Weihnachtsmarkt-Attentate in Berlin und Magdeburg: Parallelen und Unterschiede

Bild zeigt Kerzen und Blumen am Berliner Breitscheidplatz

Am Berliner Breitscheidplatz wird seit 2016 alljährlich der Opfer des Lkw-Attentats auf den Weihnachtsmarkt gedacht. Foto: Mo Photography Berlin / Shutterstock.com

Wie vor dem Berliner Lkw-Attentäter Amri soll auch vor Taleb al-A. gewarnt worden sein. Die Biographien beider Männer unterschieden sich aber maximal.

Der Verdächtige, der am Freitageabend am Tatort des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt festgenommen wurde und nun wegen fünffachen Mordes und 200-fachen Mordversuchs in Untersuchungshaft sitzt, soll zuvor auch in Berlin justizbekannt gewesen sein – allerdings nicht durch Gewalttaten, sondern wegen "Missbrauchs von Notrufen".

Dies bestätigte die Staatsanwaltschaft Berlin laut einem Bericht des rbb am Samstag auf Nachfrage. Zuvor hatte der Spiegel berichtet, dass Taleb al-A. im Februar 2024 auf einer Berliner Polizeiwache erschienen sei, um eine Anzeige zu erstatten. Dabei soll er wirre Angaben gemacht haben und mit dem Verhalten der diensthabenden Beamten unzufrieden gewesen sein. Gegen einen Strafbefehl erlassen wegen Missbrauchs von Notrufen habe er Einspruch eingelegt, hieß es.

Gerichtlich eher als Querulant aufgefallen: Taleb al-A.

Dass al-A. zuvor bereits in Köln vor Gericht gestanden hatte, war am Samstag bekanntgeworden, als der Verein Säkulare Flüchtlingshilfe zu früheren Kontakten mit ihm Stellung nahm. Er war demnach 2019 von Mitgliedern des Vereins wegen Verleumdung angezeigt worden und legte Rechtsmittel ein, als sie den Prozess vor dem Landgericht Köln gewannen.

In Justizkreisen war der er demnach in den letzten Jahren eher als Querulant und Intrigant aufgefallen, der sich teilweise strafrechtlich relevanter Methoden bedient.

Hinweise auf Gewaltbereitschaft ignoriert?

Nicht reagiert hatten deutsche Behörden aber offenbar auf Hinweise von Social-Media-Nutzerinnen auf die mögliche Gewaltbereitschaft des 50-jährigen Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Er soll in Online-Diskussionen sogar explizit die Möglichkeit eines Massenmords erwähnt haben.

Auf der Plattform X kursieren Screenshots von englischsprachigen Nachrichten einer jungen Frau, die wie al-A. selbst aus Saudi-Arabien stammen soll, an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Demnach hatte al-A. in einer Online-Diskussion gefragt: "Machst du mir einen Vorwurf, wenn ich 20 Deutsche töte?" Nach dem Eindruck der jungen Frau meinte er dies "sehr ernst". Sie könne nicht verstehen, warum er noch nicht verhaftet worden sei, schrieb sie demnach an das BAMF.

Ob dieser Hinweis an die eigentlich zuständige Polizei weitergeleitet wurde, ist unklar. Die Pressestelle des BAMF war am Wochenende nicht erreichbar.

Wegen Anschlagsdrohung 2013 galt nur vor Amtsgericht

In Mecklenburg-Vorpommern soll Taleb al-A. bereits 2013 der Ärztekammer mit einem Anschlag gedroht haben. Dort seien aber bei einer Hausdurchsuchung keine Hinweise auf eine "reele Anschlagsvorbereitung" gefunden worden, berichtet der Spiegel.

Verurteilt wurde er demnach vom Amtsgericht Rostock nur wegen "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten"; zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je zehn Euro. Hintergrund seien nach Angaben des Landesinnenministeriums Streitigkeiten über die Anerkennung von Prüfungsleistungen im Zuge seiner Facharztausbildung gewesen.

Scharia-Staat soll Auslieferung verlangt haben

Nachvollziehbar scheint dagegen, dass deutsche Behörden nicht auf ein Auslieferungsgesuch aus dem Scharia-Staat Saudi-Arabien reagiert haben sollen. Taleb al-A., der seit 2006 in Deutschland lebte und als Islamkritiker auftrat, war 2016 politisches Asyl gewährt worden. Seine Auslieferung an einen Staat, der Folter und Todesstrafe praktiziert, wäre rechtlich ausgeschlossen gewesen.

