"Wegen der Scheiß Glocke, das ist doch Geschichte"
Das pfälzische Herxheim bietet einen Schildbürgerstreich deutscher Erinnerungskultur mit einer Hitler gewidmeten Glocke
Im Mai 2017 greift die pfälzische Presse ein spannendes Thema auf. Im Turm der protestantischen Jakobskirche Herxheim am Berg schlummert ein Überbleibsel der Nazi-Zeit: Eine im Dezember 1934 eingeweihte Bronzeglocke, geschmückt mit Hakenkreuz, darauf ein für die NS-Zeit gängiger Spruch: "ALLES FUER'S VATERLAND - ADOLF HITLER". Eigentümer ist die Gemeinde Herxheim am Berg.
Am Montag hatte der Gemeinderat im pfälzischen Herxheim mit 10 zur 3 Stimmen entschieden, dass die umstrittene Bimmel aus der Nazizeit hängen bleiben soll. Jetzt aber muss wegen eines formalen Fehlers neu abgestimmt werden.
Die Geschichte um das Nazi-Relikt zeitigt kuriose Blüten. So hatte sich Roland Becker (Freie Wähler), der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde, in einem Interview mit dem ARD-Magazin "Kontraste" zu der Behauptung verstiegen, Herxheim dürfe stolz auf die Glocke sein - schließlich gebe es nur drei dieser Art in Deutschland. Herxheimer Bürger kommen zu Wort. Ein ehemaliger SPD-Stadtrat erklärt, man könne auch positive Dinge erwähnen, wenn man über das "Dritte Reich" rede. Es folgte: Beckers Rücktritt (September 2017).
Massenmörderglocke wird Mahnglocke?
Damit hatte Herxheim seinen Ruf weg. Beckers Nachfolge als Ortsbürgermeister tritt Georg Welker an. Welker ist pensionierter Pfarrer und parteilos. Er machte Wahlkampf mit dem Slogan: "Die Glocke bleibt hängen." Dabei ergänzt Welker, für ihn sei die Glocke eine Mahnung.
Siegrid Peters, ehemalige Organistin an der Jakobskirche, findet das "bigott": Die Glocke sei zu Ehren eines Massenmörders gegossen worden: "Jetzt soll die Massenmörderglocke plötzlich eine Mahnglocke sein?"
Im vergangenen Jahr, auf dem Höhepunkt der Glockendebatte, war auch noch die NPD in Herxheim aufmarschiert und hatte gefordert, die Glocke müsse hängen bleiben.
Das gewisse "Überbleibsel" wird ab und an auch noch richtig laut: Noch 2017 rief sie die Herxheimer Bürger sonntags zum Gottesdienst, nach dem Ende der Nazi-Herrschaft zusammen mit zwei Glocken neueren Datums. Zusammen bimmelten alle drei zu Ostern, zu Weihnachten und zur Konfirmation. Das geht aus der Läuteordnung hervor, die Pfarrer Helmut Meinhardt der örtlichen Presse zur Verfügung stellte.
"Wegen der Scheiß Glocke, das ist doch Geschichte", resümierte ein aufgebrachter Bürger gegenüber "Kontraste" die Ansicht so mancher Deutscher. "Ins Museum damit", findet die Organistin. Das Presbyterium der Kirchengemeinde beschloss im Herbst 2017: "Glocke 3 wird nicht mehr benutzt. Das Presbyterium möchte dadurch verhindern, dass rechtsradikale Kräfte angesprochen werden und dass das Geläut mit Glocke 3 zu einer Belastung für Menschen wird." Und ergänzt: "Von der Inschrift nehmen wir inhaltlich Abstand und distanzieren uns. Sie ist ein Zeitdokument."
Fazit: Die wunderliche Glocke darf hängen bleiben. Ortsbürgermeister Welker erwartet bei der Neuabstimmung das gleiche Ergebnis. Eine Gutachterin wird zitiert, sie hat erklärt: Die Entsorgung der Glocke wäre eine "Flucht vor einer (…) aufgeklärten Erinnerungskultur". Wenn's da im Kopf nicht bimmelt.