Weißbuch: Bundeswehr soll bunter werden

Seite 2: Alle dürfen alles: Auch im Pentagon versucht man aus Personalproblemen "offener" zu werden

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Auch jenseits des Atlantiks wird seit längerem mit dem Problem gerungen, das auch damit zusammenhängt, dass nun vermehrt Frauen zwar die fehlenden Männer ersetzen, aber mitunter größere Schwierigkeiten haben, die Fitness-Kriterien zu erfüllen. Der Mangel an geeigneten Rekruten werde zu einem Problem der nationalen Sicherheit, wird gewarnt. So seien junge Menschen nicht nur oft übergewichtig, sondern es fehle ihnen auch körperliche Beweglichkeit. Beklagt wird, dass 18- oder 19-Jährige nicht imstande seien, eine Rolle vorwärts zu machen oder mit dem Seil zu springen.

Beim Marine Corps etwa entfällt der Klimmhang, alle Soldaten können wählen zwischen Klimmzügen und Liegestützen. Der Klimmhang sei kein geeigneter Test für die Kraft im Oberkörper, zudem wolle man keine unnötigen Probleme bei der "Manpower" schaffen, wenn manche Frauen beim Klimmhang scheitern sollten. Für die beste Bewertung müssen 21-25-jährige Männer 23 Klimmzüge (mindestens 5) oder 87 Liegestützen (mindestens 34-42) schaffen, 26-30-jährige Frauen 10 Klimmzüge oder 50 Liegestützen (mindestens 14-19).

Wer gut bei den Tests abschneidet, darf auch mehr wiegen. Angeblich weil stärkere Muskeln auch mehr Gewicht bringen. Frauen dürfen ein paar Pfund im Vergleich zu Männern mehr wiegen. Auch beim Körperfettanteil wird man flexibler. Beim Kampffitnesstest müssen Marines aber in Zukunft mehr leisten. Bislang mussten Männer unter 25 einen 15 kg schweren Munitionsbehälter mindestens 67 Mal in 2 Minuten über den Kopf heben und weiterreichen, jetzt muss dies mindestens 45 Mal geschehen. Frauen müssen es 30 Mal schaffen, jetzt sind nur 20 Mal gefordert.

US-Verteidigungsminister Ash Carter übt erheblichen Druck darauf aus, die Personalbasis zu erweitern und stößt dabei auch gegen die traditionelle Soldatenkultur, die weiterhin männlich fixiert ist. Die Entscheidung vom Dezember letzten Jahres, Frauen für alle Aufgaben zuzulassen, also auch für den Dienst in Sondereinheiten wie den Navy Seals und in allen Kampfeinheiten, sorgte bereits im Vorfeld für Unruhe und Ablehnung. Nach einer Umfrage, die das Pentagon längere Zeit unter Verschluss hielt, waren Zweidrittel der Männer im Marine Corps gegen die Öffnung aller Ränge für Frauen. Je höher der Rang der Befragten, desto höher die Ablehnung. 90 Prozent der Befragten gaben an, sie hätten Bedenken, dass intime Beziehungen unter den Soldaten zum Problem werden könnten, 80 Prozent fürchteten, dass Frauen fälschlich sexuelle Belästigung erheben oder bevorzugt werden könnten.

Eine andere Umfrage, die im Dezember veröffentlicht wurde, zeigte, dass die befragten Mitglieder von Spezialeinheiten die Integration von Frauen in Kampfeinheiten zu 85 Prozent ablehnten, 70 Prozent waren dagegen, dass Frauen in ihren Einheiten einbezogen werden, 80 Prozent meinten, dass Frauen nicht stark genug seien. Eine vom Marine Corps durchgeführte Studie kam zum Ergebnis, dass die Leistung von Frauen in Kampfeinsätzen schwächer sei. Sie würden langsamer sein, nicht so genau schießen und sich öfter verletzen.

Im Juni wurde vom Verteidigungsminister auch das Transgender-Verbot aufgehoben, nachdem vor Jahren schon das Prinzip "don't ask, don't tell" für Homosexuelle abgeschafft wurde und diese nun offen Kriegsdienst leisten können. Letztes Jahr waren bereits Homosexuelle unter der Devise der "Offenheit für Diversität" erstmals vor Diskriminierung geschützt worden. Transgender waren allerdings noch ausgeschlossen geblieben und konnten Diskriminierung nicht anzeigen, sie wurden entlassen, wenn sie zugaben, Transgender zu sein. Jetzt sollen Kommandeure auch Geschlechtsumwandlungen auf Wunsch unterstützen. Das Pentagon, Vorbild für die Bundeswehr und Verteidigungsministerin von der Leyen, führte die Öffnungen nur deswegen ein, um ausreichend Rekruten zu finden und qualifiziertes Personal zu halten.

Junge Amerikaner sind heute unterschiedlicher, offener und toleranter als frühere Generationen. Wenn wir die Besten und Klügsten von ihnen anziehen wollen, damit sie zu unserer Mission der nationalen Verteidigung einen Beitrag leisten können, müssen auch wir selbst offener, unterschiedlicher und toleranter werden.

US-Verteidigungsminister Ash Carter

Diskutiert wird, inwieweit die Fitnessanforderungen für Frauen gesenkt werden müssen oder dürfen oder ob nicht wieder mehr Wert auf die Kampffitness oder die grundlegenden Aufgaben eines kämpfenden Soldaten gelegt werden soll, wozu Schießen, Reinigen von Waffen oder die Praxis gehört, auf dem Land auch ohne digitale Ausrüstung navigieren zu können. Es kommt auch die Frage auf, ob nicht wieder mehr Disziplin erforderlich sei, also die Soldaten wieder mehr marschieren und exerzieren sollen. So wird der Occupational Physical Assessment Test (OPAT) für Rekruten geschlechtsneutral sein, nach dem bestimmt wird, wer aufgenommen wird und für welche Einsätze geeignet ist. Ein langer Sprung aus dem Stand, ein Wurf im Sitzen, ein Kreuzheben und ein Intervalllauf müssen abgedient werden. Zusätzlich wird ein Einsatzfitnesstest geplant, mit dem regelmäßig geprüft werden soll, ob man körperlich in der Lage ist, die notwendigen Aufgaben zu erfüllen:

Let's take an artillery soldier, for example. An artillery round weighs 75 pounds, and it doesn’t care whether you’re a man or a woman. You’ve got to be able to lift that thing and put it inside of the gun … and you’ve got to be able to do it over and over and over again. I can’t put somebody inside that Howitzer that can’t do that and meet those standards, or we have now just degraded the standards of what’s required of us to support our wartime missions.

Sergeant Major of the Army Dan Dailey