Die Deutsche Presse-Agentur und andere Medien berichteten inzwischen von Warnhinweisen aus "saudischen Sicherheitskreisen" vor dem späteren mutmaßlichen Attentäter und seinen "extremistischen Ansichten", womit möglicherweise radikale Islamkritik gemeint war. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland aber nicht reagiert.

Das Motiv für die Todesfahrt in Magdeburg sei möglicherweise "Unzufriedenheit mit dem Umgang von Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland" gewesen, das sei der gegenwärtige Stand der Ermittlungen, hatte der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens am Samstag bei einer Pressekonferenz in Magdeburg erklärt.

Seinen Groll gegen Deutschland und deutsche Behörden hatte Taleb al-A. auf Social-Media-Kanälen damit begründet, dass sie nicht genug gegen Islamismus täten oder ihn sogar fördern würden.

Andere Ex-Muslime, die sich islamkritisch äußern, erklärten allerdings nach der Tat auf X, sie hätten schon längere Zeit Zweifel gehabt, ob er wirklich "abtrünnig" geworden sei oder lediglich in ihren Kreisen spionieren und zersetzen wollte.

Offener Islamist: Amri war 23 und perspektivlos

Zum Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag vom 19. Dezember 2016 gibt es sowohl deutliche Parallelen als auch Unterschiede.

Damals war der 23-jährige abgelehnte Asylbewerber Anis Amri mit einem gekaperten Lkw in die Menschenmenge auf dem Breitscheidplatz gerast. Der Tunesier war vor durch klassische Kleinkriminalität, Schlägereien und Drogendelikte aufgefallen und hatte Kontakt zu deutschen Behörden nur gesucht, um Sozialleistungen zu beantragen – und das gleich unter mehreren Namen. Beruflich und aufenthaltsrechtlich war er perspektivlos und trat unverhohlen als Islamist auf.

Der mehr als doppelt so alte Arzt mit gesichertem Aufenthalt und scheinbar erheblicher Wut auf den Islam passte nicht in dieses Muster. Taleb al-A. hatte in Deutschland eine bürgerliche Existenz zu verlieren und legte scheinbar Wert darauf, dass sein Weltbild besonders rational und aufgeklärt sei, während andere die islamistische Gefahr unterschätzten – laut seinen Social-Media-Äußerungen praktisch alle außer der AfD.

Beide hielten Gewaltbereitschaft nicht hinterm Berg

Andererseits sollen beide mit ihrer Gewaltbereitschaft nicht hinterm Berg gehalten haben – und in beiden Fällen warnten offenbar arabischsprachige Menschen in Deutschland die Behörden. Im Fall Amri waren es Mitbewohner aus einer Unterkunft für Asylsuchende in Emmerich, denen er seine Ansichten vom "wahren Islam" hatte aufdrängen wollen, um sie für den Dschihad zu gewinnen. Sie hatten ihn zudem bei Videochats mit bewaffneten Personen beobachtet.

Mit der Justiz kamen beide aus unterschiedlichen Gründen in Konflikt. Das Motiv scheint in einem Fall weniger klar. In beiden Fällen – zuletzt in Magdeburg und 2016 in Berlin – wurden aber Fahrzeuge als Waffen gegen reine Zufallsopfer auf Weihnachtsmärkten benutzt.

Einzeltäter-These zunächst in beiden Fällen

Amri war zunächst vom Tatort entkommen und wenige Tage später auf der Flucht in Italien von der Polizei erschossen worden. Er wurde zunächst wie Taleb al-A. als Einzeltäter bezeichnet, soll aber im Ausland einen "Mentor" der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gehabt haben, mit dem er in Chatnachrichten kommunizierte.

Unklar ist auch die Rolle seines Freundes Bilel ben Ammar, der selbst als Beschuldigter geführt wurde, aber statt weiterer Vernehmungen wenige Wochen nach der Tat in einer Blitzaktion nach Tunesien abgeschoben wurde. All diese Ungereimtheiten kamen später in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Sprache. Restlos aufzuklären ist der Anschlag wohl nicht mehr.