Weg mit zehntausenden Dämmen in Europa

Seite 2: "Wir können nicht Flüsse und Ökosysteme zerstören, nur weil jemand mehr Gewinn machen will"

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Diego García de Jalón ist Professor an der Universität Madrid. Er wird als einer der Spezialisten für Dämme und Wiederherstellung von Wasser-Ökosystemen angesehen. Er lehrt zudem zu Zoologie, Limnologie und zu Umweltverträglichkeit.

Es gibt auch in Spanien Initiativen, die fordern, Dämme niederzureißen, was angesichts von Meldungen über Dürre und Wassermangel widersinnig erscheint. Meinen Sie, es sollten Dämme abgerissen werden?

Diego García de Jalón: Ja, denn es gibt einfach zu viele Dämme die nicht gebraucht werden. Es wurden zu viele gebaut. Wir verfügen alleine über 1200 große Staudämme in Spanien. Einige davon werden nur noch zum Teil genutzt. Zeichnen wir allein diese großen Dämme in die spanische Flusslandschaft, dann sehen wir, wie segmentiert und aufgesplittert unsere Flüsse sind. Wir haben zum Beispiel den Tajo, der zu 50% seiner gesamten Länge aus Stauseen besteht. Den Fluss als Flusssystem gibt es kaum noch.

Diego Garcia de Jalon rechts der ältere. Bild: de Jalon

Was bedeutet das?

Diego García de Jalón: Das hat bedeutsame Auswirkungen. Ein Fluss charakterisiert sich nicht nur durch fließendes Wasser, sondern es werden auch Holz, Sedimente, Nährstoffe und andere Elemente bewegt. Die werden aber in Dämmen gefangen. Nicht einmal 5% davon tritt wieder aus. Unterhalb des Damms gibt es deshalb Sediment-Defizite und die geomorphologischen Aufgaben können nicht mehr erfüllt werden.

Flüsse verfügen über Lebensräume, an die die verschiedenen Spezies angepasst sind. Die geomorphologischen Einflüsse sorgen dafür, dass ein Fluss über verschiedenste Lebensräume und eine sehr hohe Biodiversität verfügt. Regulierte Flüsse nehmen die Eigenschaften eines Kanals an, da sich die Lebensbedingungen vereinheitlichen. Wir haben hier das Problem, dass praktisch alle Flüsse reguliert sind und sich ganz ähnlich verhalten. Das führt zu einer armen Fauna und Flora, die man überall vorfindet. Seltenen Arten verschwinden, die spezifische Lebensräume brauchen.

Welche Bedeutung für Flora und Fauna haben verschiedene Nutzungsarten eines Damms?

Diego García de Jalón: Hier werden Dämme meist für die Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt. Wasser wird gespeichert, wenn es vor allem im Winter regnet. Es wird vor allem dann abgegeben, wenn es im Sommer nicht regnet. Der natürliche Wasserablauf ist auf den Kopf gestellt. Große Wassermengen führen regulierte Flüsse nun eher im Sommer statt im Wasser. Viele Spezies verschwinden deshalb, die in mediterranen Flüssen leben, aber an Sommerdürren angepasst sind.

Andere Arten werden aber begünstigt. Forellen unterhalb der Dämme zum Beispiel, da sehr kaltes und viel Wasser meist vom Grund des Sees abgelassen wird, was sie mögen. Das ist aber der nächste Einfluss. Das Wasser, das aus einem Stausee ist viel kälter, als es normalerweise wäre. Die Mehrheit der Spezies leidet darunter.

Welche Umweltauswirkungen haben Dämme für Stromerzeugung?

Diego García de Jalón: Sie haben hier noch stärkere Auswirkungen. Da die Regulierung nach Strombedarf erfolgt, kommt es zu sehr abrupten Veränderungen. Viele Arten sind zwar an schnelle Anstiege angepasst, aber nicht an einen schnellen Abbruch der Wassermenge. Sie bleiben oft auf dem Trockenen zurück. Und Staudämme, die zur Bewässerung und zur Stromerzeugung ausgelegt sind oder nachträglich ausgelegt wurden, sind dann schlimmer.

Wir haben bisher nur über die großen Dämme gesprochen, doch welche Auswirkung haben kleine Dämme?

Diego García de Jalón: Dämme werden immer zum Problem, wenn es zu viele davon gibt. Die Auswirkungen von zwei Dämmen in einen Fluss sind nicht doppelt so hoch, sondern deutlich größer. Mit zahllosen Dämmen wurden aber unsere Flüsse gezähmt. Sie haben ihre Wildheit und Dynamik verloren und bewegen sich kaum noch. Für die Besitzer von Gelände am Fluss ist das gut, aber das Ökosystem wird damit zerstört.

Kollidiert der Abbau von Dämmen nicht mit der Wasserversorgung in Spanien angesichts von Dürren, unregelmäßigeren Niederschlägen und vermehrten Starkregenfällen durch den Klimawandel? Es wird auch deshalb argumentiert, möglichst viel Speicherkapazität zu erhalten. Deshalb wurden umstrittene gefährliche Staudämme gebaut, Staumauern werden sogar noch aufgestockt.

Diego García de Jalón: Sicher muss die Wasserversorgung für den Bedarf der Bevölkerung gedeckt werden und dafür braucht es auch Dämme. Doch ein anderes Thema ist das Wasser über dieses Menschenrecht hinaus, um damit Geschäfte zu machen. Es wird zum Beispiel Reis statt etwas anderes angebaut, wofür viel mehr Wasser verbraucht wird, und der wird dann auch noch subventioniert, um rentabel zu sein. Wir bauen in einem Trockengebiet um Albacete viel Mais mit starker Bewässerung an, was weiter im Norden nicht nötig wäre. Es kann nicht sein, dass wir dafür Flüsse und Ökosysteme zerstören, nur weil jemand mehr Gewinn machen will.

