Zapatistas, die wir sind, unterstützen wir weder den einen noch den anderen Staat, sondern diejenigen, die – für das Leben – gegen das System kämpfen.
Erklärung der Zapatistas zum Krieg in der Ukraine
In der Erklärung wird auch nicht so getan, als wäre das russische Putin-Regime das erste, das in den letzten Jahren Kriege geführt hat. Es wird vielmehr an die Angriffe erinnert, in der der sogenannte westliche Block des Kapitalismus angegriffen hat:
Als die multinationale Invasion des Iraks, angeführt durch die US-amerikanische Armee, vor fast 19 Jahren [begann], gab es Mobilisierungen gegen diesen Krieg auf der ganzen Welt. Keine*r mit gesundem Menschenverstand dachte: Sich gegen den Krieg zu wenden, bedeute sich auf die Seite Saddam Husseins zu stellen. Jetzt gibt es eine ähnliche Situation, obzwar sie nicht gleich ist. Weder Selnskyj noch Putin. Stopp dem Krieg.
Erklärung der Zapatistas zum Krieg in der Ukraine
Tanja Röckemann hat völlig recht, wenn sie in einem Kommentar im ND diese Erklärung mit der Bemerkung kommentiert, die Zapatistas äußern sich zum Ukraine-Konflikt klüger als viele andere in Deutschland. Die Position, welche die Zapatistas vertreten, sei "weit entfernt (…) von dem unter deutschen Linken verbreiteten Irrglauben, man habe gemeinsame Anliegen mit 'dem Westen' - geschweige denn den USA, zu deren finsterem Wirken in Lateinamerika die Unterstützung eines Militärputsches in Honduras noch im Jahr 2009 zählt".
"Fight the Game, not the Player"
Tatsächlich steht die Erklärung der Zapatistas in der guten Tradition des linken Flügels der Arbeiterbewegung, wo man schon 1914 beim 1. Weltkrieg erklärte, dass es nicht darum gehe, sich auf eine Seite in diesen innerkapitalistischen Kriegen zu stellen. Mit dem Ende der Blockkonfrontation sind wir nun wieder wie vor 1914 in einer Situation, in der unterschiedliche kapitalistische Player gegeneinander kämpfen, was immer wieder auch zu Kriegen fühlt, an denen die Bevölkerung aller Länder leiden muss.
Es gab nach 1989 schlaue Linke, die nach dem Ende der Blockkonfrontation nicht das Heraufdämmern des ewigen Friedens, sondern die Wiederkehr von 1914 prognostiziert und leider recht behalten haben.
"Der Krieg war ein Medium, ein Instrument des kapitalistischen Fortschritts oder besser des Fortschritts seiner Innovations-, Zerstörungsoffensive und nicht etwa eine bloße Gelegenheit dazu. Er war zugleich ein Instrument der Zurichtung der gesamten kapitalistischen Gesellschaft, ausgerichtet auf die Anforderungen kapitalistischer Inwertsetzung. Krieg war die Apotheose des kapitalistischen Progressismus und das Kriegsfieber die Inbrunst einer blutigen Gewalt", schreibt der operaistische Theoretiker Detlef Hartmann im zweiten Band seines Antigeschichtsbuches "Krisen, Kämpfe, Kriege", der 2019 unter dem Titel "Innovative Barbarei gegen soziale Revolution – Kapitalismus und Massengewalt im 20. Jahrhundert" im Verlag Assoziation A erschienen ist.
Was er beschreibt, erleben wir gerade in Russland, in den USA und in allen EU-Staaten. Der Krieg und das Kriegsfieber werden wieder einmal mitgeschürt auch von Linken, die doch, wenn nicht ihren Detlef Hartmann, dann ihre Rosa Luxemburg gelesen haben müssten. Und doch machen sie all die Fehler, die sie bereits im Ersten Weltkrieg kritisiert haben.
Sie stellen sich auf die Seite der nationalen Bourgeoisie in einem innerkapitalistischen Konflikt. Sie dämonisieren die offiziell zum Feind erklärte Seite und deren Frontmann Putin. Da wird im Deutschlandfunk ganz offen über den Wunsch nach einem Tyrannenmord diskutiert. Nun ist die Feinderklärung gegen den russischen Kapitalismus eine Sache. Aber sie stellt auch die Kritik an der "eigenen Seite", dem sogenannten Westen und der Nato, unter einen tabuähnlichen Vorbehalt.
Das geht so weit, dass mit der Erklärung, der Angriff Russlands auf die Ukraine sei der erste Krieg nach 1989 in Europa, der Angriff der Nato-Staaten auf Jugoslawien einfach aus dem Geschichtsbuch getilgt wird. Damit sind die Lautsprecher der Nato ganz auf der Linie von Putin und seinem Team, der ja verboten hat, dass der Einmarsch in die Ukraine Krieg genannt wird.
So wie es in der Lesart der russischen Kapitalisten keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern lediglich eine Spezialoperation zur Entnazifizierung gibt, so gab es in der Lesart des globalen Westens auch in Jugoslawien nur eine Intervention zur Verhinderung eines neuen Auschwitz.
Bei derart ins Auge springenden Parallelen müsste doch zumindest bei dem Teil der Linken, für den Marx sich noch nicht auf Marx Brothers reimt, klar sein, dass der Kapitalismus das Problem ist. "Fight the Game, not the Player" lautete schon vor Jahren eine Parole, wenn, statt das System im Ganzen zu kritisieren, einzelne Charaktermasken herausgegriffen und als besonders böse dargestellt werden.