Das Problem hier ist, dass das Wasser nicht bezahlt wird, sondern nur die Bereitstellung, der Bau der Dämme, Kanäle und Leitungen. Die Umweltauswirkungen durch die Regulierung werden darin nicht einbezogen. Solange das nicht geschieht, macht das keinen Sinn. Aber hier will niemand für reale Kosten aufkommen und einen angemessenen Preis für das Wasser bezahlen. Umleitungen, wie zum Beispiel aus dem Tajo in den Segura, fielen weg, würde man reale Preise anlegen. Es wäre viel billiger, am Mittelmeer Wasser zu entsalzen. Das kostet weniger als einen Euro pro Kubikmeter. Für den Anbau in Murcia oder Almeria sollte dort auch ein Euro pro Kubikmeter bezahlt werden. Der Schaden, der für das Heranschaffen aus großer Entfernung entsteht, kann auf etwa 12 Euro pro Kubikmeter beziffert werden. Das müssen sie aber nicht bezahlen, weshalb für sie Umleitungen viel billiger kommen.

Wie kann man zu einem Ausgleich zwischen nötiger Versorgung der Bevölkerung und Umweltschutz kommen?

Diego García de Jalón: Zunächst müssten Dämme beseitigt werden, die nicht benutzt werden und überflüssig sind. Dann ist da die Bewässerung. Der Bedarf wird künstlich aufgebläht. Bewässerung, die fast nichts kostet, wollen alle. Ein trockenes Gelände, das pro Hektar jetzt 1000 Euro kostet, ist plötzlich viel mehr wert, wenn es Wasser zum Bewässern gibt. Ein rundes Geschäft, wenn man Wasser einfach den Flüssen entnimmt. Zudem wurden die Dämme vom Staat gebaut. Der Steuerzahler hat sie bezahlt, die Nutznießer davon sind vor allem nur einige wenige. Nach EU-Richtlinien ist das unlauterer Wettbewerb.

Der Wasserbedarf würde sofort sinken, wenn die Verbraucher für die realen Kosten aufkommen müssten. Man würde nicht mehr so viel Wasser verschwenden, um Swimmingpools zu füllen. Aber vor allem ist der Verbrauch zur Bewässerung unglaublich. Darauf entfallen etwa 80%.

Wie läuft der Abbauprozess von Dämmen?

Diego García de Jalón: Man muss zwischen großen und kleinen Dämmen unterscheiden. Viele kleine werden nicht mehr benutzt. Das ist einfach zu managen, wenn man sich gegen keine starken Interessen durchsetzen muss. Die Seen werden oft noch als Badeseen oder als Tränken benutzt und haben ökonomisch praktisch keine Bedeutung. Der bisher größte Damm in Spanien mit 23 Metern wurde am Cofio rückgebaut, um zu zeigen, dass die Europäische Wasserrahmenrichtlinie umgesetzt wird. Dann gab es einen Abbau in La Pedriza am Manzanares. Das war noch vor der Wirtschaftskrise. Das Material wurde aus einem Naturschutzgebiet sogar mit Hubschraubern ausgeflogen. Es wurde sehr viel Geld für einen geringen Effekt ausgegeben, womit man viel mehr hätte machen können.

Man müsste vor allem die Dämme für Wasserkraftwerke abreißen, bei denen die Lizenz ausgelaufen ist. Anderen Energieformen, wie Windkraft, müsste der Vorrang gegeben werden. Die Speicherung von deren überschüssiger Produktion kann natürlich in Wasserkraft geschehen. Dafür gibt es Pumpspeicherkraftwerke, statt Dämmen im Flusssystem mit allen beschriebenen negativen Folgen zu bauen oder zu unterhalten.

Wie sieht es mit der Gesetzgebung in Spanien aus? Es scheint, Druck, Umweltstandards einzuhalten und Dämme einzureißen, kommt vor allem aus Europa.

Diego García de Jalón: Es gibt ein Sprichwort: Jedes Gesetz hat sein Hintertürchen. Die Gesetze hier sind sogar sehr strikt. Würde man sie anwenden, könnten alle Probleme beseitigt werden. Doch das geschieht nicht. Man geht mit Flüssen aus dem Blickwinkel von Straßenbauingenieuren um, Experten für öffentliche Bauvorhaben. Gibt es ein Problem, muss aus ihrer Sicht etwas gebaut werden. Es gibt bei denen, die für die wasserwirtschaftlichen Anlagen zuständig sind, nicht genug Sensibilität für einen guten ökologischen Zustand.

Sogar die Ermittlung des realen ökologischen Zustands eines Flusses ist mangelhaft. Die Rahmenrichtlinie sieht vier Elemente zur Überprüfung vor. Eines davon ist der Fisch. Aber darauf prüft man hier nicht. Denn die übrigen drei Elemente sind weniger bedeutsam für das zentrale spanische Problem: Mengenregulierung. Denn sie zerstört natürliche Fischbestände. Zur ihrer Erhaltung müssten viel höhere Wasserstände garantiert werden. Makroinvetrebraten oder Periphyton brauchen dagegen viel weniger Wasser, um für sie ein adäquates Habitat nachzuweisen als Fische. Eine Barbe oder eine Forelle brauchen kontinuierlich größere Wassermengen. Deshalb benutzt man hier nicht die Fische, um den ökologischen Zustand zu evaluieren, weil das Ergebnis sehr schlecht wäre.

Muss sich Spanien also nun an die europäische Rahmenrichtlinie halten?

Diego García de Jalón: Das ist allerdings auch nur ein sehr flexibler Rahmen, der auch viele Interpretationen zulässt.